Donnerstag, September 11

Als Psychiater hat Frank Urbaniok Hunderte Straftäter begutachtet. Viele Gewaltphänomene, die derzeit für Schlagzeilen sorgen, führt er auf Migration zurück. Für Jugendliche, die sich wegen Polizeikontrollen ausgegrenzt fühlen, hat er aber Verständnis.

Herr Urbaniok, Gewalt war in diesem Sommer ein grosses Thema. In Schwimmbädern werden Gäste abgewiesen, weil sie Frauen belästigen und Gäste oder Personal angreifen. Jugendliche attackieren die Polizei, fast täglich gibt es aus europäischen Ländern Berichte über Messerattacken. Erleben wir eine Zunahme der Gewalt im öffentlichen Raum?

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Es gibt ganz klar eine Zunahme in gewissen Bereichen. Wir haben früher keine Weihnachtsmärkte vor Terroristen schützen müssen. Es gibt eine dramatische Zunahme der Messerkriminalität, das zeigen unter anderem deutsche Statistiken. Ich hatte gerade Kontakt mit einem Journalisten aus Leipzig. Allein in den zwei grössten sächsischen Städten, Leipzig und Dresden, gab es im vergangenen Jahr fast 600 Messerattacken, so viele wie noch nie, begangen vorwiegend von der ausländischen Bevölkerung. Überall trifft man auf Phänomene, die es früher kaum gab, sei das im Schwimmbad oder in der Gesundheitsversorgung.

Sie meinen Attacken auf das Gesundheitspersonal?

Vor zwei Jahren war ich an einer Konferenz der Berufsgenossenschaften, das ist eine grosse Organisation, die betreiben selber Kliniken und vertreten Krankenpfleger, die Spitex, aber auch Polizisten, Feuerwehrleute oder Mitarbeiter aus den verschiedensten Ämtern. Bei denen ging es nicht mehr hauptsächlich darum, wie man sich vor Arbeitsunfällen schützt, mit Helm, Schutzbrillen und dergleichen. Nein, das Hauptthema bei diesen Berufsleuten waren ihre «Kunden» – von denen sie bedroht, angepöbelt und attackiert werden. Bei der Polizei kennt man das schon länger. Aber dass jetzt auch Feuerwehrleute und Sanitäter zu einem Einsatz gerufen und dann manchmal von ganzen Familien angegriffen werden? Das war für mich ein Aha-Erlebnis.

In Ihrem kürzlich erschienenen Buch «Schattenseiten der Migration» behaupten Sie, diese Phänomene hingen massgeblich mit der Migration aus bestimmten Ländern zusammen.

Dieses Bild zeigt sich, wenn man Statistiken aus der Schweiz, Deutschland und Österreich nach Nationalitäten und nach Delikten aufschlüsselt. Etwa schwere Gewalt und Sexualdelikte. Dann sieht man: Es ist nicht so, dass Migration per se Probleme verursacht. Asiatische Länder wie Vietnam, Malaysia oder Indonesien haben sogar tiefere Kriminalitätsquoten als die einheimische Bevölkerung. Auf der anderen Seite gibt es Herkunftsländer, die drei, fünf, acht oder sogar zehn Mal häufiger bei schweren Verbrechen auftauchen.

Gilt dieser Befund auch für die Schweiz?

Diese Zahlen stimmen in allen drei Staaten, die ich untersucht habe, mehr oder weniger überein. Das gleiche Bild ergibt sich in den Sozialhilfequoten. Menschen aus Ländern, die eine hohe Kriminalitätsrate aufweisen, beziehen auch überproportional häufig Sozialhilfe. In der Schweiz haben einzelne Einwanderergruppen, zum Beispiel Flüchtlinge aus afrikanischen oder arabischen Ländern, stark erhöhte Sozialhilfequoten. In Deutschland sind fast 50 Prozent der Bürgergeldempfänger Ausländer, die nie einbezahlt haben. Das ist ein starker Indikator für die Unfähigkeit oder den Unwillen, sich zu integrieren.

