Donnerstag, November 21

Nach dem Wahlsieg von Donald Trump sind sich die meisten Experten einig, dass die US-Indizes ihren Vorsprung weiter ausbauen werden. Die Ausgangslage scheint so klar zu sein, dass es fast anders herauskommen muss. Doch was könnte die Dominanz der USA brechen?

Donald Trump bewegt die Börse. Seit seiner erneuten Wahl zum US-Präsidenten hat das US-Leitbarometer S&P 500 rund 2,3% zugelegt. Gleichzeitig herrscht andernorts Katzenjammer. In China, das am meisten von den angedrohten Zöllen betroffen sein dürfte, ist der Shanghai Composite 1,7% gesunken, in Europa notiert der Euro Stoxx 50 gar 2,5% niedriger. Seit Anfang beträgt der Vorsprung der USA auf Europa 19 Prozentpunkte.

Auf den ersten Blick überrascht die positive Reaktion nicht. Trump steht für Deregulierung und Steuersenkungen, die das Gewinnwachstum der US-Konzerne weiter beflügeln. Dazu kommt möglicherweise eine grosse Reindustrialisierung der US-Industrie durch das Abschotten des Binnenmarktes über hohe Einfuhrzölle. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass Trump seine Pläne auch umsetzen kann, weil er sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus die Mehrheit gewonnen hat. Der Red Sweep, der das Durchregieren ermöglicht, ist perfekt.

Trump besetzt alle vier Hebel der Macht

Michael Strobaek von Lombard Odier bezeichnet Trump denn auch als einen der einflussreichsten Präsidenten in der Geschichte der USA, da er neben der Mehrheit im Kongress auch über die Mehrheit im Supreme Court verfügt und damit alle vier Hebel der Macht besetzt. Wie andere Experten hat er die Allokation der USA in den Portfolios erhöht. «Auch nach der jüngsten Rally bieten ein stärkeres Wachstum, Steuersenkungen und Deregulierung zusätzliches Aufwärtspotenzial für US-Aktien», schreibt der Chief Investment Officer der Genfer Privatbank.

Der langjährige Marktbeobachter Alfons Cortés pflichtet Strobaek grundsätzlich bei. Zwar warnt er davor, den seit der Wahl heiss gelaufenen Segmenten wie Banken, Rüstung, Industrie oder Baumaterialien hinterherzujagen. «Die Überreaktion auf Nachrichten zählt zu den grössten Fehlern, die Anleger begehen können», schrieb er jüngst auf The Market. Allerdings seien US-Aktien und die erwähnten Sektoren schon vor der Wahl stark gewesen, und derzeit gebe es keine Anzeichen, dass sich daran etwas ändern könnte.

Achillesferse sind die Zinsen

Die Ausgangslage scheint derzeit so klar zu sein, dass man sich fragen muss, was die Dominanz der US-Börse brechen könnte. Eine Achillesferse dürften die Zinsen sein – seit der Wahl sind die Renditen zehnjähriger Treasuries in Richtung 4,5% gestiegen. Unter Ökonomen wird derzeit diskutiert, ab welchem Niveau Anleihen Aktien Konkurrenz machen. «Wenn die Rendite zehnjähriger Treasuries auf mehr als 4,7 oder 4,8% steigt, kommen wir auf schwieriges Terrain», sagte Marko Papic, Chefstratege des kanadischen Research-Hauses BCA, kürzlich im Gespräch mit The Market. Die Experten von JPMorgan rechnen damit, dass Renditen ab 5% der Trump-Euphorie ein Ende setzen.

Allerdings gibt es Stimmen, die sich selbst vor höheren Zinsen nicht fürchten. «US-Unternehmen sind so profitabel wie nie, und die Profitabilität ist dank hoher Markteintrittsbarrieren der grossen Unternehmen geschützt», sagte Columbia-Professor Tano Santos kürzlich an der Value Intelligence Conference in Zürich. Gesellschaften wie Alphabet oder Amazon seien für ihre Investitionen deshalb nicht auf externe Geldgeber angewiesen, was sie gegen die schwankenden Zinsen immunisiere. Und tatsächlich, 2023 stieg die Rendite zehnjähriger Treasuries kurzzeitig über 5%, die US-Börse erlitt dabei aber nur einen leichten Dämpfer.

Während grosse US-Unternehmen wie Alphabet, Amazon, Microsoft oder Meta höhere Zinsen operativ problemlos wegstecken können, sieht es bei Wirtschaft und Staat womöglich anders aus. «Die Hypothekarzinsen sind bereits kräftig gestiegen», warnt Papic. Zudem müssten kleine und mittelgrosse Gesellschaft im kommenden Jahr ein erhebliches Schuldenvolumen refinanzieren. Entsprechend kritisch stuft er die Rally beim Small-und-Mid-Cap-Index Russell 2000 ein, der nach der Wahl von Trump deutlich zulegen konnte.

Renditen könnten weiter anziehen

Dazu kommt, dass die Zinsen länger hoch bleiben oder gar weiter steigen dürften, weil die Pläne von Trump das bereits hohe Budgetdefizit weiter aufblähen und inflationär wirken, was wiederum den Zinssenkungsspielraum der US-Notenbank limitiert. Deshalb glaubt Papic, dass die höheren Renditen Trump dereinst zu mehr Fiskaldisziplin zwingen werden, was längerfristig zwar für «gesünderes» Wachstum sorge, in der kurzen Frist Wirtschaft und Börse aber belasten dürfte.

