Donnerstag, September 19

Das Fed hat die Zinswende vollbracht, an den Aktienmärkten herrscht Zuversicht. Die Schweizerische Nationalbank könnte es den USA mit einem grossen Zinsschritt gleichtun.

Endlich ist es so weit. Die US-Notenbank Fed hat am Mittwoch die Zinsen erstmals seit vier Jahren gesenkt. Die Leitzinsen stehen einen halben Prozentpunkt tiefer zwischen 4,75 und 5 Prozent. Damit machte der Fed-Chef Jerome Powell einen Schritt, den viele an den Börsen für überfällig hielten. Nun hat auch die wichtigste Notenbank der Welt die Zinswende vollzogen.

Die amerikanischen Börsen reagierten zuerst verhalten auf die grosse Zinssenkung um einen halben Prozentpunkt. Am Donnerstag jedoch notierten nicht nur die Börsen in Asien, Europa und in der Schweiz deutlich positiv. Auch die amerikanischen Börsen legten einen starken Handelsstart hin. Die Investoren realisieren, dass die Ära hoher Zinsen langsam zu Ende geht.

Zudem wird das Traumszenario einer sanften konjunkturellen Landung immer wahrscheinlicher. Powell habe sich bemerkenswert positiv über die US-Wirtschaft geäussert, sagt Karsten Junius, Chefökonom der Bank Safra Sarasin. «Die grössten Rezessionsängste konnte er zerstreuen. Das Fed wird alles tun, um eine sanfte Landung hinzukriegen.»

Kein grosses Ereignis

Der Fed-Chef hat den Börsianern das gegeben, was sie erwarteten: den Vollzug eines angekündigten Zinsschritts, positive Aussagen zur Konjunktur und die Aussicht auf ein weiter sinkendes Zinsniveau.

Doch Junius schränkt ein: Der grosse Zinsschritt von einem halben Prozentpunkt sei für die meisten überraschend gekommen. Noch letzte Woche rechnete man nur mit einem Schritt von 0,25 Prozentpunkten. «Gezielte Indiskretionen hatten die Markterwartung verändert», sagt er.

Doch die Grösse der Zinssenkung sei sekundär und für die Börsen kein grosses Ereignis, da sich an den geplanten Zinssenkungsschritten nichts ändere, sagt Junius. Bis Ende Jahr dürften die US-Leitzinsen insgesamt um einen weiteren halben Prozentpunkt zurückgehen – ob in einem grossen von einem halben oder in zwei kleinen Schritten von einem Viertelprozent, ist offen.

Für Thomas Rühl, Anlagechef bei der Schwyzer Kantonalbank, hat das Fed die Erwartungen spät erfüllt. Ein solcher Schritt sei früher aber auch nicht möglich gewesen, weil die US-Wirtschaft zu stark gewesen sei. Dass nun vollzogen werde, was Powell bereits in Jackson Hole vor einem Monat angekündigt habe, sei ein gutes Zeichen für das Vertrauen in die Zentralbank.

Dass sich das Fed der Erwartungshaltung der Börse gebeugt hat und den Leitzins doch um einen halben Prozentpunkt senkte, findet der Migros-Bank-Ökonom Santosh Brivio hingegen «irritierend». Denn einerseits sei die Inflation noch nicht wunschgemäss zurückgedrängt worden – die Teuerung liegt weiterhin über den angepeilten 2 Prozent. Andererseits sei die US-Wirtschaft weiterhin sehr robust.

Tatsächlich hat Powell wiederholt von einer «Rekalibrierung» der Geldpolitik gesprochen: Nun, da die Inflation zwar noch nicht den Zielwert erreicht hat, aber im Griff ist, wollen die Währungshüter das Augenmerk verstärkt auf die Konjunktur richten. Diese Rekalibrierung soll gemäss Powell die starke Wirtschaft und den Arbeitsmarkt aufrechterhalten. Das soll Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung und den Weg zu einer geldpolitisch «neutralen Haltung» ermöglichen.

