Baerbock verstand sich stets als Gegenspielerin von Kanzler Olaf Scholz. Durchsetzen konnte sie sich nie.

Wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt machte Annalena Baerbock eine Reise, die die Weichen für den Rest ihrer Amtszeit stellen sollte. Es war der 18. Januar 2022. Etwa 100 000 russische Soldaten standen an der Grenze zur Ukraine. Noch bestand die Hoffnung, dass sich die einen Monat später folgende Invasion verhindern liesse. In dieser Lage reiste Baerbock zu ihrem Antrittsbesuch nach Moskau, um dort mit dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow zu sprechen.

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Nicht nur aus geopolitischer Sicht war die Reise heikel. Die Deutschen trauten ihrer neuen Aussenministerin zu diesem Zeitpunkt nicht viel zu. Eine Regionalzeitung spottete: «Die Aussenpolitik-Lernende zu Gast beim Diplomatie-Profi.» In Deutschland wartete man förmlich darauf, dass Baerbock einen Fehler machen würde.

Das hatte mehrere Gründe. Einer war, dass die Grünen-Politikerin in den Monaten vor der Wahl tief gefallen war. Sie, die einige schon ins Kanzleramt einziehen sahen, stolperte über Plagiate in ihrem Buch und Ungereimtheiten in ihrem Lebenslauf. Ausgerechnet Baerbock, die sich selbst für ihre universitäre Ausbildung rühmte und sich einst über ihren Parteikollegen Robert Habeck mit den Worten erhob, sie komme eher aus dem Völkerrecht, er hingegen von «Hühner, Schweine, ich weiss nicht, was haste, Kühe-Melken».

In Moskau bei Lawrow hätten viele Deutsche lieber Habeck gesehen. Er war zu diesem Zeitpunkt der Beliebtere von beiden. Man nahm es Baerbock übel, dass sie ihn im Machtkampf um die Kanzlerkandidatur der Grünen weggebissen hatte.

Anfangs waren die Deutschen von Baerbock begeistert

Allerdings überraschte Baerbock die Deutschen. Sie liess sich von Lawrows Halbwahrheiten nicht beeindrucken und sagte, es sei schwer, die Anwesenheit von mehr als 100 000 russischen Soldaten an der Grenze zur Ukraine nicht als Bedrohung zu werten. Rückblickend mag diese Äusserung selbstverständlich klingen. Damals gab es aber selbst in Baerbocks Koalition noch Stimmen, die Russland eine Invasion nicht zutrauten.

Baerbocks klare Worte kamen in Deutschland gut an. «Prüfung bestanden», lautete der Tenor in den Kommentarspalten. Baerbock selbst sprach rückblickend von ihrer «Feuertaufe».

In Moskau zeichnete sich jedoch auch erstmals ein Muster ab, das sich von nun an durch ihre Amtszeit ziehen sollte. Baerbock fand deutliche Worte, konnte aber in der Sache nichts bewegen. Das wäre in dieser Lage wohl auch kaum möglich gewesen, bei anderen Gelegenheiten aber schon.

Aus Sicht des Militärexperten Carlo Masala hat Baerbock in ihrer Amtszeit keine eigenen Akzente gesetzt. «Sie wird nicht als einer der grossen Aussenminister der Bundesrepublik in die Geschichte eingehen», sagt er im Gespräch mit der NZZ.

Baerbock wurde die Gegenspielerin des Kanzlers

Dafür gibt es durchaus systemische Gründe. Über die Jahre hat das Kanzleramt immer mehr aussenpolitische Kompetenzen an sich gezogen. Inzwischen hat es eigene Abteilungen für Aussen- und Sicherheitspolitik sowie Europa. Der damalige Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich stellte schon vor der Amtsübernahme Baerbocks klar, dass die deutsche Aussenpolitik «insbesondere im Kanzleramt» gesteuert werde.

Während frühere Aussenminister allenfalls leise Kritik am Kanzler übten, kämpfte Baerbock von Anfang an gegen diese Degradierung. Sie wurde zur Gegenspielerin des deutschen Kanzlers Olaf Scholz.