Als Problemregionen identifizieren Sie Nordafrika, Afghanistan, Syrien oder den Balkan. Sind Einwanderer aus diesen Gegenden nicht auch häufig traumatisiert oder durch mangelnde Bildung schwer integrierbar?

Natürlich gibt es Traumatisierte, die nicht gleich wieder in den Arbeitsmarkt können. Aber die Quoten, die ich genannt habe, sind nicht mit Traumatisierung erklärbar. Da sind Frauen dabei, die aus kulturellen Gründen nicht arbeiten. Und wir haben Menschen, die nicht arbeiten wollen und sich in parallelen Strukturen organisieren.

In manchen europäischen Ländern ist dieses Problem akut. In Schweden zeigt es sich in Bandenkriegen, in Frankreich in Zerstörungsorgien nach Fussballspielen oder in Belgien in islamischen Parallelgesellschaften. Weshalb bleibt die Schweiz von solchen Auswüchsen verschont?

Man sieht diese Verwerfungen in ganz Europa, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. In Deutschland sehen wir die überbordende Messerkriminalität im öffentlichen Raum oder die Clans, die in Grossstädten zum Teil ganze Viertel kontrollieren. In Schweden, wo man lange gesagt hat, mit der Integration laufe alles super, ist die Lage mit jugendlichen Drogenbanden völlig ausser Kontrolle geraten. Gemäss einem Bericht des «Wall Street Journal» liegt die Mordrate pro Kopf in Stockholm 30 Mal höher als in London. Die Schweiz steht im Moment noch besser da, es gibt kaum grossflächige Parallelkulturen. Es kommt uns sicher entgegen, dass wir nicht eine derartige Massierung von Flüchtlingen aus Afghanistan, dem Irak, Syrien und anderen Ländern haben wie etwa Deutschland. Es gibt auch keine Millionenstadt, in der sich ganze Viertel abkoppeln. Das sind alles Faktoren, die der Schweiz zugutekommen. Aber der Trend ist der gleiche, wir hinken einfach ein paar Jahre hinterher.

Als neuer Brennpunkt hat sich auch in der Schweiz das gute alte Schwimmbad herauskristallisiert. Das jurassische Städtchen Pruntrut gewährt wegen Pöbeleien und Belästigungen Ausländern, die nicht in der Schweiz wohnen oder arbeiten, keinen Zugang mehr. Macht Pruntrut im Kleinen vor, was Sie in Ihrem Buch fordern: Angehörige von Staaten nicht mehr hereinlassen, deren Bürger übermässig für Ärger sorgen?

Wir müssen uns folgende Fragen stellen: Wer kommt ins Land? Und wie gehen wir mit denen um, die im Land sind? Wie reagieren wir auf mangelnde Integration? Wir haben Länder, die in der Kriminalstatistik massiv überrepräsentiert sind. Gleichzeitig ist es aber so, dass dieses Wissen keine Rolle spielt in der heutigen Migrationspolitik. Das kann nicht sein.

Nach dieser Logik dürften auch afghanische Familien, die sich an die Gesetze halten, in der Schweiz kein Asyl mehr erhalten, weil einige ihrer Landsleute kriminell sind. Das ist doch eine Kollektivstrafe.

Bei jeder Massnahme gibt es Menschen, die es unverschuldet trifft. Aber dieses Risiko muss man in Relation setzen zu jenem Gut, das man schützen will. Im Fall des Schwimmbads: dass Gäste, die sich normal verhalten, ins Schwimmbad gehen können, ohne dass sie angepöbelt, sexuell belästigt oder tätlich angegangen werden. Dieses Bedürfnis ist ebenso legitim, es kommt aber oft kaum zur Sprache. Natürlich muss man fragen, ob eine Massnahme verhältnismässig ist. Und man müsste versuchen, bei der Gruppe der Ausgeschlossenen zu differenzieren, damit nicht zu viele harmlose Badegäste einen Nachteil haben. Heute setzen wir falsche Prioritäten. Wir akzeptieren einfach, dass die Gewalttäter hereinkommen. Es ist aber inakzeptabel, wenn wir Gruppen haben, die ein Mehrfaches an Opfern verursachen. Im Übrigen sollten wir uns auch gut überlegen, wen wir einbürgern.

