Der tschechische Stürmer ist der bis jetzt mitreissendste Akteur der National-League-Saison – um den Wechsel nach Zug zu ermöglichen, bezahlte er die Hälfte der Transfersumme aus dem eigenen Sack. Hier trifft er nach Belieben und polarisiert eifrig.
Am 28. April wird Ocelari Trinec nach dem vermutlich wildesten Play-off in der Geschichte des tschechischen Eishockeys Meister. Die knapp sechs Wochen sind so verrückt, dass sie gerade zu einem Film verarbeitet werden. Denn Trinec gewann alle drei Play-off-Serien mit 4:3. Wandelte im Halbfinal gegen Sparta Prag als erste Equipe in der Historie der Extraliga überhaupt einen 0:3-Rückstand noch um – im 6. Spiel fiel der Ausgleich 0,2 Sekunden vor Schluss aus unmöglichem Winkel. Spiel 7 gewann Trinec in der vierten Verlängerung. Im Final gegen das hoch favorisierte Pardubice drehte Trinec in Absenz diverser verletzter Schlüsselspieler ein 2:3 und siegte in der Belle auswärts in der zweiten Overtime.
Es war ein Frühjahr für die Ewigkeit. Und für Daniel Vozenilek das Signal, dass die Zeit für Veränderungen gekommen ist. Vozenilek, 28, ist ein knorriges Muskelpaket, das sich erst im letzten Winter zum Aushängeschild Trinec’ aufschwang. Ein Spätzünder, der noch 2020 in der zweiten Liga gespielt hatte, weil in der Beletage niemand an ihn glaubte. Er war es, der 0,2 Sekunden vor dem Ende die Saison verlängerte.
Ein paar Wochen später wurde Vozenilek mit Tschechien Weltmeister. Und in ihm verstärkte sich das Gefühl, in der Heimat eigentlich alles erreicht zu haben. Er liebäugelte mit der NHL, aber die passende Offerte traf nicht ein. Reto Kläy, der Manager des EV Zug, hatte sich da bereits monatelang um ihn bemüht. Und Vozenilek schien einem Wechsel in die Schweiz nicht abgeneigt. Aber sein Vertrag in Trinec lief noch bis 2026, und der Spitzenklub hatte selbstredend wenig Interesse, seinen besten Stürmer abzugeben. «Ich habe praktisch um die Freigabe gebettelt», sagt Vozenilek. Mitte November sitzt er in Cham im Trainingszentrum OYM, gerade hat er mit dem EVZ das Morgentraining hinter sich gebracht.
Mistr světa ❤️🔥🔥🔥 pic.twitter.com/pMkU2f03hA
— Daniel Voženílek (@Vozenilek6) May 26, 2024
Betteln allein hätte kaum zum Erfolg geführt. Aber am Ende verständigten sich die Parteien auf eine Lösung, bei der Vozenileks Vertrag in Trinec ab 2026 weiterläuft und der Klub für den Wechsel über zwei Jahre gesehen eine Entschädigung im tiefen sechsstelligen Bereich erhält. Wobei sich die Entscheidungsträger dort derzeit hintersinnen dürften: Der Meister liegt nach 21 Runden auf dem vorletzten Platz.
Im Eishockey erhält man für 100 000 Franken einen Weltklassespieler
Es ist selten, dass im Eishockey Transfersummen fliessen, schon gar in dieser Grössenordnung. Es ist ein krasser Kontrast zum Fussball, wo man für 100 000 Franken im besten Fall ein schepperndes Occasionsmodell von der Resterampe erhält – Sittens Captain Reto Ziegler beispielsweise.
Im europäischen Eishockey aber bekommt man einen Weltklassestürmer. Und der zahlt die Hälfte der Ablöse sogar aus der eigenen Tasche, so wichtig war Vozenilek der Transfer. «Ich brauchte eine neue Herausforderung, das Geld ist mir nicht so wichtig», sagt Vozenilek. Das ist ein verdächtiger Satz, der meist von den allergierigsten Raffzähnen überhaupt vorgetragen wird, bevor sie eine TV-Werbung für Sunrise drehen oder nach Saudiarabien wechseln.
Aber beim dreifachen Familienvater Vozenilek scheint er zuzutreffen – sein Salär bewegt sich in Zug im gleichen Rahmen wie in Tschechien. Eine gewisse Bescheidenheit scheint in der Familie zu liegen: Vozenileks drei Jahre älterer Bruder Marek spielt seit Jahren in der zweiten tschechischen Liga, verdient dort um die 2000 Franken und ist schlicht glücklich darüber, den Lebensunterhalt mit Eishockey bestreiten zu können.
