Sonntag, April 20

Die Schweizer Bahnen jammerten auf hohem Niveau, sagt Peter Füglistaler, der abtretende Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV). Er kritisiert, der Bau neuer Tramlinien oder von U-Bahnen habe einen zu geringen Stellenwert.

Herr Füglistaler, Albert Rösti ist der vierte Bundesrat, unter dem Sie dienen. Hatten Sie unter den Departementschefs einen Favoriten?

Das würde ich nie preisgeben. Das Gute an der Verkehrspolitik ist, dass es um die Sache geht und nicht um Parteipolitik. Wir haben immer wieder starke Mehrheiten. Ich kenne nicht von jedem Parlamentarier die Parteifarbe. Aber ich weiss bei jedem, aus welcher Region er stammt. Das ist immer wichtiger, wenn es um Bahnprojekte geht. Das Verhältnis zwischen der Strasse und der Schiene hat sich in meiner Amtszeit entspannt. Man sieht, dass es beides braucht.

Ihr Amt hat vorgerechnet, dass die Schweiz mit den laufenden Programmen 23 Milliarden Franken für den Bahnausbau ausgibt. War das eine Jubelmeldung oder eine versteckte Kritik?

Das war zunächst eine Feststellung. Wir haben Projekte im Umfang von 23 Milliarden, die bewilligt und finanziert sind. Wir wissen in den nächsten zehn Jahren, was wir zu tun haben. Es war also schon auch ein Weckruf. Wir brauchen keine neuen Projekte, sondern müssen uns darauf konzentrieren, möglichst schnell die bereits beschlossenen umzusetzen. Die Kundinnen und Kunden wollen keine Baustellen, sondern neue Angebote.

Trotz Milliardeninvestitionen drohen ab dem Jahr 2035 national Verschlechterungen.

Mit dem Angebotskonzept 2035 erhöhen wir das Angebot massiv. Auf den wichtigsten Strecken haben wir in Zukunft jede Viertelstunde einen Zug. Um dies zu bewältigen, verlängern wir auf vielen Verbindungen die Fahrzeit um ein paar wenige Minuten. Nun sagen alle, dass sei eine schlimme Verschlechterung. Das ist falsch: Es handelt sich um eine riesige Erhöhung der Kapazität und der Taktdichte. Die zusätzlichen Minuten sind der Preis für das bessere Angebot.

Verschlechterungen drohen beim internationalen Verkehr. Werden die Züge aus Deutschland nun in Basel SBB enden?

Die SBB müssen schon heute viele Verbindungen in Basel brechen, weil die Qualität im Verkehr aus dem Ausland so schlecht ist. Unser System basiert darauf, dass die internationalen Züge in den Schweizer Taktfahrplan integriert sind. Das funktioniert nicht, wenn die Züge über mehrere Jahre unpünktlich sind. Die SBB müssen in Basel immer einen Ersatzzug bereithalten, damit wir die Verspätungen nicht ins nationale Netz importieren. Den Fahrgästen aus Deutschland können wir garantieren, dass sie in Basel jede halbe Stunde Anschlusszüge in die ganze Schweiz haben. Das ist eine Notmassnahme. Das Ziel bleibt, mit internationalen Zügen ab Basel in der Schweiz weiterzufahren. Dazu muss die Pünktlichkeit besser werden. In der Realität sind wir davon noch weit entfernt.

Bereits lobbyieren die Kantone für die nächsten Ausbaupakete. Allein die Tiefbahnhöfe in Basel und Luzern kosten mindestens 15 Milliarden. Ist das finanzierbar?

Nein. Für die nächste Ausbaubotschaft im Jahr 2026 stehen zwischen 10 und 15 Milliarden Franken zur Verfügung. Bei laufenden Projekten kommt es zu Mehrkosten, und wir müssen das System mit zusätzlichen Ausbauten stabilisieren, weil die SBB mehr Reserven in den Fahrplan einplanen. Zudem müssen wir den Wegfall der Wankkompensation, der schnelleren Kurvenfahrten von IC-Doppelstockzügen, kompensieren, und das auf der so wichtigen West-Ost-Achse. Die nötigen Massnahmen werden einen beträchtlichen Teil der Mittel beanspruchen. Wir werden Geld für erste Etappen von Grossprojekten haben, aber nie in dem Umfang, wie es Ideen und Wünsche gibt. Der Tiefbahnhof Basel mit dem Herzstück dürfte gemäss den gegenwärtigen Prognosen etwa 10 Milliarden kosten. Es ist nicht möglich, das innert weniger Jahre zu realisieren.

Die Kosten für die Projekte in Basel und Luzern sind enorm, obwohl sie im Vergleich zur günstigeren Durchmesserlinie in Zürich einen geringeren Nutzen haben.

