Sonntag, Oktober 6

Am Dienstag kommt der Duden in der 29. Auflage und mit 3000 neuen Wörtern in den Verkauf. Kathrin Kunkel-Razum, Chefredaktorin des Dudens, sagt, welche Wörter sie besonders gerne mag und wie der Duden relevant bleiben will.

Frau Kunkel-Razum, setzen Sie die Kommata richtig, wenn Sie eine SMS schreiben?

Ich schreibe bedeutend mehr Whatsapp-Nachrichten als SMS. Aber ich versuche in beiden Fällen, die Kommas richtig zu setzen. Ich lese meine Nachrichten vor dem Abschicken nochmals durch und korrigiere sie.

Immer wieder heisst es, die Leute würden immer schlechter und fehlerhafter schreiben. Sollten wir den Duden öfter hervorholen?

Der Duden wird immer noch oft genutzt, einfach in unterschiedlichen Formen. Es gibt den gedruckten, den digitalen Duden. Daneben gibt es verschiedene Assistenzprogramme. Wichtig für die Sprache ist aber, dass die Leute sich bewusst werden, wo sie Schwierigkeiten haben, und dann das ideale Hilfsmittel nutzen.

Stören Sie sich an Jugendwörtern, die aus dem Englischen kommen?

Nein, daran störe ich mich nicht. Jugendwörter gehörten schon immer zur Sprache. Bereits Goethe hat sich darüber aufgeregt. Wir haben erst gestern im Familienkreis über die neuen Vorschläge für das Jugendwort des Jahres gesprochen. Ich finde, die Jugendsprache zeigt, dass die Sprache sehr lebendig ist, und diese Entwicklungen im Wortschatz finde ich sehr spannend.

Das Wort «slay» war bereits als Jugendwort des Jahres nominiert, steht aber nicht im neuen Duden. Weshalb?

Für unsere Analysen ziehen wir überwiegend schriftliche Quellen heran. Wörter aus der Jugendsprache werden zunächst vor allem mündlich verwendet. Es braucht Zeit, bis sich diese Wörter durchsetzen und in den schriftlichen Gebrauch übergehen. Doch wenn wir ein Wort in unseren schriftlichen Quellen finden, handelt es sich strenggenommen auch nicht mehr um Jugendsprache.

Welche Quellen sind das?

Wir schauen uns überwiegend Zeitungstexte, Romane, Sachtexte und Ähnliches an. Und da hat sich «slay» noch nicht stark genug durchgesetzt.

Ist der typische Duden-Mitarbeiter ein Sprachpuritaner?

Das sind wir nicht. Wir haben auf der Duden-Redaktion ein Verständnis dafür, dass sich Sprache verändert. Vielleicht kann man sagen, dass wir alle einen Bereich in der sprachlichen Entwicklung haben, mit dem wir Mühe haben. Mich persönlich stört zum Beispiel die zunehmende Getrenntschreibung von Komposita. Da sieht man klar den Einfluss des Englischen. Aber Sprachpuritaner sind wir nicht. Im Gegenteil.

Können Sie das ausführen?

Wir sehen in unserem Beruf die Vielfalt der Sprachentwicklung. Wir sehen da auch keinen Verfall, sondern eher Schwierigkeiten in der Rechtschreibung.

Was müsste geschehen, damit das Wort «Sprachpuritaner» in den Duden aufgenommen wird?

Das Wort müsste oft abgedruckt werden. Sie müssten dafür sorgen, dass nicht nur Sie das Wort verwenden. Hinzu kommt, dass ein Begriff über eine gewisse Zeit lang in möglichst verschiedenen Textsorten verwendet wird, denn wir mögen keine Eintagsfliegen.

Es heisst, die Duden-Redaktion diskutiere manchmal, ob ein Wort aufgenommen wird. Wie häufig tun Sie das?

Am Anfang stehen maschinelle Vorarbeiten. Wir haben eine Textsammlung und können mit computerlinguistischen Methoden Wörter herausfiltern, die in der letzten Auflage des Dudens noch nicht vorgekommen sind. Diese Wörter lassen wir dann nach Häufigkeit sortieren. Das ist oft bereits ein aussagekräftiges Kriterium.

Aber die Häufigkeit allein reicht nicht aus?

