Mittwoch, Oktober 23

Gewinnwarnungen und Entlassungen prägen derzeit die deutsche Autoindustrie. Durch die Deglobalisierung, Technologietrends und den Aufstieg Chinas werden die Karten in der Branche wieder einmal neu gemischt. Den deutschen Herstellern droht ein Bedeutungsverlust.

Detroit steht wie keine andere Stadt für den Auf- und Abstieg der amerikanischen Automobilindustrie. Die Metropolregion am Lake St. Clair ist bis heute Hauptsitz von General Motors (GM), Ford sowie der inzwischen nicht mehr eigenständigen Marke Chrysler. Doch die Zahl der Arbeiter in den Fabriken vor Ort ist massiv gesunken. 1950 lebten in der damals boomenden «Motor-City» 1,8 Millionen Menschen. Inzwischen ist die Bevölkerung auf rund ein Drittel geschrumpft, obwohl es seit ein paar Jahren in der Stadt wieder aufwärtsgeht.

Eine Mischung aus eigenen Fehlern, gesellschaftlichen Umwälzungen und globalen Veränderungen hat zum Niedergang über die Jahrzehnte beigetragen, in den nuller Jahren beschleunigte er sich nochmals. In Deutschland sind in der Branche nun ähnliche Phänomene beobachtbar. Die deutsche Autoindustrie steht daher vor ihrem Detroit-Moment.

Die neuen Wettbewerber im Automarkt kommen aus China

In den 1990er Jahren hatte die Autobranche in den USA dank dem Erfolg von margenstarken Pick-ups und grossen Geländewagen nochmals eine Blütezeit. Doch in der zugleich beginnenden Ära des Freihandels und der Globalisierung kamen vor allem die asiatischen Konkurrenten stärker auf und drangen immer mehr in diese uramerikanischen Segmente vor. Selbst im Mittleren Westen waren grosse Japaner wie der Toyota Camry und der Honda Accord plötzlich gefragte Modelle.

Erhebliche Qualitätsprobleme, unattraktive Produkte und enorme Schulden, gepaart mit hohen Spritpreisen und überheblichen Managern, sorgten nach der Jahrhundertwende für den Niedergang, der 2009 in der vorübergehenden Insolvenz von GM gipfelte. Der Konzern musste von einst dreizehn Marken bekannte amerikanische und europäische Brands wie Pontiac, Saturn, Oldsmobile und Opel/Vauxhall aussortieren oder verkaufen. Im Jahr 2013 war dann auch die Stadt Detroit pleite.

Doch die jetzt anstehenden Herausforderungen für die deutschen beziehungsweise europäischen Hersteller sind noch viel grösser als die einstigen Unwägbarkeiten ihrer amerikanischen Pendants in den 2000er Jahren. Daher droht auch ihnen der internationale Abstieg einhergehend mit erheblichen Marktanteilsverlusten, vor allem dem Massenanbieter Volkswagen, aber auch Mercedes-Benz, BMW, Audi und sogar Porsche. Die neuen Konkurrenten kommen nun nicht aus Japan, sondern aus China.

Im globalen Wettbewerb der Autohersteller gelten völlig neue Spielregeln, seit die Politik den Umstieg auf die Elektromobilität forciert und die Digitalisierung voranschreitet. Während für den Erfolg und das Markenimage in der alten Verbrennerwelt neben Design und Qualität vor allem Motor, Fahrwerk und Getriebe entscheidend waren, kommen nun wichtige neue Faktoren hinzu: Konnektivität mit dem Handy, Infotainment-Angebote sowie das teilautonome Fahren. Für die Autobranche sind die Herausforderungen gewaltig, die Folgen auch.

Reihenweise Gewinnwarnungen deutscher Autokonzerne

Die ersten Vorzeichen der möglichen Entwicklung sind bereits zu erkennen. Zahlreiche Gewinnwarnungen und sinkende Absätze prägen das Jahr 2024 für die deutschen Hersteller und ihre Lieferanten. Ein Umschwung ist nicht in Sicht. Die amtierenden Manager müssen zum Teil den zu zögerlichen oder falsch angegangenen Umstieg auf die neuen Technologien durch ihre Vorgänger und die grosse Abhängigkeit vom chinesischen Markt ausbaden.

Welche Auswirkungen die Autorevolution hat, zeigt sich bereits in den Ranglisten der globalen Verkäufe, unterschieden nach Verbrennern und reinen Elektrofahrzeugen. Bei Autos mit Verbrennungsmotor tauchen mit Toyota, Volkswagen und Hyundai/Kia altbekannte Namen an der Spitze auf, während die Liste bei den Elektroautos von chinesischen Marken wie BYD, SAIC, Li Auto und Geely dominiert wird. Mit BMW und Volkswagen gab es im Jahr 2023 nur zwei Unternehmen, die in beiden Ranglisten unter den Top Ten waren.

Doch die zwei deutschen Namen in beiden Ranglisten täuschen, denn VW hat mit seinen Marken im chinesischen Elektrosegment bereits den Anschluss an die einheimischen Hersteller verloren, wie die jüngsten Verkaufszahlen zeigen. Dies könnte ein Vorgeschmack darauf sein, was BMW und Mercedes-Benz in der Oberklasse noch blüht.