Das ist so. Im städtischen Raum steigen die Kosten, weil die verfügbaren Flächen kleiner werden. Die Tiefbahnhöfe müssen mit dem bestehenden Netz verknüpft werden, was teuer ist.

Die Kantone bezeichnen die Projekte als alternativlos. Sehen Sie das auch so?

Nach heutigem Stand brauchen wir in Basel und Luzern einen Ausbau des öV. Das ist unbestritten. Ich bin aber skeptisch, ob es immer die perfekte Lösung braucht, die man jetzt andenkt. Deshalb suchen wir auch Etappierungen.

Der SBB-Chef Vincent Ducrot sagt, die Stärke der Bahn sei es, schneller über längere Strecken zu fahren. Wären Stadtbahnen oder Tramtunnel keine Alternativen?

Das ist ein berechtigter Punkt. Eine S-Bahn braucht eine gewisse Distanz, Geschwindigkeit und Kapazität, um ihre Stärken auszuspielen. Mit dem Bau zusätzlicher Haltestellen gehen wir in die gegenteilige Richtung. Der Bau neuer Tramlinien oder auch von U-Bahnen hat in der Schweiz einen zu geringen Stellenwert. Wir erschliessen zu viel mit S-Bahnen.

Der Bund finanziert Grossprojekte für die Bahn vollständig, während sich die Kantone bei Tramlinien beteiligen müssen. Setzt das falsche Anreize?

Ja, diese Frage gilt es politisch zu klären. Man muss prüfen, ob der Bund auch grössere Tramtunnel oder U-Bahnen vollständig über den Bahninfrastrukturfonds finanzieren könnte. Das würde ein offeneres Denken ermöglichen.

Der Bund will mit dem nächsten Ausbauschritt auch einen Tunnel zwischen Zürich Altstetten und Aarau bauen, der im Vergleich zu einer Neubaustrecke bis Roggwil (BE) wenig bringt. Warum prüfen Sie diesen Alternativvorschlag nicht?

Diese Idee hat mich in meiner ganzen Amtszeit begleitet. Wir haben sie x-mal widerlegt. Ich mache das gerne ein letztes Mal. Die Initianten wollen noch schneller von Zürich nach Bern fahren. Dabei ist die Schiene auf dieser Linie bereits absolut wettbewerbsfähig. Die Autos auf der überlasteten Autobahn im Limmattal kommen nicht von Bern, sondern aus dem Aargau. In den Agglomerationen hat die Bahn das grösste Potenzial, zuzulegen. Wir müssen nicht so schnell wie möglich fahren, sondern so viel Verkehr wie möglich auf die Schiene bringen. Diese Denkweise haben die Ewiggestrigen noch nicht begriffen.

Der Tunnel von Zürich Altstetten nach Aarau hat mit 7 Milliarden Franken enorm hohe Kosten . . .

Die Neubaustrecke nach Roggwil ist noch weitaus teurer. Auf dieser langen Strecke würden nur Intercity-Züge fahren, während der Tunnel nach Aarau viel besser ausgelastet werden kann. Wir müssen die Neubaustrecke vor Aarau ins Netz integrieren und mit der S-Bahn verknüpfen.

Der Knotenbahnhof Olten ist schon heute überlastet und müsste nochmals ausgebaut werden.

Wir haben bereits entschieden, den Knoten Olten nochmals auszubauen. Das ist unabhängig vom Projekt für einen Tunnel zwischen Aarau und Zürich notwendig. In Olten sind auch die Fahrgäste. Dort können wir die Verbindungen verknüpfen.

Der Chef der Südostbahn (SOB), Thomas Küchler, und Vincent Ducrot warnen vor deutschen Verhältnissen. Bald fehle Geld für den Bahnunterhalt.

Wir haben uns in der Schweiz daran gewöhnt, auf hohem Niveau zu jammern. Die SOB hat einen sehr guten Job gemacht und den Zustand ihrer Anlagen in den letzten Jahren stark verbessert. Deshalb haben wir bei ihr die Mittel für den Unterhalt und die Erneuerung stabilisiert. Das Geld geben wir anderen Bahnen. Ich bin häufig in Deutschland. Die Schweizer Bahnen verfügen über viel mehr Mittel für den Unterhalt des Netzes. Die Deutsche Bahn träumt davon, so viel Geld wie die SBB zu haben. Die Vergleiche mit Deutschland sind daher abstrus.

Erhalten die SBB mehr Geld?

Ja, wir müssen das Geld den Bahnen geben, die noch nicht da sind, wo wir sie gerne hätten. Dazu gehören die SBB, die in der nächsten Leistungsperiode noch mehr Geld erhalten werden. Auch sie haben den Zustand ihrer Anlagen in den letzten Jahren zwar stabilisiert, müssen aber das Niveau halten.

Ist die SOB effizienter?

Die Vielfalt der Bahnen, die wir haben, ist eine Chance. Manche sind agiler als andere. Das ist ein Leistungsausweis.