Weshalb?

Ein Beispiel aus einer deutschen Grossstadt: Da vertraute mir ein hoher Polizeifunktionär an, seine Leute fühlten sich wie Fremde im Ausland, wenn sie in manche Quartiere fahren würden. Seine Gruppe ist für schwere Gewalttäter zuständig, die alle schon 20, 30 oder auch weit über 100 Delikte begangen haben. Oft sind mehrere Sexualstraftaten dabei, weil das zu einer Gangster-Identität gehört. Die machen Raubüberfälle, die prügeln Leute zusammen, vergehen sich an Frauen. Von denen, so hat er mir erzählt, sind 50 Prozent Deutsche und 50 Prozent Ausländer. Die Deutschen tragen Namen wie Ali, Ahmed, Mohammed.

Sie sagen, Gewalt habe kulturelle Gründe. Gewalt war aber auch in westlichen Ländern lange akzeptiert, es kam zu Attacken auf Homosexuelle, oder in der Schule gab es die Prügelstrafe. Bis heute bringen Schweizer Männer ihre Frau und ihre Kinder um, weil sie sich gekränkt fühlen. Ist es nicht zu einfach, zwischen friedlichen und gewaltaffinen Kulturen zu unterscheiden?

Schweizer Straftäter sind mir keinen Deut sympathischer als andere. Aber wir haben schon alle Hände voll zu tun mit denen. Und es ist ein Fakt, dass Schweizer einen Zehntel so viele Morde begehen wie andere Nationalitäten. Es ist offensichtlich, dass das mit kulturellen Prägungen zusammenhängt. Ich habe mit diesen Menschen über dreissig Jahre lang fast täglich zu tun gehabt. Väter etwa, die einen Mordauftrag gaben, weil ihre Tochter den «falschen» Freund hatte. Es ist doch völlig klar, dass es Auswirkungen auf die Kriminalitätsquote hat, wenn Menschen aus einer Region kommen, in der es keine Trennung von Religion und Staat gibt. In der viel mehr Menschen fundamentalistische Vorstellungen haben. Ja, auch bei uns hat man sich jahrhundertelang wegen der Religion die Köpfe eingeschlagen, der Weg war lang, diese Konflikte zu befrieden. Aber man soll nicht glauben, jemand aus einem Land mit einer fundamentalistisch geprägten Religion werde seine Einstellung ändern, nur weil er eingebürgert wird oder weil ein Sozialarbeiter mit ihm geredet hat.

In Lausanne haben kürzlich Jugendliche randaliert, nachdem ein 17-Jähriger von der Polizei verfolgt worden und tödlich verunfallt war. Der Jugendliche war schwarz, manche werfen der Polizei Rassismus vor. Zumal bekanntwurde, dass Polizisten aus Lausanne in einer Chatgruppe jahrelang rassistische Sprüche austauschten. Trägt die Polizei zur Desintegration von Ausländern bei?

Solche Fälle muss man genau untersuchen, auch ob Rassismus eine Rolle gespielt hat. Ich kenne das Umfeld in Lausanne zu wenig, um das zu beurteilen. Extremisten haben in der Polizei nichts zu suchen. Wenn in einem Chat dumme Bemerkungen gemacht werden, heisst das jedoch nicht automatisch, dass alle in diesem Chat rechtsextreme Hardcore-Typen sind. Vielleicht sind es nur ein paar Hitzköpfe, die Dampf ablassen. Auch das muss man untersuchen. Was mich stört, ist dieses Ungleichgewicht in der Debatte.