Das zeigte sich etwa in der Diskussion um Waffenlieferungen an die Ukraine. Ihr anfängliches Nein revidierte Baerbock schneller, als Scholz «Zeitenwende» sagen konnte. Sie drängte schon früh darauf, Leopard-2-Panzer zu liefern. Scholz hingegen zögerte. In einer Rede an Karneval machte sich Baerbock darüber lustig: «Ich wollte eigentlich als Leopard kommen. Aber dann hatte ich doch etwas Sorge, dass mir das Kanzleramt wochenlang keine Reisegenehmigung erteilt.»

Neben dem zaudernden Scholz wirkte Baerbock entschlossen. Das bescherte ihr weiter gute Umfragewerte. Zeitweise war sie die beliebteste Politikerin der Deutschen. Mehr politische Macht verschaffte ihr das aber nicht. Die Entscheidung zu den Panzern fällte Scholz ohne sie – wie auch bei allen künftigen Waffen- und Geldfragen.

Werte mussten der Realpolitik weichen

Ähnlich verliefen die Konfliktlinien in Sachen China. Baerbock suchte die Konfrontation. Sie nannte den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping öffentlich einen Diktator. Hier zeigte sich das Muster ihrer Amtszeit in besonders hässlicher Form. Baerbock sprach etwas aus, das viele denken mögen, verärgerte damit aber China und schwächte Deutschlands Verhandlungsposition. Sogar dem CDU-Aussenpolitiker Norbert Röttgen, sonst nicht um Kritik an autoritären Regimen verlegen, ging das zu weit.

Den inzwischen entlassenen chinesischen Aussenminister Qin Gang kritisierte sie vor laufenden Kameras für Chinas Menschenrechtslage. Als Scholz nach Peking reiste, mahnte sie, dass er die im Koalitionsvertrag vereinbarten Botschaften deutlich machen müsse. Scholz liess die Anweisung aus der Ferne jedoch unbeeindruckt. Er zog seinen gemässigteren Kurs gegenüber Peking durch.

Baerbocks «wertegeleitete» Politik zerschellte ausserdem an den geopolitischen Realitäten. Als die Hamas am 7. Oktober 2023 Israel überfiel, entdeckte Baerbock den Nahen Osten für sich. Sie wollte von Beginn an zwischen den legitimen Sicherheitsinteressen Israels und palästinensischen Forderungen nach mehr Autonomie vermitteln. Selbstbewusst sprach das Ministerium von «Pendeldiplomatie». Mitteilungen des Auswärtigen Amts enthielten fortan stets den Zusatz, um die wievielte Reise der Aussenministerin in die Region es sich handelte.

Das weckte Hoffnungen, die eine deutsche Aussenministerin nie hätte erfüllen können. Deutschland kann im Nahen Osten nicht als ehrlicher Makler auftreten, aufgrund der historisch bedingten Verbundenheit mit Israel. Baerbocks Versuch musste deshalb schiefgehen.

Auf israelischer Seite wuchsen die Zweifel an Deutschlands Verlässlichkeit. Mit dem Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu kam es gar zum offenen Bruch. Laut Medienberichten kam es zu harten Auseinandersetzungen hinter verschlossenen Türen. Baerbock schloss schliesslich nicht aus, ihn festnehmen zu lassen, sollte er deutschen Boden betreten.

Auch die feministische Aussenpolitik hatte Grenzen

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, gab kürzlich seiner Enttäuschung über Baerbocks mangelndes Eintreten für die Geiseln der Hamas Ausdruck. Ihr Ministerium habe sich «vornehm zurückgehalten, um vermeintliche Verhandlungspartner nicht zu verprellen», sagte er.

Während Baerbock Deutschlands engsten Verbündeten vor den Kopf stiess, wurden die grossen Linien im Nahen Osten von den USA gezogen. Die Amerikaner verfügen über die nötige diplomatische wie militärische Macht. «Die Ministerin und die Regierung haben ihren Einfluss in der Region masslos überschätzt», sagt Masala rückblickend.

In Iran geriet schliesslich auch Baerbocks Prestigeprojekt, die feministische Aussenpolitik, an seine Grenzen. Im Bundestag berief sich die Ministerin noch auf ihre feministischen Leitlinien, um den gegen die Mullahs demonstrierenden Frauen ihrer Unterstützung zu versichern. Daraus folgte aber nichts.

