Nach der Machtübernahme der Taliban hatte Deutschland versprochen, ehemalige Ortskräfte und andere gefährdete Gruppen aufzunehmen. Trotz aller Kritik führt die Regierung das Programm fort.

An diesem Mittwoch ist es wohl wieder so weit: Ein Flugzeug aus Pakistan mit 157 Afghanen soll am Berliner Hauptstadt-Flughafen landen. Unter den Passagieren sollen sich zwei ehemalige Ortskräfte und dreizehn Angehörige befinden, allen anderen sei die Ausreise aufgrund besonderer Gefährdung in ihrer Heimat zugesagt worden. Das berichtete die «Bild»-Zeitung am Sonntagabend.

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Das Blatt zitiert einen anonymen Regierungsbeamten mit der Aussage, die Identität der Passagiere sei «in vielen Fällen zweifelhaft oder sogar vollständig ungeklärt». In einem Fall sollen Geburtsdaten willkürlich eingetragen, in einem anderen soll ein Heiratsvertrag gefälscht gewesen sein. Das deutsche Aussenministerium hat sich auf Anfrage bislang nicht zu dem Flug geäussert.

Die Afghanen reisen über verschiedene Aufnahmeprogramme der deutschen Regierung ein. Damit sollen ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr, ihre Angehörigen sowie Menschen nach Deutschland ausgeflogen werden, die sich für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einsetzten. Die frühere Regierung aus SPD, Grünen und FDP entschloss sich zu diesem Schritt, nachdem die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen hatten.

Rund 1800 Afghanen warten auf die Ausreise

Bis anhin sind über diese Programme rund 36 000 Personen eingereist, zusätzlich haben bis Juli vergangenen Jahres 10 000 weitere Menschen eine Aufnahmezusage erhalten. Seit dem Abzug der internationalen Truppen im Juni 2021 sind aber Direktflüge aus Afghanistan nicht mehr möglich – kein westliches Land unterhält offiziell Beziehungen zu den neuen Machthabern. Auch Deutschlands Aussenministerin Annalena Baerbock von den Grünen sperrt sich gegen eine diplomatische Anerkennung der Taliban.

In Pakistans Hauptstadt Islamabad dagegen unterhält Deutschland eine Visastelle, Beamte des Innenministeriums führen eine Sicherheitsüberprüfung durch. Wer nach Deutschland ausreisen will, muss in der Regel über Pakistan ausreisen. Von 3000 Afghanen, die in Pakistan auf die Ausreise gewartet hatten, seien «bereits 1263 Personen nach Deutschland eingereist», sagt ein Sprecher des deutschen Innenministeriums der NZZ. Für den Unterhalt derer, die noch auf ihre Ausreise warten, kommt die deutsche Regierung auf.

Im Durchschnitt landet ein Flugzeug im Monat mit Afghanen aus Pakistan in Berlin. Letztmals war ein solches Flugzeug am 25. Februar in der Hauptstadt gelandet – nur zwei Tage nach der Bundestagswahl. Zwei Charterflüge hatte das Innenministerium zuvor abgesagt. Oppositionspolitiker mutmassten, die Flüge seien aufgrund der anstehenden Bundestagswahl verschoben worden. Das Bundesinnenministerium führte logistische Probleme als Grund an.

Hintergrund der Aufnahmeprogramme war die Befürchtung der deutschen Regierung, die ehemaligen Ortskräfte – unter ihnen etwa Dolmetscher oder Fahrer – könnten nach der Machtübernahme der Taliban besonderer Verfolgung ausgesetzt sein. Der politische Druck war gross, den zurückgelassenen Ortskräften sowie anderen möglicherweise gefährdeten Personengruppen zu helfen.

Programm wegen Sicherheitsproblemen zeitweise ausgesetzt

Dieses Szenario hat sich zumindest bei den Ortskräften so nicht bewahrheitet: Das neue Regime erliess eine Generalamnestie für diejenigen, die zuvor mit den Besatzungstruppen zusammengearbeitet hatten. Ehemalige Ortskräfte, die nach Pakistan ausreisen wollten, winkt es an der Grenze meistens durch. In der Regel handelt es sich dabei um Männer. Sie können sich im Land weitgehend frei fortbewegen.

Bei den Frauen ist das anders. Die Taliban schränken sie in der Ausübung ihrer Rechte und ihrer Bewegungsfreiheit massiv ein, Reisen durch das Land auf eigene Faust sind nicht möglich.

Hinzu kommt ein weiteres Problem. Sicherheitsüberprüfungen gestalten sich oft schwierig, weil manche Afghanen ihre Identität nicht nachweisen können oder sogar mit gefälschten Dokumenten die Einreise beantragen. Die Vorauswahl der Antragsteller hat die deutsche Regierung zudem an etwa hundert Nichtregierungsorganisationen (NGO) delegiert, von denen die meisten öffentlich nicht bekannt sind.

Zwischen März und Juni 2023 hatte die deutsche Regierung ein Aufnahmeprogramm zeitweilig ausgesetzt, nachdem infolge eines Berichts des Magazins «Cicero» schwere Vorwürfe gegen das deutsche Aussenministerium bekanntgeworden waren. Gemäss diesen ermöglichten die Organisationen Scharia-Richtern die Ausreise, die sich als verfolgte Juristen ausgegeben hatten. Während die Diplomaten in Islamabad skeptisch gewesen seien, habe das Auswärtige Amt auf deren Aufnahme gedrängt.

Die meisten Afghanen wandern illegal ein

Offiziell soll das Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Personen bis September 2025 weiterlaufen. Das gilt indes als wenig realistisch: Der christlichdemokratische Wahlsieger Friedrich Merz kündigte an, das Programm einstellen zu wollen. Mit dieser Forderung dürfte er auch unter den Sozialdemokraten, seinem möglichen Koalitionspartner, einige Unterstützer finden.

Das Innenministerium unter Führung der Sozialdemokratin Nancy Faeser opponierte in der Vergangenheit immer wieder gegen die Einreise von Afghanen nach Deutschland, bei deren Sicherheitsüberprüfung Probleme aufgetreten waren. Wie vielen Afghanen aufgrund einer abschlägig beschiedenen Prüfung die Einreise nach Deutschland verwehrt wurde, kann es allerdings auf Anfrage nicht sagen: «Statistische Angaben in diesem Sinne liegen nicht vor», so ein Sprecher.

Die meisten Migranten aus Afghanistan sind nach Deutschland nicht offiziell über eines der Aufnahmeprogramme eingereist, sondern illegal über den Landweg. Seit 2015 fanden mehrere hunderttausend Asylbewerber aus Afghanistan auf diesem Wege Zuflucht in Deutschland. Abgelehnte Asylbewerber werden aufgrund eines Abschiebeverbots nicht ausgeschafft.

Auch die Ausschaffung straffälliger Asylbewerber aus Deutschland nach Afghanistan findet seit der Machtübernahme der Taliban kaum statt: Das erste Flugzeug nach Kabul seit drei Jahren – an Bord sassen 28 verurteilte afghanische Schwerverbrecher – startete im August vergangenen Jahres aus Sachsen. Weitere Flüge sind bis anhin nicht zustande gekommen.

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