Sonntag, September 29

Der freche Griff der Unicredit nach der Commerzbank sorgt beim Bundeskanzler für Empörung. Doch nach dem dilettantischen Aktienverkauf sollte sich Berlin heraushalten und schweigen.

Sie lesen einen Auszug aus dem Newsletter «Der andere Blick», heute von Michael Rasch, Wirtschaftskorrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung» in Frankfurt am Main. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.

«Was erlaube Orcel», mag sich in Berlin und Frankfurt mancher Politiker und Banker in Erinnerung an die legendäre Wutrede des früheren FC-Bayern-Trainers Giovanni Trapattoni («Was erlaube Strunz») gedacht haben. Andrea Orcel, Konzernchef der Unicredit, hat es vor zwei Wochen gewagt, ohne explizite Einladung ein grosses Aktienpaket der Commerzbank zu kaufen, Deutschlands zweitgrösster Privatbank.

Dabei nutzte der frühere Investmentbanker clever den Dilettantismus der Ampelregierung aus. Der Bund hatte weitherum angekündigt, ein erstes Paket über 4,49 Prozent seiner noch aus der Teilverstaatlichung der Commerzbank während der Finanzkrise stammenden Anteile von insgesamt 16,49 Prozent zu verkaufen. Die Unicredit konnte das gesamte erste Paket mit einem kleinen Aufschlag nur erwerben, weil Berlin den Verkauf an einen einzigen Bieter nicht ausgeschlossen hatte, obwohl man die Commerzbank nicht in ausländische Hände geben will.

Inzwischen hat sich die Unicredit am Markt die Kontrolle über rund 21 Prozent der Commerzbank-Aktien gesichert, worüber sich der Bundeskanzler Olaf Scholz jüngst empörte.

Beschleuniger für die Bankenunion

Die Bundesregierung sollte aber nicht die beleidigte Leberwurst spielen und aufgrund der Wut über die eigene Unfähigkeit die sich abzeichnende Übernahme behindern oder torpedieren. Deutschland und die EU gelten als «overbanked», es gibt also zu viele Banken. Das liegt auch daran, dass jedes noch so unbedeutende Institut in einer Krise gerettet wird und es wegen regulatorischer Fehlanreize kaum grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen gibt. Die nach der Finanzkrise geforderte Bankenunion, in deren Fokus ein gemeinsamer EU-Markt für Bankdienstleistungen steht, kommt auch deshalb kaum voran.

Die Commerzbank ist nicht systemrelevant, auch nicht für den deutschen Mittelstand, wie nun teilweise suggeriert wird. Kleine, mittlere und grosse Unternehmen haben unzählige Banken, die ihnen gerne Kredite geben, von der Deutschen Bank über die Sparkassen und Genossenschaftsbanken bis hin zu den in Deutschland tätigen Instituten ausländischer Provenienz.

Eine Übernahme der Commerzbank könnte eine weitere Konsolidierung der Branche anstossen und so ein Beschleuniger für die Bankenunion werden. Als weitere Übernahmekandidaten gelten zum Beispiel die französische Société Générale und die niederländische ABN Amro.

Die Unicredit besitzt seit dem Jahr 2005 bereits die Münchener Hypo-Vereinsbank (HVB), weshalb die Übernahme der Commerzbank einen nationalen und internationalen Charakter hätte. Die Italiener haben somit schon Erfahrung in Deutschland und zudem einen guten Leistungsausweis mit der HVB, die gemessen an diversen Kennzahlen besser dasteht als die Commerzbank. Zudem passen die beiden deutschen Institute auf dem Papier ganz gut zusammen, jedenfalls besser als beispielsweise die Deutsche Bank und die Commerzbank.

Die Bilanzsumme von Unicredit/Commerzbank wäre zwar so hoch wie jene der Deutschen Bank. Doch es gibt etliche grössere Institute in Europa, die Bilanzsumme von HSBC und BNP Paribas ist sogar doppelt so gross, von den amerikanischen Bankgiganten ganz zu schweigen. Mögliche Probleme der Bankenabwicklung in einer Krise, auch die Frage der Zuständigkeit italienischer oder deutscher Behörden, sollten regulatorisch gelöst werden und überschaubaren Übernahmen nicht im Weg stehen.

Deutschland sollte den Deal nicht behindern

Heikel ist jedoch, dass die Unicredit durch den enormen Bestand an italienischen Staatsanleihen in den Büchern eine offene Flanke hat, sollte das enorm verschuldete Italien in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Bei den Verhandlungen in der EU über eine Rettung des Landes würde sich die deutsche Verhandlungsposition verschlechtern, wenn eine Pleite Italiens nicht nur den italienischen, sondern auch den heimischen Bankenmarkt in den Abgrund zöge.

Wer allerdings einen europäischen Markt will, sollte sich davon nicht abschrecken lassen. Und wer sich über den Kauf der Alitalia-Nachfolgerin ITA durch die Lufthansa Group freut, darf sich nicht über den Erwerb der Commerzbank durch die Unicredit ärgern. Die Aktionäre der Institute unterstützen eine Übernahme, wie bisherige Reaktionen zeigen, und die Aufsichtsbehörden dürften keine nennenswerten Einwände haben.

Sollte Deutschland den Deal behindern, wäre das hingegen ein verheerendes Signal für die Vollendung der Bankenunion und für die Offenheit des Landes gegenüber ausländischen Investoren. Die Protagonisten in Berlin können sich angesichts der eigenen Fehler zwar grün und blau ärgern. Doch sie sollten den Verlauf der Übernahme nun dem Privatsektor überlassen und schweigen – oder, um es mit Giovanni Trapattoni zu sagen: «Habe fertig.»

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