Die Opposition forderte, im Zweifel die Gespräche über das Nuklearabkommen einzufrieren. Das war mit der SPD jedoch nicht zu machen. Die sonst so offensive Menschenrechtlerin Baerbock hielt sich bei dem Thema auffällig zurück. Angesichts der mutigen Frauen Irans wirke Baerbock seltsam einsilbig, schrieb der «Spiegel».

Optik vor Inhalten

Im vergangenen Sommer kehrten sogar die Diskussionen über Baerbocks Eignung für das Amt zurück. In der Öffentlichkeit festigte sich der Eindruck, Baerbock sei insbesondere am Glamour des Aussenministeriums gelegen. Berichte über sechsstellige Kosten für Visagisten taten ihr Übriges.

Auch in ihrem eigenen Ministerium wuchs die Kritik am Kurs der Ministerin. Mit ihrem Aktivismus waren nicht alle Diplomaten einverstanden, wie sie bereitwillig in den Medien streuten. Das Presse-Referat und die Social-Media-Abteilung seien der Ministerin wichtiger als Deutschlands Diplomaten, heisst es noch immer hinter vorgehaltener Hand.

Ein Hang zur Selbstdarstellung lässt sich bei Baerbock nicht verleugnen. Wie sie zu Beginn ihrer Amtszeit Lawrow die Stirn geboten hatte, erzählte die Ministerin noch Jahre später in Interviews immer wieder gerne.

Demnach forderte Lawrow sie nach dem Essen auf, doch endlich den von ihr unangetasteten Wodka zu trinken. Baerbock entgegnete, so schildert sie es selbst, sie sei vor Jahren schon einmal in Russland gewesen. Damals habe man ihr geraten, härter und trinkfester zu werden, sonst werde aus ihr nie eine Spitzenpolitikerin. Nun habe es auch ohne Alkohol geklappt. «Wenn mittags Wodka trinken Härtetest ist . . . Ich habe zwei Kinder geboren.»

Zuletzt identifizierte sich Baerbock offenbar so sehr mit ihrem Amt, dass sie von sich selbst in der dritten Person sprach. Kürzlich hielt sie im Bundestag eine Rede zum Zustrombegrenzungsgesetz. Es kam zu einem denkwürdigen Schlagabtausch mit dem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei. Die Kontrahenten bezichtigten sich gegenseitig der Lüge. Baerbock, die in ihrer Funktion als einfache Abgeordnete an der Debatte teilnahm, sagte schliesslich über Frei: «Er hat der Bundesaussenministerin gerade Lüge vorgeworfen.»

Baerbock will zu den Vereinten Nationen

Da hätte man bereits ahnen können, dass sich Baerbock nach dem Wahldebakel ihrer Partei wohl nicht mehr in die Niederungen der Tagespolitik begeben würde. Wie vor wenigen Tagen bekanntwurde, will sie doch keine einfache Bundestagsabgeordnete werden, sondern als Präsidentin der Generalversammlung zu den Vereinten Nationen nach New York.

Für den Posten war eigentlich die deutsche Diplomatin Helga Schmid vorgesehen. Sie bereitet sich seit Monaten auf die Stelle vor, hatte bereits bei den Vertretungen der anderen Länder für sich geworben. Baerbock brachte sich kurzfristig selbst ins Spiel.

Der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, nannte Baerbocks Verhalten eine «Unverschämtheit». Die Ministerin selbst sieht kein Problem. Die deutsche Kandidatur sei gemeinsam vorbereitet worden, ebenso die Themensetzung, sagte sie am Donnerstag auf einer Veranstaltung in Berlin. «Deswegen geht es nicht um einzelne Personen.»

Für Baerbock schliesst sich damit gewissermassen ein Kreis. Sie ist am Ende ihrer Amtszeit in einer ähnlichen Situation angelangt wie zum Beginn. Wieder einmal traut sie sich selbst mehr zu als alle anderen. Und wieder einmal hat sie keine Beisshemmungen gegenüber etwaigen Konkurrenten.

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