Mit der Wut auf die Alten machen es sich die Jungen zu einfach. Nur eine kollektive Anstrengung der ganzen Bevölkerung kann Frankreich aus der Krise führen, schreibt der französische Philosoph Pascal Bruckner.
Seit einiger Zeit hat Frankreich seinen Sündenbock: Die nach dem Krieg geborenen Generationen sind für die Zerstörung der Umwelt, die desolate Lage des Staatshaushalts und die Nöte der Jugendlichen verantwortlich. Denn eines steht fest: Wenn es Frankreich schlecht geht, können nur die anderen schuld sein, niemals die Franzosen insgesamt. Klassische Sündenböcke sind die Reichen, die Einwanderer, Europa oder die Alten.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, einen Gesprächspartner aufgrund seiner sozialen Klasse, seines Geschlechts, seiner Rasse oder seines Alters zu diskreditieren. Sobald man ihn auf seine soziale Herkunft oder sein Geburtsdatum reduziert hat, hört man ihm nicht mehr zu. Die zwischen 1945 und 1965 geborenen Bürger erlebten eine Zeit des Friedens, des Wohlstands und der Vollbeschäftigung, die mit dem Wiederaufbau Frankreichs nach dem Krieg bis mindestens zur Ölkrise von 1973 ihresgleichen suchte.
Aus den Trümmern der Befreiung entstand eine starke Mittelschicht. Rentner verfügen heute über ein höheres Durchschnittseinkommen als junge Arbeitnehmer und besitzen mehr als 65 Prozent des Immobilienvermögens. Die Zahlung ihrer Renten macht 14,5 Prozent des BIP aus, während 30 Millionen Erwerbstätige für 17 Millionen Rentner aufkommen müssen, das ist ein massiv verschlechtertes Verhältnis gegenüber 1970.
Die Boomer leben dank den medizinischen Fortschritten länger, und die Kosten für ihre medizinische Versorgung belasten den Staatshaushalt noch mehr. Die Arbeitslosigkeit in Frankreich trifft weiterhin vor allem junge Menschen, während die Immobilienpreise zwischen 2000 und 2020 um 160 Prozent gestiegen sind.
Die Einkommen verharren dabei auf einem niedrigen Niveau. Das erklärt die zunehmende Verarmung Frankreichs, das in der Europäischen Union inzwischen auf den zehnten Platz abgerutscht ist. Kurzum, die Senioren hinterlassen einen Planeten in Trümmern und tun sich am Elend ihrer Kinder und Enkelkinder gütlich, so lauten die Vorwürfe.
Die Irrtümer von 1968
Die Anklage muss differenziert werden. Abgesehen davon, dass sich niemand sein Geburtsdatum aussuchen kann, waren die Boomer nicht auf eine Goldader gestossen. Ihr durchschnittliches Einkommen war im Schnitt um 40 Prozent niedriger als das der neuen Generationen heute. Das kontinuierliche Wachstum der französischen Wirtschaft ab den 1950er Jahren führte zu einer enormen Verbesserung des Lebensstandards. Die Boomer arbeiteten hart, scheuten keine Mühen und profitierten nicht von der desaströsen 35-Stunden-Woche der Gegenwart.
Die polemische Anklage verwechselt die Boomer mit den Achtundsechzigern. Das sind allerdings zwei sehr unterschiedliche Erbschaften. Letztere haben einen klaren Anteil an der Verantwortung. Wenn jede Generation auf dem symbolischen Tod der vorangegangenen gedeiht, dann muss man sich daran erinnern, dass die Akteure von 1968 dieses Recht nicht nur genutzt, sondern missbraucht haben. Die Jugend wurde damals als messianische Klasse verherrlicht: «Traue keinem über dreissig!» Die Autorität wurde abgelehnt und der Vater eliminiert.
Nie war der Hass auf die sogenannten Alten so stark wie zu meiner Zeit. Wir verabscheuten an den Alten alles, was wir nicht werden wollten: die vom Leben Besiegten. Aber wir wollten sie nicht anklagen, sondern nur vor ihnen fliehen. «Lauf, Genosse, die alte Welt liegt hinter dir», lautete ein Slogan, der auf die Wände geschrieben war.
Es ist eine grausame Ironie, dass die Vorkämpfer der heutigen Jugend uns die Argumente von damals entgegenschleudern und uns vorwerfen, wir würden unberechtigte Privilegien geniessen. Früher wurden die Alten verspottet, die jungen Menschen unserer Tage beneiden sie und sind eifersüchtig auf sie. Das ist die Rückkehr des Bumerangs: Wir sind zu denen geworden, die wir einst verachteten.
