Donnerstag, April 24

Der israelische Schriftsteller Etgar Keret fürchtet sich weniger vor den Raketen, die über seine Heimat fliegen, als vor der tiefen Spaltung in Nahost. Dabei wäre Hoffnung auf eine echte Zukunft möglich.

Vor ein paar Wochen habe ich bei der Satire-Show «Saturday Night Live» den Eröffnungsmonolog des ägyptisch-amerikanischen Komikers Ramy Youssef gesehen. Gegen Ende sagt Youssef, dass er zu Gott bete, dass dieser «die Gewalt beende» und «das Volk von Palästina befreie». Das Publikum reagierte mit tosendem Applaus und ich als weltmüder Israeli hielt die begeisterte Menge für liberale, propalästinensische New Yorker. Doch dann sagte Youssef, dass er genauso für die Befreiung aller israelischer Geiseln bete. Das wurde mit ebenso lautem Applaus quittiert.

Da ist mir klar geworden, dass der Rest der Menschheit – im Gegensatz dazu, was mein Social-Media-Feed abbildet, in dem es eine klare Trennung zwischen Verfechtern und Gegnern Israels gibt – grösstenteils sehr, nun, menschlich ist. Wenn jemand sieht, wie eine junge israelische Frau in den Gazastreifen geschleppt wird, will er, dass sie freigelassen wird; wenn er eine hungrige palästinensische Familie sieht, die unter einem behelfsmässigen Zelt kauert und ihre Toten betrauert, will er, dass ihr Leiden ein Ende hat.

Ja, mir ist bewusst, viele werden jetzt aufspringen und erklären, dass man das palästinensische Leid nicht mit dem israelischen oder das israelische Leid nicht mit dem palästinensischen vergleichen könne. Sie werden sagen, dass eine Seite die Schuld zu tragen habe, während der anderen Seite keine andere Wahl geblieben sei. Doch jenseits aller Erklärungen und Argumentationen, wie leidenschaftlich sie auch sein mögen, bleibt eine grundlegende Wahrheit: Leid ist Leid, und es ist nur menschlich, zu wollen, dass es schnellstmöglich endet.

Warum spricht niemand von Zukunft?

Während der letzten sechs Monate habe ich in Gedanken einen Tag immer wieder durchlebt und bin jeden Morgen an einem anderen 7. Oktober aufgewacht. Im Fernsehen werden in Endlosschleife neue unvorstellbare Heldentaten, neue schreckliche Greueltaten und neue herzzerreissende Zeugenaussagen von diesem furchtbaren Tag gezeigt. Der Lauf der Zeit hat mich keinen Millimeter von jenem Samstagmorgen entfernt. Wie könnte er auch, wenn die Geiseln noch immer im Gazastreifen festgehalten werden, die evakuierten Israeli noch immer nicht in ihre Häuser zurückkehren können und ich noch immer das Rattern der Helikopter höre, die verletzte Soldaten in das Krankenhaus nahe meinem Haus bringen?

Die Regierung weigert sich, über die Zukunft zu sprechen. Weder ihre Strategie noch die Slogans haben sich in den letzten sechs Monaten geändert. Diese schwache israelische Führung macht uns nur vage Versprechungen zu einem baldigen und «entscheidenden Sieg», anstatt sich realistische Ziele zu setzen und zu versuchen, sie zu erreichen.

Angeblich zittert der Hamas-Führer vor den Panzern Israels

Seit Monaten beharrt der Verteidigungsminister Yoav Gallant auf seiner Darstellung, dass der Hamas-Führer Yahya Sinwar in seinem unterirdischen Versteck zittere, während Israels Panzer über ihm wegrollten, und Netanyahu versichert, dass die Truppen der israelischen Armee jede Minute in Rafah einmarschieren würden. Die Regierung scheint sich damit zufriedenzugeben, leere Versprechungen zu machen, während wir Bürger uns vor einer nicht enden wollenden Katastrophe wähnen.

Jegliche Überlegung zum Wiederaufbau des Gazastreifens, jeder Schritt hin zu einer klaren und stabilen Zukunft – all das ist tabu. Dennoch ist regelmässig von einer jüdischen Besiedlung des Gazastreifens und einem «freiwilligen Transfer» der Palästinenser die Rede, sowohl in der Knesset als auch vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. «Nach dem, was sie am 7. Oktober getan haben», erklärte das Büro des Ministerpräsidenten, «dürfen wir ihnen keinen Staat schenken.»

Dazu möchte ich eine Bemerkung machen: Ein Staat ist nichts, was man geschenkt oder als Strafe erhält. Staatlichkeit ist ein Grundrecht eines jeden Volkes. Das Massaker vom 7. Oktober war entsetzlich. Aber es verändert nichts an dem Recht der Palästinenser, ihre eigenen Führer zu wählen und ihr Schicksal selbst zu steuern. Dieses Recht besteht seit über fünfzig Jahren und hat kein Verfallsdatum.

Netanyahu benutzt die Hamas, um zu legitimieren, dass er den Palästinensern ihr Recht auf einen Staat abspricht. Tatsächlich haben aber die Hamas und die Ultrarechten in der israelischen Regierung keine diametral verschiedene Weltanschauung. Die beiden Parteien sind sich einig, dass in diesem Land nur Platz für eine Nation ist; ihr einziger Streitpunkt ist: für welche?

Hamas ist Netanyahus liebster Feind

Netanyahu und seine extremistischen Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich bevorzugen die Hamas sogar. Sie ist ihnen lieber als jeder andere palästinensische Feind, der, zwar ebenso grausam und entschlossen wie die Hamas, bereit wäre, sich auf eine Zweistaatenlösung einzulassen.

Ich habe nicht vor, meine Heimat in nächster Zeit freiwillig zu verlassen, ebenso wenig meine palästinensischen Nachbarn. Die Menschen sind grundsätzlich nicht bereit, ihr Land oder ihre Freiheit aufzugeben. Das können weder der Ministerpräsident Netanyahu noch Yahya Sinwar, der Führer der Hamas und De-facto-Herrscher in Gaza, ändern. Die einzige mögliche Veränderung wäre, diese katastrophale Führung durch eine zu ersetzen, die der chaotischen Realität, in der wir gefangen sind, überdrüssig ist. Eine neue Führung, die sich nicht scheut, nach einer besseren Zukunft zu streben.

Etgar Keret, 1967 in Ramat Gan geboren, ist ein israelischer Schriftsteller und Drehbuchautor. – Dieser Text erschien zunächst auf Kerets Blog «Alphabet Soup». Aus dem Englischen von zin.

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