Mittwoch, Oktober 2

Eine teilweise eingestürzte Brücke in Dresden ist zum traurigen Symbol für den Zustand der öffentlichen Infrastruktur in Deutschland geworden. Das Land fährt schon zu lange auf Verschleiss.

Das Bild, mit dem die Deutschen am Mittwochmorgen erwacht sind, wird in die Annalen eingehen: Sämtliche Medien zeigten die Carolabrücke, die im Zentrum von Dresden die Elbe überspannt und kurz nach drei Uhr nachts teilweise eingestürzt ist. Einfach so. Glücklicherweise kam niemand zu Schaden. Gleichwohl ist der Einsturz für ein reiches Industrieland, das zu Recht stolz ist auf seine Ingenieure, an Peinlichkeit kaum zu überbieten.

Mangelnde Wartung

Auch wenn die genaue Ursache noch untersucht wird, sind sich Fachleute einig: Der Vorfall ist ein besonders krasses Beispiel für den maroden Zustand der deutschen Infrastruktur. Zahlreiche Studien und Berichte würden seit Jahren zeigen, dass Deutschland erheblich mehr in die Instandhaltung seiner Infrastrukturen investieren müsse, hielt die Bundesingenieurskammer als Reaktion auf den Einsturz fest. Besonders alarmierend sei der Zustand vieler Brücken, die aufgrund mangelnder Wartung und Ertüchtigung schon jetzt ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellten.

In Deutschland gibt es gut 40 000 Brücken im Netz der Bundesfernstrassen (Autobahnen und Bundesstrassen), über 60 000 kommunale Brücken und über 25 000 Eisenbahnbrücken. Die Carolabrücke gehört zu den kommunalen Werken, für sie ist die Stadt Dresden zuständig. Sie wurde zu DDR-Zeiten gebaut und 1971 in Betrieb genommen. Teile davon wurden bereits saniert, die Sanierung des nun eingestürzten Brückenzugs war für 2025 geplant.

Rahmede-Tal-Brücke gesprengt

Doch marode Brücken gibt es nicht nur im Osten und nicht nur auf kommunaler Ebene. Bisheriges Symbol der Misere war vielmehr die Talbrücke Rahmede, die als Teil der Autobahn 45 im Westen stand und für die die bundeseigene Autobahn GmbH zuständig ist. Im Dezember 2021 wurde sie infolge schwerer Schäden ungeplant gesperrt, im Mai 2023 gesprengt. Derzeit wird ein Ersatz gebaut. Bis die neue Brücke steht, quält sich der Verkehr durch die nahe Kreisstadt Lüdenscheid im Bundesland Nordrhein-Westfalen.

Immerhin konnte sie – wie eine Reihe weiterer Brücken – rechtzeitig gesperrt werden, zumal Brücken in Deutschland zu den am besten kontrollierten Bauwerken zählen. Laut der jüngsten Statistik der Bundesanstalt für Strassenwesen, einer Forschungseinrichtung des Verkehrsministeriums, waren im März 2024 fast ein Zwanzigstel der gut 40 000 Brücken der Bundesfernstrassen in einem schlechten Zustand: Bei 4 Prozent war der Zustand «nicht ausreichend», bei weiteren 0,4 Prozent sogar «ungenügend».

Von der Substanz gelebt

Vor diesem Hintergrund ist die Infrastruktur zu einem Faktor geworden, der in Umfragen bei Unternehmen und in internationalen Rankings nicht mehr als Standortvorteil, sondern als Standortnachteil Deutschlands gilt.

Wie konnte es so weit kommen? Als Hauptursache gilt, dass das Land viel zu lange von der Substanz gelebt und zu wenig investiert hat. Man habe seit zwanzig Jahren eine deutlich niedrigere Investitionsquote des Staates als alle europäischen Partner, sagte Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), nach dem Brückeneinsturz der «Tagesschau». Zudem seien viele Infrastrukturen zwischen Mitte der 1960er und Mitte der 1980er Jahre unter anderen Prognosen für das Verkehrsaufkommen und mit anderen bautechnischen Möglichkeiten gebaut worden. In den letzten 30 Jahren aber sei der Strassenverkehr um 40 Prozent gewachsen. Darauf sei nicht reagiert worden.

Besonders viele Autobahnbrücken sind in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren entstanden. Fünfzig Jahre später wäre selbst bei guter Pflege eine Generalsanierung fällig, sagte IW-Verkehrsexperte Thomas Puls letztes Jahr der NZZ. Die gute Pflege habe es aber nicht gegeben. Zwar hat die Ampelregierung ein Brückenmodernisierungsprogramm gestartet, in dessen Rahmen innert 10 Jahren rund 4000 Autobahnbrücken modernisiert werden sollen. Doch der Trend zur Verschlechterung sei noch nicht gestoppt, dieses Jahr würden nur 220 Brücken saniert, monierte Hüther.

Es geht nicht nur um Geld

Ein Grund für den Rückstand sind knappe Budgets für Infrastruktur-Investitionen auf allen Ebenen – was auch an einer falschen Prioritätensetzung in den Haushalten liegen kann. Finanzminister Christian Lindner betont zwar stets, die Regierung habe die Mittel für Investitionen erhöht. Dem hält Hüther aber entgegen, dass es sich nur um eine nominale Erhöhung handle und sich wegen gestiegener Baukosten real nichts verbessert habe.

In einer im Mai veröffentlichten gemeinsamen Studie haben das IW und das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung den zusätzlichen Investitionsbedarf für die öffentliche Infrastruktur, darunter Strassen-, Schienen- und Energienetze sowie Schulen, auf 600 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre geschätzt. In dieser Summe enthalten sind 39 Milliarden für Fernstrassen und 177 Milliarden kommunale Infrastruktur (vor allem Schulen und Strassen).

Finanziert werden könnte dieser Bedarf laut der Studie durch einen kreditfinanzierten Infrastrukturfonds, der wie das «Sondervermögen» Bundeswehr nicht auf die Schuldenbremse angerechnet würde, oder eine goldene Regel, die dem Staat die Aufnahme von Krediten in Höhe der Investitionen erlauben würde. Politisch ist beides derzeit wenig realistisch, ökonomisch ist es umstritten.

Endlose Verfahren

Doch selbst mit erheblichen zusätzlichen Mitteln könnte der Rückstand nicht von heute auf morgen überwunden werden. Denn als weitere wichtige Hürde gilt der Mangel an Bauingenieuren und weiteren Fachkräften, ob bei den Behörden oder in der Bauwirtschaft.

Zudem leiden auch Infrastrukturprojekte unter der wuchernden Bürokratie. Immerhin wurde letztes Jahr ein Gesetz verabschiedet, das die Verfahren im Verkehrsbereich beschleunigen und vereinfachen soll. Es führt unter anderem dazu, dass die Genehmigungspflicht und eine Umweltverträglichkeitsprüfung auch dann entfallen, wenn eine bestehende Brücke im Zuge der Sanierung zugleich erweitert wird. Dies soll den Planungs- und Genehmigungszeitraum halbieren. Mit den bisherigen Verfahren dauerte die Sanierung beziehungsweise der Ausbau einer Brücke unglaubliche fünf bis 18 Jahre.

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