Was meinen Sie damit?

Wenn man mit Zahlen belegt, dass bestimmte Ausländergruppen in der Kriminalitätsstatistik massiv übervertreten sind, heisst es, das sei gar kein Problem, die Täter seien halt benachteiligt, es gebe auch Messerstecher, die Uwe hiessen, und halt die übliche Litanei. Werden dagegen Rassismusvorwürfe erhoben, gibt es in den Medien eine wahnsinnige Aufnahmebereitschaft und einen Reflex, das Problem gross zu machen. Diese inflationäre Verbreitung von Rassismusvorwürfen löst in einem grossen Teil der Bevölkerung einen Abwehrreflex aus, was total ungesund ist.

In der Lausanner Chatgruppe waren fast 50 Polizisten, offenbar hat keiner interveniert. Können Sie nachvollziehen, wenn das bei jungen Leuten, die von Polizisten oft kontrolliert werden, bloss weil sie schwarz sind, ein Gefühl der Benachteiligung und Wut auf den Staat weckt?

Ja, das verstehe ich, das ist ein Problem. Man kann darauf jedoch unterschiedlich reagieren. Man kann es fast dankbar entgegennehmen und seine Wut auf den Staat legitimieren. Ich kann es aber auch so sehen: Wenn ich weiss, dass im Drogenhandel Afrikaner stark vertreten sind, kann ich auch ein gewisses Verständnis dafür haben, dass ich kontrolliert werde. Die Polizei kontrolliert oft nach Erfahrungswerten, nicht aufgrund von rassistischen Kriterien. Ich schliesse nicht aus, dass «fremd» aussehende Menschen im Bagatellbereich mehr angezeigt werden. Bei der harten Gewalt- und Sexualkriminalität spielt das jedoch keine nennenswerte Rolle mehr, weil solche Delikte vom Staat verfolgt werden müssen. Rassismus ist mittlerweile ein Schlagwort, das jederzeit erhoben wird. Selbst von pöbelnden Badegästen, die vom Personal zurechtgewiesen werden.

Hatten Sie in Ihrer Funktion als forensischer Psychiater mit gewalttätigen Polizisten zu tun? Wie viele gibt es, die ein Gewaltproblem haben und diesen Beruf wählen, damit sie dreinschlagen dürfen?

Ich habe vielleicht eine Handvoll solcher Polizisten gesehen. Das sind wenig, und sie hatten nicht im Polizeieinsatz delinquiert. Aber klar, es kann immer solche Leute geben, hierarchisch organisierte Gruppen sind für Menschen mit einer gewissen Frontkämpfermentalität attraktiv. Aber ich sehe das nicht als strukturelles Problem, es wird in der Ausbildung viel dafür getan, die Leute bezüglich Rassismus zu sensibilisieren. Die grosse Mehrheit der Polizisten verhalten sich korrekt.

Mit Ihrem Buch über migrationsbedingte Gewalt haben Sie viel Aufsehen erregt. Können Sie sich vorstellen, dass die Gewaltbereitschaft in den nächsten Jahren auch wieder sinkt?

Da bin ich pessimistisch. In den Herkunftsländern ist kein kultureller Aufbruch zu erkennen. Ganz im Gegenteil, viele Risikoländer bewegen sich eher in Richtung Fundamentalismus. Was dazukommt, und das wissen wir leider aus unserer eigenen Geschichte: Religiös oder anderweitig kulturell unterlegte Gewaltbereitschaft ist hartnäckig und langlebig. Das sehen wir sehr gut in Schweden, wo es bei der zweiten oder dritten Generation von Einwanderern sogar eine Akzentuierung der Gewaltproblematik gibt. Sie idealisieren die Traditionen ihrer Herkunftsländer und reagieren abschätzig auf die westliche Kultur, die sie als verweichlicht sehen. Demonstrativ zeigen sie, stärker und härter zu sein. Wir sollten also nicht darauf hoffen, dass sich das auswächst.

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