Das Drama der antiautoritären Erziehung
Der wahre Fehler der Boomer, der verwöhnten Sprösslinge des 20. Jahrhunderts, besteht darin, dass sie ihren Kindern nur die Ablehnung von Autorität, die mit Willkür gleichgesetzt wurde, vermitteln wollten. So haben diese berufsjugendlichen Erwachsenen ihre Kinder nicht für die Aufgaben gerüstet, die auf sie warteten. Im schönen Irrglauben, eine neue Menschheit zu gebären, haben sie ängstliche, hilflose Menschen hervorgebracht, die von Depressionen und Anflügen des Nihilismus bedroht werden.
Daher kommen der Ruf nach Ordnung und das Bedürfnis nach Orientierungspunkten um jeden Preis. Und auch darum werden die Teenager bis zu ihrem 30. Lebensjahr und darüber hinaus nicht erwachsen, wohnen bei ihren Eltern und nisten sich dort ein. Gelegentlich flehen sie dann diese sogar an, sie mögen ihnen dabei helfen, sich gegen sie aufzulehnen. Es ist das Drama einer allzu liberalen Erziehung ohne Verbote und Rahmen, dass sie es versäumt haben, die Kinder zu erziehen.
Je mehr sie uns ablehnen, desto ähnlicher werden sie uns. Sie sind weinerlich und aggressiv zugleich, schreien ihr Unglück heraus und geben uns die Schuld an ihrem Unwohlsein. Wir haben so sehr versucht, sie vor Schicksalsschlägen zu bewahren, dass wir sie nicht für die kommenden Zeiten der Not und des Chaos wappnen konnten.
In Frankreich erlebt man seit Anfang des Jahrhunderts das verwunderliche Schauspiel, dass Gymnasiasten mit grauen Schläfen für ihre Renten demonstrieren. Noch bevor sie überhaupt zu arbeiten begonnen haben, denken sie bereits über den Abschluss ihrer Karriere nach. Für sie sollte das Leben von Anfang bis Ende sicher sein. Da das Leben schwer ist, soll wenigstens sein Ende vom Staat garantiert werden: Der Herbst wird uns für die Leiden der Jugend und der Reife entschädigen. Das wahre Leben, wenn es denn eines gibt, wird später kommen.
Heilige Feiertage
Das Leben ist ein schmerzhafter Weg, den man mit etwa sechzig Jahren verlässt, um in die verzauberte Klammer namens Ruhestand einzutreten: Der Ruhestand ist zu einer Oase geworden, zu einem Schutz, den die Nation den Frauen und Männern bietet, die bis dahin durchgehalten haben. Es wird postuliert, dass es nur fernab der Arbeit ein authentisches Schicksal gibt und dass man die Welt erst ab einem bestimmten Alter geniessen kann.
So versteht man, warum die Feiertage in Frankreich heilig sind und als Tabu gelten. Und man versteht auch den Aufschrei der Wut, der die ganze Nation erfasste, als François Bayrou vorschlug, zwei Feiertage im Mai zu streichen. Ein absolutes Sakrileg. Eine Umfrage vor zehn Jahren ergab, dass 70 Prozent der Franzosen unter dreissig Jahren eine Beamtenlaufbahn anstrebten, die vor allen Unwägbarkeiten geschützt ist, auch wenn die Attraktivität des öffentlichen Dienstes abnimmt.
Die jungen Leute scheinen die Avantgarde der grössten Partei Frankreichs zu sein: der Partei der Angst. Die Franzosen haben Angst vor der Welt, Angst vor der Zeit, Angst vor ihrer Deklassierung, Angst vor den anderen und noch mehr Angst vor ihrer eigenen Angst, die sich unter ihnen blitzschnell ausbreitet. Dieses Gefühl, das von den Medien geschürt wird, kommt zu dem allgemeinen Pessimismus in unserem Land hinzu und macht es zum kranken Mann Europas.
Die Suche nach Sündenböcken vergisst, dass Frankreichs Abwärtstrend auf die Verantwortung der herrschenden Eliten seit 1981 zurückzuführen ist, die sich in eine Schuldenabhängigkeit begeben haben, verbunden mit einer Verkürzung der Arbeitszeit und der Forderung nach einer Rente mit 62 Jahren. Sie gewannen für dieses Konzept der Volksbeglückung die Komplizenschaft aller Franzosen, ob arm oder reich.
Welche Welt werden wir unseren Kindern hinterlassen, fragt sich die Volksweisheit. «Welche Kinder werden wir der Welt von morgen hinterlassen?», konterte einmal der Philosoph Jaime Semprun. Der Zorn auf die Alten, eine Art nationaler Ödipus, sperrt seine Anhänger in ein geistiges Gefängnis. Nur eine kollektive Mobilisierung aller Altersklassen wird es unseren Landsleuten ermöglichen, die Zukunft wahrhaftig zu gestalten und aus dem Ressentiment auszubrechen.
Pascal Bruckner ist Philosoph und Schriftsteller. Er lebt in Paris. – Übersetzt aus dem Französischen.

