Das Milliardärspaar Harold Fowler McCormick und Edith, geborene Rockefeller, will sich in der Schweiz vom Psychiater C. G. Jung helfen lassen. Später sorgt hier ihre 16-jährige Tochter international für Schlagzeilen.
Max Oser, Besitzer der Reitanstalt St. Jakob in Zürich, bildet junge Reiterinnen und Reiter aus. Da begegnet dem 45-jährigen Junggesellen unerwartet das grosse Glück in der Gestalt einer Dollarprinzessin. Mathilde McCormick Rockefeller, die Enkelin der damals reichsten Männer der Welt, und Oser verlieben sich ineinander. Es ist der Beginn eines Märchens. Einziger Haken an der Geschichte: Die Prinzessin ist zu dem Zeitpunkt gerade einmal 16 Jahre alt.
Dass Mathildes Eltern, das Milliardärspaar Harold Fowler McCormick und Edith, geborene Rockefeller, sich 1913 ausgerechnet an der Limmat niederlassen, ist dem Psychiater Carl Gustav Jung zu verdanken. Jung, der zu dieser Zeit mit seiner analytischen Psychologie berühmt geworden war, behandelt den von Depressionen geplagten Abkömmling der traditionsreichen McCormick-Dynastie erstmals 1908.
Harold McCormick, als Vizedirektor der International Harvester Company (IHC) für das Auslandgeschäft zuständig, kommt in diesem Jahr nach Zürich, um eine Niederlassung des Familienunternehmens zu gründen, und hört von Professor Jung, der seit drei Jahren an der «Irrenanstalt Burghölzli» als Oberarzt tätig ist. Er und seine Frau Edith – zwei der reichsten Kinder Amerikas, die sich glücklich gefunden hatten – sind in einer psychisch schlechten Verfassung, nachdem sie innerhalb von wenigen Jahren ihre beiden ersten Kinder verloren haben. Später bringt Edith drei gesunde Kinder zur Welt.
Die Introvertierte und der Abenteurer
Edith Rockefeller wird 1872 als Tochter von John D. Rockefeller, dem Gründer und Inhaber der Standard Oil Company, in Cleveland, Ohio, geboren. Sie zeigt schon früh künstlerische und intellektuelle Neigungen, spielt Cello, lernt mehrere Sprachen und liest leidenschaftlich gern wissenschaftliche Bücher zu den verschiedensten Themen. Das ebenso intelligente wie starrköpfige Mädchen wappnet sich offenbar schon früh, um seinem einschüchternden Vater, der sich durch strenge Moral und religiöse Prinzipien auszeichnet, die Stirn zu bieten. Edith zeigt aber auch bereits im Jugendalter Anzeichen von psychotischen und neurotischen Störungen.
Tritt sie nach aussen selbstbewusst auf, so kapselt sie sich nach innen ab. Nach der Heirat geht sie zunächst vollständig in ihrer Mutterrolle auf und verkündet, dass die Frau in ihrer Mutterrolle den grössten Ruhm finde («In the capacity of mother woman finds her greatest glory»). Später in Zürich, als sie in Jungs analytische Psychologie eintaucht, wird sie sagen, Mutterschaft sei zwar wichtig, aber nicht alles. Nebst ihrem Muttersein gibt Edith zum Leidwesen ihres Vaters vor allen Dingen grosszügig Geld aus. Bald ist sie stadtbekannt als Gastgeberin und Kunstmäzenin.
Harold, seinerseits Erbe eines Familienunternehmens, das mit seinen Landwirtschaftsmaschinen den Weltmarkt beherrscht, würde man heute als sportbesessenen Workaholic bezeichnen. Bereits in den frühen Morgenstunden sitzt er im Office, um sich nachmittags seinem Hobby, dem Sport, zu widmen. Als Tennisspieler räumt er amerikaweit Pokale ab, als passionierter Reiter und Flugzeugpilot – er überlebt zwei Abstürze – ist der umgängliche und sympathische Amerikaner allseits gern gesehen. Harold war ein von Natur aus extravertierter Typ, um einen von Jung geprägten Begriff zu verwenden. Sein übersteigerter Aktivismus half mitunter, seine Depressionen zu überspielen.