Für China zahlt es sich nun aus, dass dort Regierung und Hersteller im Wissen um den uneinholbaren Rückstand bei Verbrennern seit vielen Jahren die E-Mobilität mit Macht vorantreiben. Derzeit liegt der Anteil aller elektrischen Fahrzeuge (New Energy Vehicle) am Gesamtabsatz bereits bei rund 50 Prozent. Vor allem in den USA, aber auch in der EU kommen die Verkäufe nicht annähernd an diese Werte.

Zugleich haben die chinesischen Anbieter mit den noch sehr gewöhnungsbedürftigen Namen damit begonnen, zu exportieren. Da die USA diesen Angriff durch Zölle in Höhe von 100 Prozent abzuwehren versuchen, dürfte sich der chinesische Effort auf Europa konzentrieren, wo deutlich niedrigere Zölle geplant sind. Die hohen Stückzahlen bei der Produktion von E-Autos im Reich der Mitte sorgen durch Skaleneffekte für niedrigere Kosten, die durch tiefe Löhne noch verstärkt werden. Experten schätzen, dass chinesische Hersteller ihren Anteil am Weltmarkt von 20 auf rund 30 Prozent im Jahr 2030 erhöhen könnten.

Schrumpfender Markt bei zunehmender Konkurrenz

Während die Elektroautos deutscher Provenienz in China wenig Anklang finden, verkaufen sie sich auf dem heimischen Markt aus anderen Gründen schlecht. Der Absatz geht stark mit staatlichen Anreizen einher. Brechen diese weg, gehen auch die Verkäufe sofort zurück, wie nicht nur das Beispiel Deutschland in den vergangenen Quartalen gezeigt hat. Berlin hatte kurz vor dem Jahreswechsel 2023/24 quasi über Nacht die Kaufprämien für Elektroautos aus Spargründen abgeschafft.

Die Nachfrage liegt derzeit weit hinter den Hoffnungen der Hersteller. Die dadurch bestehenden Überkapazitäten drücken nun auf die Gewinnmargen. Zum schwachen Absatz kommt die steigende Konkurrenz, nicht nur aus dem Reich der Mitte, sondern auch durch reine E-Auto-Firmen wie Tesla und neue Anbieter aus dem IT-Sektor.

Zudem verschlechtern sich die Standortbedingungen in der Autonation Deutschland. Belastend sind nicht nur die sehr hohen Löhne, sondern inzwischen auch die immensen Strom- und Energiekosten, vor allem im Vergleich mit den USA und China.

Dazu kommen die exzessive deutsche Bürokratie mit langen Genehmigungsverfahren sowie aufwendige EU-Regeln wie das Lieferkettengesetz und die Nachhaltigkeitsregeln (Taxonomie). Kein deutscher Hersteller oder Zulieferer käme noch auf die Idee, im Heimatland ein neues Werk zu errichten. Im Gegenteil: In Deutschland läuft eine massive Mitarbeiterreduktion, während Hersteller und Zulieferer neue Fabriken in Osteuropa und Asien errichten.

Aus Brüssel kommt zudem weiteres Ungemach. Erstens werden die Flottengrenzwerte für CO2-Emissionen noch strenger, wodurch vor allem Volkswagen und Stellantis Strafen in der Höhe von Milliarden drohen, die dann für Investitionen fehlen. Zweitens will die EU auf den höheren Wettbewerb aus China wie bereits erwähnt mit Zöllen reagieren, was die Gefahr eines Handelskriegs erhöht. Dies träfe deutsche Hersteller doppelt. Sie sind zum einen die grössten Exporteure, wenn es um das Reich der Mitte geht, während Stellantis und Renault dort kaum präsent sind. Zum anderen importieren sie in China produzierte Modelle nach Europa.

Entlassungen und drohende Werkschliessungen

Die Globalisierung hat zum Zerfall der amerikanischen Autokonzerne beigetragen, nun könnte die Deglobalisierung, einhergehend mit Digitalisierung und E-Mobilität, die deutschen Hersteller hart treffen. In den 1990er Jahren kamen die Big Three aus Detroit noch auf einen Weltmarktanteil von rund 35 Prozent, heutzutage sind es gerade einmal noch etwa 15 Prozent. Schon ein viel schwächerer Rückgang würde manchen deutschen Hersteller bis ins Mark erschüttern, wie der erbitterte Streit bei VW um Entlassungen und Werkschliessungen zeigt.

Die Samen des Niedergangs sind gesät. Das bedeutet aber nicht, dass die VW-Heimat Wolfsburg wie Detroit und Volkswagen wie General Motors endet. Die Hersteller und ihre Zulieferer müssen sich mit attraktiven Produkten und wettbewerbsfähigen Preisen selbst aus der Misere kämpfen; gute Standortbedingungen im Heimmarkt hülfen dabei. Die Basis für ein Comeback ist dank guter Ingenieurskunst, finanzieller Stabilität und starken Marken vorhanden. Doch der Anteil der Hersteller aus der Autonation Deutschland am Weltmarkt dürfte kleiner werden. Darauf müssen sich die Konzerne einstellen.

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