Für US-Aktien ist er entsprechend skeptisch, zumal der US-Aktienmarkt hoch bewertet sei. «Er preist alle positiven Aspekte einer Trump-Präsidentschaft ein, aber keinen der negativen», sagt er. Gleichzeitig machten Investoren einen grossen Bogen um Europa und China. «Ich treffe täglich Investoren in aller Welt, und ich kann Ihnen sagen: Niemand ist optimistisch für Europa.» Er möge das, weil er in Vermögenswerte investieren möchte, «deren Bewertung noch keine perfekte Zukunft einpreist».

Trump könnte in Europa für politischen Befreiungsschlag sorgen

Während Papic ein Überangebot mit entsprechend niedrigeren Preisen für Flüssiggas, die Neuordnung der Lieferketten und die Dekarbonisierung der Wirtschaft, die in Europa stark vertretene Sektoren wie Industrie und Grundstoffe begünstigt, sowie einen möglichen «Frieden» in der Ukraine als Gründe für eine Wiederentdeckung des Alten Kontinents nennt, hoffen einige Beobachter auf einen Ruck, der dank der Wahl von Trump durch Europas Politik geht und in dessen Zuge lange vernachlässigte Reformen wie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in Angriff genommen werden.

Zu ihnen zählt Stuart Mitchell, Gründer und CIO der britischen Fondsboutique S. W. Mitchell Capital, die auf europäische Aktien spezialisiert ist: «Nachdem die Politik während fünfzig Jahren liberaler wurde, scheint sie nun nach rechts abzubiegen», sagt er. Das erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass der Reformplan von Mario Draghi umgesetzt werde. Zur Erinnerung: Im September hat der ehemalige EZB-Präsident und italienische Premier für Europa ein 800 Mrd. € schweres Investitionsprogramm zur Stärkung der Innovationskraft und der Rüstungsindustrie, zur Konsolidierung fragmentierter Branchen wie Telecom und Finanz oder zur Errichtung eines gemeinsamen Marktes für Dienstleistungen vorgestellt.

Hoffnungen macht sich auch Axel Angermann, Chefökonom des deutschen Vermögensverwalters Feri. «Europa muss in kurzer Zeit die Versäumnisse der Vergangenheit nachholen», schreibt er. «Eine positive Prognose» erlauben würden ein EU-weites, schuldenfinanziertes Programm zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit sowie ein weiteres für Infrastrukturinvestitionen.

Der US-Präsident ist auf Europa angewiesen

Die Analysten von Bloomberg pflichten bei und sehen Potenzial bei einer Bankenunion, der Entwicklung von grünen Industrien oder der Integration der europäischen Rüstungsindustrie. «Europa ist immer noch die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt und der kulturelle Taktgeber des Westens», schreiben sie. Vereint hinter einem gemeinsamen Reformplan würde Europa seine Position nur weiter stärken, sind sie überzeugt. Trump sei trotz seines Gepolters auf den Alten Kontinent angewiesen, um Probleme mit China oder dem Nahen Osten anzugehen.

So weit, so gut. An den Börsen zeichnet sich der erhoffte politische Befreiungsschlag indes nicht ab. «Der DJ Stoxx Europe 600 ist seit März 2023 relativ schwach zum S&P 500», sagt Cortés, und die Schwäche zeige sich auf dem ganzen Kontinent. Zwar profitierten auch in Europa Sektoren wie Rüstung oder Bauzulieferer, aber «das ist zu wenig, um die Indizes anzutreiben». Entsprechend niedrig sei die Marktbreite. In Europa nimmt nur rund die Hälfte der Aktien am Aufschwung teil, in den USA oder Kanada sind es drei Viertel. «Ein Ende der relativen Schwäche Europas zu Nordamerika und insbesondere den USA steht meines Erachtens nicht an», folgert Cortés.

Europa und China vor Amtseinführung kaufen?

Optimistischer ist Stratege Michael Hartnett von Bank of America. «Anleger sollten noch vor der Amtseinführung internationale Aktien kaufen», schreibt er. In Erwartung von Trumps Zöllen werde China die Fiskalpolitik lockern und die Europäische Zentralbank die Zinsen deutlich senken. «Niedrigere Zinsen, schwache Währungen und tiefere Ölpreise sorgen für viel lockerere Finanzierungsbedingungen, als sie es in den USA sind.»

Einer positiven Entwicklung in Europa würde sich natürlich auch Cortés nicht verschliessen. «Es würde mir nicht im Traum einfallen, auch nur ein einzelnes Szenario zu entwerfen, was die Präsidentschaft von Donald Trump für die Aktien- und die Kapitalmärkte bedeuten wird», schreibt er in seinem heutigen Gastbeitrag. «Ich verlasse mich darauf, dass die Veränderungen der relativen Preise mich anleiten werden, zur richtigen Zeit das Richtige zu tun, ohne wissen zu können, warum es das Richtige ist.» Noch ist es richtig, auf die USA zu setzen.

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