Dienstag, August 12

«Wednesday» ist die meistgesehene englischsprachige Serie auf Netflix. Die zweite Staffel ist schön anzusehen, scheitert aber am Drehbuch.

Weil es eine amerikanische Serie ist, in diesem Fall die zweite Staffel von «Wednesday», die von der gleichnamigen Tochter der Familie Addams handelt, bleibt sie letztlich freundlich. Denn obwohl diese Tochter dauernd böse redet, tut sie das Gute, nämlich einen Serienkiller zu finden. Damit handelt sich die Serie ein Problem ein, denn gerade diese Familie ist für ihre Boshaftigkeit bekannt. So hatte sie der Cartoonist Charles Addams in den dreissiger Jahren auch geschaffen.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Aber nett waren bereits die drei Spielfilme über die böse sein wollende Familie Addams sowie die drei Zeichentrickfilme, und die Serien vor der Netflix-Produktion waren es auch. Bereits ist eine neue im Gespräch. Sogar ein Musical wurde über diese Familie produziert, das bei der Kritik allerdings durchfiel. Und damit ist noch nichts über die Bücher, Videospiele und den Flipperkasten (er soll der erfolgreichste von allen sein) gesagt.

Tim Burton liebt seine Monster

Die erste Staffel von «Wednesday», die vor drei Jahren anlief, erreichte eine weltweite Quote von über 250 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern. Das ist die höchste Quote einer englischsprachigen Netflix-Serie überhaupt. Also konnte bei der zweiten nichts schieflaufen. Und doch funktioniert etwas Entscheidendes nicht. Denn Wednesday sagt zwar die schrecklichsten Dinge. Aber sie handelt nicht danach.

Die drei beliebtesten Fernsehfamilien der USA sind die Addams Family, die Simpsons und die Sopranos. Nur die letzte Serie ist mit bösen Menschen besetzt, die einem trotzdem sympathisch werden. «The Sopranos» eröffnete ein neues Zeitalter des Fernsehens für Leute, die auf der Höhe ihrer Intelligenz unterhalten werden wollten. Dank David Chase konnten so hochstehende Serien wie «House of Cards», «The Wire», «Breaking Bad», «Dexter», «Boardwalk Empire», «Mad Men» oder «Homeland» gedreht werden, angetrieben von labilen Hauptfiguren und ihren Dialogen, von Gewalt, psychischen Extremen und schwarzem Humor. Nur Sex passierte in diesen Serien wenig. Amerika ist ein gewalttätiges und zugleich prüdes Land. Auch seine Fernsehsender zensieren Sex viel häufiger als Gewalt.

Die Serie «The Sopranos» aus den beginnenden 2000er Jahren porträtiert einen Mafiaboss aus New Jersey, dem für seine Korruption berüchtigten Gliedstaat. Mehr noch, und diesen Einfall musste der Drehbuchautor gegen den grossen Widerstand seines Chefs durchsetzen: Schon in der fünften Folge garottiert Tony Soprano einen Mann, der seinen Clan bei der Polizei verraten hat. «Er ist ein Mafiaboss, also tötet er», sagte Chase zur Begründung. Er hatte natürlich recht.

Was der Chef des Drehbuchautors Chase nicht ertrug: Tony Soprano tritt in derselben Folge erst als liebender Vater auf, der mit seiner Tochter Schulen besucht. Dann sehen wir ihm als Mörder zu, der einen Mann erdrosselt. Sein Charakter wird noch komplexer dadurch, dass Soprano wegen seiner Panikattacken und Depressionen eine Psychiaterin aufsucht. Seine Frau hat diese Therapie zur Bedingung gemacht, dass sie sich nicht scheiden lässt. Also ist Tony Soprano, von James Gandolfini mit lethargischer Wucht gespielt, ein Vater und zugleich ein Mörder, der an schweren psychischen Symptomen leidet. Er geht gewissermassen als Opfer und Täter durch die Serie. Und erlaubte dadurch vielen Drehbuchautoren, ähnlich komplexe Figuren zu erschaffen statt Helden, die immer gut zu sein hatten, also langweilig blieben.

Nichts von dem will «Wednesday» gelingen, das gilt sowohl für die erste Staffel wie für die eben aufgeschalteten vier Folgen der zweiten. Zwar merkt man schnell, wie sehr der Regisseur Tim Burton Monster liebt, das zeigt schon seine bisherige Karriere. Aber obwohl Jenna Ortega die Hauptrolle wieder grossartig spielt, kann sie nicht verhindern, dass man die Ungeheuer nicht ernst nehmen kann, gegen die sie bestehen muss. Burton wollte eine schwarze Komödie drehen, geschaffen hat er eine harmlose Fernsehserie.

Denn schon zu Beginn wird Wednesday zur Beschützerin einer Mitschülerin, nachdem sie eine Vision ihrer Ermordung erlebt hat. Damit aber verspielt Burton die originelle Idee einer Familie, die Freude hat am Bösen und mit düsterem Humor auf andere Leute reagiert. Der enorme Erfolg der Filme und Serien gibt dem Regisseur und den Schauspielern recht. Ebenfalls erfolgreich und zugleich grausam gerieten allerdings auch «The Sopranos», in der über sechzig Menschen getötet werden.

Aber schön gedreht

Die Schule Nevermore, in die Wednesday zurückkehrt, wurde für Aussenseiter gegründet. So nennen sich diese Schülerinnen und Schüler, die mit übernatürlichen Kräften geboren sind oder sich in Werwölfe oder Zombies verwandeln, selber «outcasts». Das gibt dem Regisseur Ideen für eigenwillige Figuren. Dabei funktionieren die leiseren Effekte in der Serie besser. Je grotesker die Monster aussehen, desto weniger bekommt man Angst vor ihnen. Dafür freut man sich an der selbständig laufenden Hand, welche die Leute «Thing» nennen und die im Film mehrere grossartige Szenen hat. Aber Thing war schon immer der wahre Star der Verfilmungen.

Ausserdem ist die Serie sehr schön anzusehen, denn im Inszenieren bleibt Tim Burton so gut wie seine besten Filme. «Wednesday» scheitert an seinem Drehbuch, nicht an seiner Verfilmung.

Die ersten vier Folgen der zweiten Staffel «Wednesday» sind auf Netflix zu sehen, die weiteren erscheinen im September.

Exit mobile version