Donnerstag, Mai 1

Die grosse Weltkunstausstellung in Kassel bietet auch in Zukunft politischen Aktivisten unter dem Deckmantel der Kunst eine Plattform.

Die fünfzehnte Ausgabe der Documenta, die 2022 stattfand, geriet wegen antisemitischen Aktivismus in die Schlagzeilen. An der Weltkunstausstellung in Kassel wurde unter anderem ein grosses Bild mit verunglimpfenden Darstellungen von Juden gezeigt. Dass das überhaupt möglich war, lag vor allem an der künstlerischen Leitung. Diese wurde an ein indonesisches Kollektiv vergeben, das der antisemitischen Israel-Boykott-Bewegung BDS nahestand.

Nun wurde in der jüngsten Sitzung des Documenta-Aufsichtsrats beschlossen, dass der Trägergesellschaft der Documenta, der Museum Fridericianum gGmbH, ein Verhaltenskodex auferlegt werden soll. Dieser Code of Conduct soll dafür sorgen, dass die Documenta in Zukunft antisemitischen Aktivisten keine Plattform mehr bietet.

Mit ihrem Beschluss folgt die Documenta der dringenden Empfehlung der Metrum-Managementberatung von Ende 2023, gewisse Richtlinien einzuführen, aber nur teilweise. Für die künstlerische Leitung der Riesenschau, deren nächste Ausgabe für den Zeitraum vom 12. Juni bis zum 19. September 2027 geplant ist, sollen keine solchen Regeln gelten.

Fauler Kompromiss

Im Zeichen der Kunstfreiheit soll das Kuratorium auch in Zukunft für das, was an dieser Kunstausstellung zu sehen ist, völlig freie Hand haben. Es ist lediglich dazu angehalten, im Vorfeld der Schau ein Konzept vorzustellen und zu erläutern, was es unter Achtung der Menschenwürde versteht. Dies selbstverständlich unter Wahrung der grundgesetzlich geschützten Kunstfreiheit.

Mit diesem Manöver gaukelt die Documenta ein probates Instrument zur Verhinderung von Diskriminierung und Antisemitismus vor. Damit aber ist vor allem ein fauler Kompromiss mit jenen lautstarken Kritikern gefunden, die im Namen der sogenannten Kunstfreiheit Tausende von Unterschriften gegen klare und verbindliche Verpflichtungen gesammelt hatten.

Die Verantwortlichen, die Stadt Kassel und das Land Hessen, die die Documenta finanzieren, stehlen sich damit aus ihrer Aufsichtspflicht. Die Documenta läuft im Namen einer falsch verstandenen Kunstfreiheit weiterhin Gefahr, ihre Ausstellungsräume zwielichtigen Aktivisten zur Verfügung zu stellen, die unter ebendiesem Deckmantel der künstlerischen Ausdrucksfreiheit zu Werk gehen können, wie ihnen beliebt.

Weltverbesserer

Die Verantwortlichen der Documenta haben ein Problem mit ihrem Kunstverständnis. Sie sind blind für die Tatsache, dass Kunst immer mehr zur Spielwiese politischer Aktivisten wird. Sie fürchten um die Freiheit der Kunst, verwechseln aber Kunst mit politischer Agitation. Dabei unterliegen sie dem Irrtum, dass Kunst, die sich nicht explizit politisch bekennt, harmlose Unterhaltung sei.

Das hat historische Gründe. Seit ihrem Geburtsjahr 1955 brüstet sich die Documenta damit, für Kunstfreiheit einzustehen. Dabei verfolgt sie vor allem ein Weltverbesserungskonzept, für das sie nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs in der Kunst ein geeignetes Instrument gefunden zu haben glaubte.

Seitdem ist die Documenta den missionarischen Zwecken ihrer wechselnden künstlerischen Leiter auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Je nach Kunstverstand und politischer Gesinnung der Kuratoren geht das mehr oder weniger schief.

Gute Kunst bezieht ihre Glaubwürdigkeit gerade nicht daraus, in politischen Aktivismus zu verfallen. Sie kann humorvoll, aufwühlend, ironisch, provokativ sein. Aber sie ist es auf vielschichtige Weise, weil sie der Komplexität der Welt Rechnung trägt. Begreift die Documenta das nicht, disqualifiziert sie sich als Kunstschau von Weltrang selber.

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