Erste Begegnung mit Jung in den USA
Die Begegnung mit dem charismatischen Carl Jung wird zum Wendepunkt im Leben von Edith und Harold McCormick. Als Jung 1909 zusammen mit Sigmund Freud nach Massachusetts zu einer Konferenz reist, wo er seine neusten tiefenpsychologischen Erkenntnisse vorstellt, fängt auch Edith an, sich mit Jungs Lehre zu befassen.
Als sich Jung drei Jahre später mit seiner jungen Frau Emma erneut in den Vereinigten Staaten befindet, diesmal für längere Zeit, will Edith ihn unbedingt persönlich kennenlernen. Sogleich ist sie vollkommen von Jung eingenommen. Zwei Wochen lang sucht sie ihn täglich für Analysesitzungen auf. Danach bietet sie ihm an, sich fest in New York niederzulassen und für seine Auslagen aufzukommen. Sie nimmt Jung sogar mit zum Landsitz ihrer Eltern und macht ihn mit ihrem berühmten Vater bekannt.
Da Emma Jung aber offenbar nicht in Amerika bleiben will, entscheidet sich die inzwischen arg von Depressionen und Phobien geplagte Edith kurzerhand, mit ihrer Familie nach Zürich zu ziehen, um in Jungs Nähe zu sein. Und dies, obwohl am Lake Forest soeben der millionenschwere Sommersitz «Turicum» fertiggestellt worden war, eines der damals grossartigsten Sommerhäuser Amerikas. Der Prunkwohnsitz, der mit seinem Namen vermutlich vor allem eine Referenz an Jungs Tätigkeitsort war, stand in den kommenden acht Jahren, in denen die Familie in Zürich lebte, leer.
Übersiedlung nach Zürich ins Hotel Baur au Lac
Mit einem riesigen Gepäckaufkommen überquert die fünfköpfige Familie 1913 den Atlantik. Dass sich die phobisch veranlagte Edith nicht von der langen Überfahrt abschrecken lässt, ist umso erstaunlicher, als im Vorjahr die «Titanic» auf ihrer Jungfernfahrt von Southampton nach New York gesunken war und rund 1500 Menschen in den Tod gerissen hatte. In Zürich bezog die Familie eine Luxussuite im Hotel Baur au Lac. Die amtliche Anmeldung erfolgte erst im April 1914; auf der Einwohnermeldekarte der Stadt wird diskret die Wohnadresse «Thalstr. 1, bei Kracht» vermerkt.
An dieser erstklassigen Adresse gaben sich seit der Eröffnung des Hauses illustre Gäste die Türklinke in die Hand. Die herrschaftliche Ausstattung, der Wintergarten mit blumengeschmückten Glasfenstern und der im Hotelpark neu eröffnete Pavillon mit Restaurant scheint den reichen Gästen aus Chicago angemessen. Dass sich der charmante österreichische Hotelbesitzer Karl Kracht und später sein Sohn Hermann persönlich um ihre Gäste kümmerten, die Livree-Kellner vor ihr herliefen und die Türen öffneten, dürfte Edith McCormick mit ihrem Hang zum Extravaganten gefallen haben. Umgekehrt wird sich das Haus, das wegen des Kriegs unter den ausbleibenden Touristen litt, über die solventen Dauergäste aus Chicago gefreut haben. Edith wird während insgesamt acht Jahren, von 1913 bis 1921, im «Baur au Lac» residieren.
Bald nach Ankunft der McCormicks Rockefeller in Zürich sitzen alle Familienmitglieder bei Jung in der Psychoanalyse. Die damals 11- und 8-jährigen Mädchen Muriel und Mathilde besuchen eine Privatschule, wobei Muriel sich wegen ihres Lungenleidens erst noch für mehr als ein Jahr in ein Sanatorium nach Davos begeben muss. Der 17-jährige Harold Jr. kehrt schon bald wieder nach Amerika zurück. Schliesslich werden die beiden Töchter in ein Privatinstitut nach Lausanne geschickt, um Französisch zu lernen und sich mit Musik, Literatur und Drama zu befassen.
Für Drama wird die 15-jährige Mathilde selber noch reichlich sorgen, als sie verkündet, sie wolle ihren Reitlehrer heiraten, der dreimal so alt ist wie sie.