Die Schweiz investiert viel in den öV. In Zürich und anderen Städten gibt es nun Bestrebungen, diesen zu vergünstigen. Was halten Sie davon?

Das ist völlig falsch. Ein so gutes Angebot, wie wir es in der Schweiz haben, hat seinen Preis. Ich bin kategorisch gegen billige Mobilität, auf der Strasse und auf der Schiene, weil die Nachfrage sonst zu stark steigt. Billige Mobilität ist nie ökologisch, auch nicht im öffentlichen Verkehr. Ich begreife keinen Linken und Grünen, der einen Gratis-ÖV verlangt. Das sind Geschenke an potenzielle Wähler, verändert am Verkehrsverhalten jedoch wenig. Wer in Zürich Auto fährt, tut dies bewusst.

Sie sind ein Fürsprecher einer Öffnung des internationalen Bahnverkehrs. Warum exponieren Sie sich?

Die Schweiz und die EU haben sich mit dem Landverkehrsabkommen von 1999 verpflichtet, den grenzüberschreitenden Personenverkehr zu öffnen. Die EU hat das im Jahr 2007 gemacht. Ich kann nachvollziehen, dass der Verhandlungspartner sagt, es wäre schön, wenn ihr jetzt diesen Schritt auch machen würdet. In den letzten Jahren ist in Europa im internationalen Personenverkehr viel passiert. Meine Sorge ist, dass die Schweiz und die SBB die Marktöffnung verpassen. Wer zu spät kommt, der wird irgendwann bestraft. Die Deutsche Bahn und Trenitalia fahren in wenigen Jahren in Kooperation von Mailand nach München, ohne die Österreichischen Bundesbahnen. Das ist eine Entwicklung, auf die wir uns vorbereiten müssen.

Sollen die SBB eigene Züge anbieten, die ins Ausland fahren?

Die Marktöffnung umfasst nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. Die SBB haben das Wissen und den Namen, um erfolgreich Züge anzubieten, die nach Frankfurt oder München fahren. Sie müssen nicht in Spanien fahren, aber sie sollten sich strategische Optionen offenhalten. Wir dürfen unsere sehr gute Position in Europa nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Im Schienengüterverkehr haben die SBB 1999 die Chance der Marktöffnung genutzt, und SBB Cargo International steht heute sehr gut im Markt.

Der Präsident der Bahngewerkschaft, Matthias Hartwich, argumentiert, das Schweizer Modell sei besser.

Es stimmt, dass die EU und die Nachbarstaaten neidisch auf uns blicken. Aber die Marktöffnung ist in ganz Europa eine Tatsache. Trotzdem wollen wir unsere Errungenschaften bewahren. Die Öffnung des inländischen Bahnverkehrs steht nicht zur Diskussion. In den Verhandlungen mit der EU geht es einzig um grenzüberschreitende Verbindungen. Und auch dort tragen wir den Bedenken der Gewerkschaften Rechnung. Im Verhandlungsmandat hält der Bundesrat fest, dass im grenzüberschreitenden Verkehr Kooperationen zwischen Bahnen weiterhin möglich sind.

Ist das auch in der EU der Fall?

Ja, Kooperationen sind in der EU weiterhin das vorherrschende Modell. Da werden von Schweizer Seite bewusst Ängste geschürt. Neu ist nur, dass eine europäische Bahn ein Gesuch stellen könnte, um auch ohne eine Schweizer Partnerin nach Zürich zu fahren. Dabei müsste sie die Schweizer Arbeitsbedingungen einhalten, eine Trasse ausserhalb des Taktfahrplans finden und sich ins Schweizer Tarifsystem integrieren.

Ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften ist angespannt. Hartwich wirft Ihnen vor, Sie betätigten sich als Sprecher von Flixtrain.

Immer wenn die Gegenpartei persönlich wird, hat sie keine Sachargumente.

Hartwich befürchtet, dass im Streit um Zugtrassen am Ende der Europäische Gerichtshof entscheidet.

Die Vergabe von Zugtrassen und die Betriebsbewilligungen erfolgen nach Schweizer Recht und nach Schweizer Bedingungen. Wenn sich ein Unternehmen diskriminiert sieht und klagen möchte, haben wir heute schon die Kommission für den Eisenbahnverkehr, Railcom. Sollte es einen Gerichtsfall geben, entschieden Schweizer Gerichte.

Im Sommer treten Sie in den Ruhestand. In der ÖV-Branche können viele nicht loslassen. Werden Sie sich auch nach der Pensionierung pointiert zu Wort melden?

Ich habe so viel Spass an meinen Beiträgen auf der Plattform Linkedin, dass ich mich dort auch in Zukunft äussern werde. Ich werde auch mit grosser Freude noch mehr als heute die Bahn benutzen. Ich kann Ihnen aber garantieren, dass ich keine neuen Tunnel fordern werde.

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