Mittwoch, Januar 22

Das verheerende Feuer kostete 76 Menschen das Leben. Das Hotel hatte kaum Brandschutzeinrichtungen. Die Qualitätskontrolle versagte. Das weckt nicht gerade das Vertrauen künftiger Touristen. Dabei sollte die Branche gerade im türkischen Hinterland wachsen.

Der verheerende Brand in der Nacht auf Dienstag im Berghotel Grand Kartal hat die Türkei erschüttert. 76 Menschen sind bei der Katastrophe ums Leben gekommen. Dutzende von ihnen sind noch immer nicht identifiziert. Die Regierung hat einen Trauertag ausgerufen, vielerorts wehen die Flaggen auf halbmast. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan reiste am Mittwoch mit seiner Frau ins Unglücksgebiet, um einer Beisetzung von Todesopfern beizuwohnen.

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Im Schatten der Tragödie hat eine hitzige Debatte um die Verantwortung für die Katastrophe eingesetzt. Dass bauliche Mängel zur grossen Opferzahl beigetragen haben, scheint dabei unbestritten. Lokale Medien zitieren Überlebende, wonach das mit Holz verkleidete Hotel nur über unzureichende Brandschutzeinrichtungen verfügt habe. Der Feueralarm habe nicht funktioniert, eine Sprinkleranlage sei trotz entsprechender Vorgabe nie installiert worden, die Feuerleitern seien schwer zugänglich gewesen.

Entsprechend schnell waren die im Schlaf vom Brand überraschten Gäste von den Flammen eingeschlossen. Im Zusammenhang mit der Katastrophe hat die Polizei mittlerweile elf Personen festgenommen, unter ihnen den Hotelmanager und einen Leiter der lokalen Feuerwehr.

Schwarzpeterspiel zwischen Regierung und Opposition

Politisch heikler ist die Frage, warum ein offenbar ungenügend ausgestattetes Hotel überhaupt über eine Betriebslizenz verfügt. Wie meist in der Türkei hat dieser Streit auch eine parteipolitische Dimension. Regierung und Opposition schieben sich den schwarzen Peter gegenseitig zu.

Das Tourismusministerium in Ankara macht die Stadtverwaltung von Bolu und die lokale Feuerwehr für die unzureichende Kontrolle der Brandschutzmassnahmen verantwortlich. Ausserdem sei die Feuerwehr zu spät am Brandort eingetroffen.

Bolu ist die nächstgrössere Stadt und Hauptort der gleichnamigen Provinz. Der Bürgermeister Tanju Özcal gehört der grössten Oppositionspartei, CHP, an. Der kemalistische Politiker verfügt landesweit über eine gewisse Bekanntheit, auch wegen rabiater Massnahmen gegen syrische Flüchtlinge und der harschen Kritik an Erdogans Migrationspolitik.

Abgebranntes Hotel war zertifiziert

Laut dem Bürgermeister Özcal ist allerdings nicht seine Stadt, sondern das Tourismusministerium für die notwendigen Inspektionen verantwortlich. Schliesslich befinde sich das Hotel ausserhalb des Gemeindegebiets. Tatsächlich überschneiden sich in diesem Fall die Zuständigkeiten.

Das regierungskritische Nachrichtenportal «T24» berichtet, dass das abgebrannte Hotel im vergangenen Jahr von der staatlichen Agentur für Tourismusförderung ein Zertifikat für nachhaltigen Tourismus erhalten habe. Einige im Zertifizierungsprozess vorgesehene Schulungen sollen jedoch nie durchgeführt worden sein.

Dazu zählt pikanterweise auch jene zum Brandschutz. Ausserdem gehört der Besitzer des abgebrannten Hotels dem lokalen Vorstand der staatlichen Agentur für Tourismusförderung an, also jener Einrichtung, die sein Hotel zertifiziert hat.

Der Innenminister Ali Yerlikaya hat versprochen, die Verantwortlichkeiten innerhalb von zehn Tagen zu klären. Das Berichterstattungsverbot, das Ankara nach der Katastrophe verhängte, wurde am Mittwoch aufgehoben.

Unterschiedliche Skandale, ähnliche Ursachen

Undurchsichtige Verstrickungen dieser Art dürften unter Regierungskritikern den ohnehin verbreiteten Eindruck bestärken, dass sich in der mittlerweile 23-jährigen Regierungszeit von Erdogans AK-Partei vielerorts korrupte Strukturen gebildet haben, die das Gemeinwohl dem finanziellen Gewinn unterordnen.

In der Zeitung «Cumhuriyet», dem Leibblatt der oppositionellen CHP, schreibt ein Kommentator: «Die Hotels sind teuer, aber das Leben ist nichts wert.» Andere Stimmen verweisen auf die baulichen Missstände, die nach dem Erdbeben im Südosten zutage getreten waren, oder auf den sogenannten Neugeborenen-Skandal im vergangenen Herbst.

Aus Profitgründen waren in mehreren Privatspitälern schwerkranke Neugeborene systematisch in Intensivabteilungen verlegt worden, auch wenn diese für die Behandlung gar nicht eingerichtet waren. Dutzende von Kleinkindern, die vielleicht hätten gerettet werden können, kamen ums Leben.

Schlechte Werbung für die Türkei

Der Brand wirft aber darüber hinaus auch einen Schatten auf die türkische Tourismusindustrie. Im vergangenen Jahr haben erstmals mehr als 50 Millionen ausländische Gäste das Land besucht. Die Hotspots des hiesigen Fremdenverkehrs – Istanbul, Kappadokien und die Mittelmeerküste – gehören zu den internationalen Top-Destinationen schlechthin. Abseits der grossen Besucherströme gibt es aber teilweise erhebliche Qualitätsunterschiede.

Der Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy setzt für ein anhaltendes Wachstum des wichtigen Wirtschaftszweigs seit längerem auf eine Diversifizierung der Branche. Ein Aspekt davon ist der Wintertourismus. Obwohl die Türkei vor allem mit Badeferien in Verbindung gebracht wird, hat sie mit ihrer gebirgigen Landschaft und dem kontinentalen Klima auch in der kalten Jahreszeit einiges zu bieten. Mit Ausnahme des Skigebiets Palandöken bei Erzurum, das etwa auch Gäste aus Russland anlockt, ist das ausserhalb der Landesgrenzen aber weitgehend unbekannt.

Die Brandkatastrophe von Kartalkaya hat den türkischen Wintersport nun auf einen Schlag in die Medien gebracht – jedoch auf die denkbar schlechteste Art.

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