Edith McCormick verehrt und finanziert Jung
Edith gehört schon bald zu den sogenannten Jungfrauen, wie man die Gefolgschaft von Frauen spöttisch nannte, die Jung wie eine Aura umgeben. Täglich sucht sie ihren Therapeuten für eine Sitzung auf. Jung diagnostiziert bei ihr schon bald eine «latente Schizophrenie».
Edith setzt sich mit Jungs verschiedenen künstlerischen und humanistischen Techniken wie Traumanalyse, aktive Vorstellungskraft sowie dem Einsatz von Kunst und symbolischen Bildern auseinander, die er anwendet, um das Unbewusste zu erforschen und die psychologische Entwicklung zu fördern. Jung attestiert der Amerikanerin «eine grosse Menge an psychologischem Wissen». Mit der Zeit assistiert sie ihm bei seinen Therapiesitzungen und empfängt in ihrer Luxussuite im «Baur au Lac» schliesslich selber Frauen, Männer und besonders gern auch junge Menschen zu Séancen. 1915 betreut sie nach eigenen Aussagen rund fünfzig Analysanden. Begeistert schreibt sie ihrem Vater, sie bekomme durch ihre Klientel pro Jahr rund 12 000 Träume erzählt.
Der alte Rockefeller zeigt sich jedoch wenig begeistert. Als ihm seine Tochter dringend empfiehlt, sich doch auch einer Psychoanalyse zu unterziehen, wehrt er entschieden ab. Der Erdölkönig hat offenbar keine Lust, in die Tiefen seiner Psyche einzutauchen.
Selbstverständlich unterstützt die vermögende Edith Jungs Forschung auch in finanzieller Hinsicht. So mietet sie 1916 unter anderem für den von Jung und seinen Anhängern gegründeten «Psychologischen Club» exklusive Räumlichkeiten, zuerst an der Löwenstrasse, danach an der Gemeindestrasse in Hottingen. Sie bezahlt auch die Übersetzung von Jungs Schrift «Die Psychologie des Unbewussten» und anderes mehr.
In der Zürcher Öffentlichkeit zeigt sich Edith immer seltener und verlässt das «Baur au Lac» praktisch nur noch für die Besuche in Jungs Klub. Dennoch kommt sie mit vielen Forschenden und Künstlern in Kontakt, unter anderen mit James Joyce, den sie eine Zeitlang grosszügig finanziell unterstützt, bis er ihre Einladung, sich auf ihre Kosten von Jung analysieren zu lassen, abweist. Beleidigt stellt Edith die Zahlungen ein.
Harold McCormick ersehnt sich Frieden
Auch Harold McCormick scheint sich in Zürich rasch und gut eingelebt zu haben. In der Zürcher Niederlassung, die inzwischen an die Hohlstrasse 100 umgezogen ist, geht er seinen Firmenverpflichtungen nach. Aber auch die Freizeit kommt nicht zu kurz. Harold McCormick und Jung werden bald dicke Freunde, treffen sich zu ausgiebigen Lunches und Dinners, unternehmen mit Harolds Wagen Spritzfahrten über Land und ausgedehnte Wanderungen in den Alpen.
Der vermögende Unternehmer, der offenbar auch über schriftstellerische Fähigkeiten verfügt, schreibt angesichts des sich hinziehenden Weltkriegs, der auch seinem Familienunternehmen grossen Schaden zufügt, ein Buch mit Vorschlägen für Friedensverhandlungen. Sogar der amerikanische Präsident Woodrow Wilson wird darauf aufmerksam.
Regelmässig nimmt Harold auch die lange Schiffspassage nach Amerika auf sich, bis im Mai 1915 die deutsche Marine das britische Passagierschiff «Lusitania» mit fast 1200 Passagieren versenkt. Ab diesem Zeitpunkt reist Harold wesentlich seltener über den Ozean. Er hält sich vermehrt in Chicago auf und lässt sich ab Mai 1918 definitiv wieder dort nieder, da sein alternder Vater mahnt, der Sohn müsse sich vermehrt vor Ort um die Firma kümmern.