Weitere Börsenturbulenzen kommen

Gemäss Junius ist der grosse Zinsschritt als «Versicherung» zu sehen und nicht als panikartige Reaktion auf eine sich abkühlende Wirtschaft. «Solange die Märkte den Schritt so interpretieren, werden Aktien und andere risikoreiche Anlagen profitieren», sagt er. Zudem sei ein jährliches Wirtschaftswachstum von 2 Prozent, von dem das Fed ausgeht, durchaus solid. «Dieses wird die Unternehmensgewinne weiter ansteigen lassen.»

Auch die Marktbeobachter der UBS sehen den Zinsschritt positiv für die Börsen. Die Aktienmärkte seien historisch gesehen in Zinssenkungsphasen des Fed gut gelaufen, solange sich die US-Wirtschaft nicht in einer Rezession befunden habe. «Dieses Mal dürfte keine Ausnahme sein», schreiben die Analytiker.

Doch was bedeutet die US-Zinswende für Anleger? Der Investmentchef Rühl sieht keinen unmittelbaren Handlungsbedarf bei der Portfolio-Allokation. Schliesslich sei der Zinsschritt angekündigt gewesen und von den Börsen antizipiert worden. In den Kursen von Aktien und Bonds war die Massnahme also bereits eingepreist.

Dabei hat der Zinsentscheid noch nicht viel mit der wirtschaftlichen Situation der Unternehmen zu tun. Diese befinden sich nämlich noch lange nicht in einem Umfeld tieferer Zinsen, das förderlicher ist für Investitionen und das die Kreditaufnahme verbilligt. «Bis das tiefere Zinsniveau auf die Realwirtschaft durchschlägt, dauert es», sagt Rühl.

In einem Marktumfeld mit tieferen Zinsen seien Aktien gegenüber Bonds grundsätzlich attraktiver, sagt er. Aber besonders in den USA sind Aktien immer noch hoch bewertet. Die Märkte bleiben trotz geldpolitischer Lockerung empfindlich, die Volatilität hat seit Sommer zugenommen. Es brauche nicht viel für einen Rücksetzer. Gemäss Rühl wird es deshalb zu weiteren Turbulenzen an den Börsen kommen.

Auch zwischen den Sektoren gibt es mit dem Zinsrückgang Verschiebungen. So würden es Finanzwerte, also Aktien von Banken und Versicherungen, schwerer haben, sagt Junius. Aber auch den lange sehr populären Tech-Aktien sei etwas Phantasie entwichen. Positiv eingestellt ist der Ökonom hingegen gegenüber Aktien zyklischer Unternehmen und klein kapitalisierten Titeln, die unter dem hohen Zinsniveau leiden.

Grosser Zinsschritt auch bei der SNB?

Der Zinsschritt der US-Zentralbank hat auch Implikationen für die Schweizer Geldpolitik. Sinken die US-Zinsen, während jene auf dem Schweizerfranken stabil bleiben, macht dies den Franken aufgrund der gesunkenen Zinsdifferenz attraktiver und führt zu einer weiteren Aufwertung. Dabei hat der Franken gegenüber dem Dollar in den letzten zwei Monaten bereits stark aufgewertet. Das ist insbesondere für Schweizer Exportunternehmen ein Problem, weil ihre Güter im Ausland teurer werden.

Insofern wird sich auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) genau überlegen, wie gross der Zinsschritt ausfallen muss, um später nicht in Zugzwang zu kommen. Dass die SNB kommende Woche eine weitere Zinssenkung ankündigen wird, gilt als sicher. Im Durchschnitt erwarten die Marktbeobachter einen kleinen Schritt von 25 Basispunkten.

Doch Thomas Rühl geht davon aus, dass die SNB den Markt wieder überraschen wird und den Leitzins um 50 Basispunkte senken könnte – um den Schweizerfranken zu schwächen, aber auch, weil das Fed und die Europäische Zentralbank die Zinsen in den kommenden Monaten weiter reduzieren wollen.

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