Daniel kostet ein bisschen mehr, war für den EVZ aber bisher jeden Rappen wert. Im Oktober traf er in elf Spielen in Folge und stellte einen Klubrekord auf; er hat alle Erwartungen übertroffen. Auch die des Trainers Dan Tangnes, wobei das nicht so schwierig war. Man muss es Tangnes anrechnen, dass er im Fall des Mannes der Stunde keinen Revisionismus betreibt. Denn die Versuchung ist gross, zu sagen: O ja, der Vozenilek, von dem träume ich schon, seit er 2016/17 in der zweiten finnischen Liga sechs Tore erzielt hat. Aber Tangnes sagt: «Als wir zum ersten Mal über ihn diskutierten, war ich skeptisch. Er bringt sehr viele Qualitäten mit. Aber ich wusste nicht, ob er schnell genug ist für unsere Liga. Ist er offensichtlich schon. Er ist ein enormer Gewinn für unsere Mannschaft.»
Denn Vozenileks Wert beschränkt sich nicht auf seine Skorerwerte, er ist kein eindimensionaler Offensivkünstler. Er bereichert den EVZ um ein Element, das dieser allzu konformistischen Organisation in den Jahren nach dem letzten Meistertitel von 2022 gefehlt hat. Mit seinen 190 Zentimetern und 98 Kilo gehört er zu den physisch stärksten Spielern der Liga, vermutlich sogar Europas. Es hat noch keinen Check gegeben, dem er willentlich ausgewichen ist. Tangnes sagt: «Ich bin mir ziemlich sicher, dass er bei den Gegnern der meistgehasste Spieler der Liga ist.»
Folgt im Sommer der Absprung in die NHL?
In dieser Hinsicht gemahnt er an jenen Akteur, dessen Tor-Bestmarke er verbesserte: Bill McDougall, ein berüchtigtes Raubein, das sich gerne stritt. Und noch lieber feierte: McDougall war für seine Alkoholeskapaden berüchtigt. Oft wurde er von der Polizei gebüsst, und als der gestrenge Präsident Fredy Egli einen nicht bezahlten Strafzettel in der Kabine einfordern wollte, fielen leere Bierflaschen aus dem Garderobenspind des Kanadiers. Vozenilek sind solche Ausschweifungen fremd: Er wurde schon mit 21 Vater; es war ein bewusster Entscheid, weil die älteren Teamkollegen stets jammerten, sie hätten zu wenig Energie für ihre Kinder.
Nach 24 Runden ist Vozenilek hinter Klotens wiedererstarktem Finnen Miro Aaltonen der zweitbeste Torschütze der National League. Er hat grossen Anteil daran, dass Zug die mit einigem Abstand beste Offensive der Liga stellt – er ist ein Quell steter Unruhe. Es braucht nicht allzu viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass er im Sommer schon wieder weiterziehen könnte – in Richtung NHL.
Tangnes sagt: «Er ist gross, stark, beweglich und skort. Was will man mehr? Eigentlich ist er der Prototyp eines NHL-Flügels.» Die Frage ist, ob die NHL-Scouts und -Manager ihre Meinung vergleichbar zügig revidieren wie der Zuger Coach. Für Vozenilek wäre es der verdiente Lohn für ein Investment in sich selbst, das nicht jeder gewagt hätte.
Die Resultate vom Wochenende: Ambri-Piotta – Fribourg-Gottéron 5:3 (1:1, 0:1, 4:1). Davos – Ajoie 4:3 (3:0, 0:2, 1:1). Genève-Servette – Bern 2:3 (0:0, 1:2, 1:1). Kloten – Biel 4:3 (0:1, 1:1, 2:1, 1:0) n.V. ZSC Lions – Lugano 5:1 (1:0, 3:1, 1:0). Lausanne – SCL Tigers 4:1 (0:0, 3:0, 1:1). – Rangliste: 1. Davos 23/46. 2. Lausanne 23/45. 3. ZSC Lions 21/43. 4. Bern 24/39. 5. Kloten 23/38. 6. Zug 23/38. 7. Biel 23/34. 8. Rapperswil-Jona Lakers 23/31. 9. Lugano 21/28. 10. Fribourg-Gottéron 23/28. 11. Ambri-Piotta 21/27. 12. SCL Tigers 21/26. 13. Genève-Servette 19/24. 14. Ajoie 22/18.