Bei der Familie McCormick Rockefeller scheint bis zu diesem Zeitpunkt alles in bester Ordnung zu sein. Die Töchter sind im Internat in Lausanne gut versorgt. Die Mutter Edith, die mit ihrer hilfesuchenden Klientel beschäftigt ist, braucht sich nicht um die Mädchen zu kümmern, auch nicht, wenn sie in den Schulferien zu Besuch in Zürich sind. Sie verbringen ihre Tage noch so gern in Max Osers Reitställen in Aussersihl. Pferde striegeln, den Ausbildnern beim Training zuschauen, ausreiten: Was gab es Schöneres für junge Mädchen?
Der Reitlehrer und die «Dollarprinzessinnen»
Major Max Osers Reitstall St. Jakob ist in Zürich gut bekannt. 1913, zufälligerweise im selben Jahr, als die McCormicks sich in Zürich niederliessen, kauft Oser die «erste und einzige» Reitanstalt an der Müllerstrasse, in unmittelbarer Nähe zur Militärkaserne. Zuvor hatte er bereits in einer Reitschule in Luzern viele junge amerikanische Frauen und Mädchen im Pferdesport unterrichtet. Nebenbei betätigt er sich als Kunstmaler.
Das Geschäft läuft gut für den 45-jährigen Kavallerieoffizier und «Universitätsreitlehrer», ein Titel, der bis ins 19. Jahrhundert hinein an private Stallbesitzer vergeben wurde. Reiten ist damals bei den wohlhabenden Menschen und besonders auch bei den Frauen ein beliebtes Vergnügen, dem auch die McCormick-Töchter gerne nachgehen. Man kennt die beiden Mädchen, die Zürcherdialekt sprechen, gut in der Müllerstrasse, und wegen ihres bescheidenen Auftretens sind sie allseits beliebt.
Besonders geliebt werden sie von den Kindern des ärmlichen Stadtquartiers, die sich in der schulfreien Zeit gern bei den Pferdeställen aufhalten und mit Wonne die Süssigkeiten entgegennehmen, die Mathilde und Muriel ihnen grosszügig austeilen. Hinter vorgehaltener Hand nennt man sie «die Dollarprinzessinnen».
Ab 1920 – die volljährige Muriel ist bereits nach Amerika zurückgereist – sieht man die 15-jährige Mathilde praktisch täglich mit ihrem Reitlehrer im Zürcher Umland ausreiten. Sie ist grossgewachsen, dunkelhaarig und hat grosse schwarze Augen: «angenehme, wenn auch nicht regelmässige Gesichtszüge», beschreibt die «New York Times» ihr Äusseres. Oser attestiert das Blatt, er sehe jünger aus, als es seinem Alter entspräche, sei von mittlerer Statur, stark gebaut, wirke gesund und habe mit seinem Militärschnauz ein gepflegtes, etwas dandyhaftes Aussehen. In Zürich winkt man den beiden bei ihren Ausritten zu, niemand scheint sich etwas dabei zu denken.
Verlobung sorgt für Schlagzeilen
Als Mathilde ihrer Mutter eines Tages eröffnet, dass sie ihren Reitlehrer Max heiraten wolle, ist diese überzeugt, dass Oser nur hinter dem Geld ihrer Tochter her ist. Sie unternimmt alles, um die geplante Verlobung zu verhindern. Mathilde droht sie, dass sie wegen des grossen Altersunterschieds Gefahr laufe, geistig behinderte Kinder zu gebären. Harold und ihren Vater beschwor sie, alle Zahlungen an Mathilde auszusetzen, um die Tochter zur Vernunft und Oser zum Verzicht auf seine Heiratsabsicht zu bringen.
Vor allem aber verlässt sie schweren Herzens ihr Zürcher Nest im «Baur au Lac» und Jungs «Psychologischen Club» und reist mit der renitenten Tochter nach Amerika, in der Hoffnung, sie so vor Oser in Sicherheit zu bringen. Diese Massnahme nützt ebenso wenig wie die gerichtliche Klage, die sie – auf Mathildes Minderjährigkeit pochend – einreicht.
Als ob das nicht genug wäre, hat Edith inzwischen auch noch von der Affäre ihres Ehemanns mit einer fünfzehn Jahre jüngeren polnischen Opernsängerin erfahren, von der die Presse genüsslich berichtete. Harold will seine junge Geliebte heiraten, und Edith und Harold lassen sich nach 26 Ehejahren und einem wüsten Trennungskampf scheiden.