Für die neuste Auflage haben wir uns intensiv über das Thema Corona ausgetauscht. Wir haben gemerkt, dass diese Krise Spuren in der Sprache hinterlassen hat. Wir mussten uns aber fragen, wie viele dieser Spuren wir aufnehmen wollen. Die Pandemie ist vorbei, aber die Aufarbeitung fängt an, dadurch kommen gewisse Wörter wieder in Gebrauch.

Haben Sie ein Lieblingswort?

Von den älteren ist es die «Augenweide», die mag ich sehr gerne. Von den Wörtern, die neu dazugekommen sind, mag ich die «Plauderlaune» sehr gerne. Oder auch den «Mocktail», also den alkoholfreien Cocktail. Auch ein Wort aus der Schweiz, das neu hinzugekommen ist, hat es mir angetan: die «Badi». Das klingt nett und einladend.

Stimmt es, dass sich Leute manchmal beklagen, wenn Sie ein Wort aus dem Duden streichen?

Beim Wort «Hackenporsche», für einen Einkaufsroller, war das so. Wir haben uns danach noch einmal intensiv mit dem Wort beschäftigt, hielten aber an der Streichung fest. Allerdings haben wir gestrichene Wörter auch schon in einem Buch gesammelt und darin ihre Geschichte erzählt. Wir erhalten auch Zuschriften mit Vorschlägen für neue Wörter.

Ah, ja?

Die Wörter «wunderherrlich» und «verfassungslegitim» zum Beispiel. Solche Vorschläge prüfen wir und sammeln sie. Sollten sie sich weiterverbreiten, werden sie irgendwann vielleicht im Duden stehen.

Was bedeutet Sprache für Sie?

In unserem Beruf sehen wir, anhand von Sprache, was relevant ist in unserer Gesellschaft. Alle drücken sich über Sprache aus. Gerade in den Listen der neuen Wörter, die ich schon angesprochen habe, sehen wir die vergangenen Jahre wie im Zeitraffer. Wir sind da sehr nahe an den gesellschaftlichen Veränderungen dran. Nehmen wir nur schon das Wort: «Bürohund». Das wäre vor Jahren als Konzept noch undenkbar gewesen. Dann haben wir auch Wörter wie die «Schwiegerfamilie», die «Regenbogenfahne» oder die «Triggerwarnung» aufgenommen. All das sagt etwas über die Zeit aus.

Und was genau können Sie sagen?

Die neuen Wörter habe ich kürzlich in drei Kategorien zusammengefasst: Krise, Krieg und Kochen. Grundsätzlich sehen wir viel Auseinandersetzung. Einige der neuen Wörter wurden am Montag bereits in Foren im Internet diskutiert. Da wurde darüber gestritten, wie relevant ein «Balkonkraftwerk», das «Deutschlandticket» oder die «Mitarbeitenden» seien. Das ist sehr interessant und zeigt die Diskussionen der letzten Jahre.

Ist der Duden eigentlich rentabel?

Duden-Produkte sind unterschiedlich rentabel. Der gedruckte Duden hat sich in der letzten Ausgabe in mehreren hunderttausend Exemplaren verkauft. Wir hoffen und gehen auch davon aus, dass das so bleiben wird. Er steht immer auf den Bestsellerlisten.

Wer kauft ihn?

Hauptabnehmer in Deutschland sind immer noch die Schulen. Wir werden sehen, welche Auswirkungen der digitale Wandel hier noch zeigen wird. Aber auch dafür sehen wir uns mit den digitalen Wörterbüchern, die wir herausgeben, gerüstet.

Ist der 29. der letzte gedruckte Duden?

Nein. Ich bin überzeugt, dass es in drei oder vier Jahren auch eine 30. Auflage gibt. Das Datum hängt unter anderem auch davon ab, wie der Rat der deutschen Rechtschreibung arbeitet. Wenn der Rat neue Regeln beschliesst, dann nehmen wir diese Änderungen in einer neuen Duden-Ausgabe auf. Und der Sprachwandel geht ja immer weiter. Auch wenn der digitale Wandel weiter voranschreitet, glaube ich, dass es immer noch viele Leute geben wird, welche die Vorzüge einer Printausgabe schätzen.

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