Der Vater Harold hat erstaunlicherweise von Anfang an nichts gegen die Ehe seiner minderjährigen Tochter einzuwenden. Zum einen gab es auch bei seinen Eltern einen Altersunterschied von 26 Jahren. Zum anderen ist er vermutlich gerade mit seiner neuen Liebe genug beschäftigt. Zudem hat er inzwischen auch den Zuspruch des Grossvaters Rockefeller eingeholt, der die drei McCormick-Kinder immer besonders gehätschelt hatte. Zwar nahm auch er anfänglich Anstoss am Liebesverhältnis seiner Enkelin, aber mehr wegen seiner chronischen Angst, dass alle hinter seinem Geld her waren. Schliesslich bedingte er bloss, dass Mathilde mit ihrer Heirat bis zum Erreichen des 18. Lebensjahrs zuwarte und Oser sich für die amerikanische Staatsbürgerschaft bewerbe.
Nach Rockefellers Einverständnis gibt Harold McCormick die Verlobung seiner jüngsten Tochter im Februar 1922 bekannt. Daraufhin schiffen er und Mathilde einmal mehr in New York ein, um dem Bräutigam in Zürich die frohe Botschaft zu überbringen. Gegenüber Journalisten gibt Mathilde ihre Absicht bekannt, dass sie bis zur Hochzeit in der Schweiz bleiben werde, wo sie weiterhin reiten, wandern, stricken, Klavier spielen, lesen und in der Nähe von Max Oser sein wolle. Oser seinerseits beteuert, er heirate Mathilde aus reiner Liebe. Er habe selber genug Geld, um mit Mathilde ein bescheidenes Leben zu führen. Ganz so bescheiden wird es nicht werden, das Paar wird künftig nur in ausgesuchten Liegenschaften residieren.
Honeymoon in England
Die Neuigkeit von der Absicht einer der reichsten Frauen Amerikas, einen Schweizer Reitlehrer zu heiraten, verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der amerikanischen Presse. Die «New York Times» und die «Chicago Tribune» setzen die Nachricht in die Schlagzeilen und sticheln, ob es wohl schon bald zu einer Doppelhochzeit des Vaters und der Tochter McCormick kommen würde.
In der Schweiz hält sich die Presse erstaunlich zurück. Von den grösseren Tageszeitungen sind es nur die «Zürcher Nachrichten» und der Berner «Bund», die darüber berichten. Der sozialdemokratische «Grütlianer» titelt lakonisch: «Eine junge Milliardärserbin heiratet einen ‹alten› Schweizer.» Die NZZ beschränkt sich darauf, Osers Verkauf der Reitschule St. Jakob und seinen Umzug nach Basel zu vermelden.
Mathilde und Max Oser heiraten schliesslich am 23. April 1923 in aller Stille in London, um den amerikanischen Journalisten zu entfliehen, die sie verfolgten. Mathilde hatte ihren 18. Geburtstag abgewartet. Nach einem ausgiebigen Honeymoon in England lassen sich die Frischvermählten zunächst an verschiedenen Orten in der Schweiz nieder, bis sie schliesslich eine «prächtige» Villa in Morges am Genfersee erwerben, wie die «New York Times» schreibt. Zwei Jahre später bringt Mathilde entgegen den bösen Voraussagen der Mutter eine gesunde Tochter und danach einen Sohn zur Welt.
Im Dezember 1929 reist die vierköpfige Familie erstmals nach Amerika, um mit der versammelten Grossfamilie auf John D. Rockefellers Landsitz in Florida Weihnachten zu feiern. Das Familienglück am Genfersee endet 1942. Max Oser stirbt im Alter von 65 Jahren an einer Herzschwäche, worauf Mathilde mit ihren beiden Kindern nach Los Angeles zieht und sie an der Elitehochschule Pomona College studieren lässt. Sie erliegt im Mai 1947 im Alter von erst 42 Jahren den Folgen einer Operation und überlebt ihren Ehemann um nur fünf Jahre.
Karin Huser ist freischaffende Historikerin.