Südafrika, Saudiarabien und Indien sind nur einige der Teilnehmer, die die Abschlusserklärung nicht unterzeichnet haben. Es hält sich bei vielen Ländern die irrige Vorstellung, der Ukraine-Krieg gehe sie nichts an und sie könnten sich heraushalten.
Der Respekt der Souveränität und territorialen Integrität der Staaten sollte ein Prinzip sein, hinter das sich alle Länder stellen können. Auch könnte man erwarten, dass der Schutz von Kindern vor Verschleppung, die Sicherheit von Atomanlagen und die ungestörte Versorgung mit Lebensmitteln unstrittig seien. Am Ukraine-Gipfel in der Schweiz haben sich trotzdem mehr als ein Dutzend Länder des sogenannten globalen Südens geweigert, die Abschlusserklärung zu unterzeichnen, die diese Prinzipien bekräftigte.
Neben der asiatischen Regionalmacht Indien, die im Vorfeld von Kiew und Bern besonders umworben worden war, verweigerten auch regionale Schwergewichte wie Südafrika, Mexiko, Indonesien und Saudiarabien die Unterschrift. Ins Auge sticht auch die Absenz traditionell prowestlicher Staaten wie Jordaniens und der Vereinigten Arabischen Emirate. Brasilien fehlt ebenfalls auf der Liste, doch war das Land auf dem Bürgenstock ohnehin nur als Beobachter vertreten.
Viele andere Schwellenländer hatten gar nicht erst einen Repräsentanten entsandt – angefangen bei China, einem wichtigen Verbündeten von Wladimir Putin. Einige Staaten wie die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens fürchteten wohl, Russland durch ihr Kommen zu verärgern. Anderen war das Thema schlicht nicht wichtig genug. In weiten Teilen der Welt hält sich die Idee, der Konflikt gehe sie nichts an, da halte man sich lieber heraus.
Verklärter Blick auf Russland
Eigentlich kann es keinen Staat kaltlassen, wenn ein Land einen Nachbarn überfällt, seine Städte mit Bomben überzieht und Teile seines Territoriums besetzt. In grossen Teilen der Welt wird der Ukraine-Krieg aber als ein Konflikt zwischen Russland und dem Westen gesehen. Gerade in vielen traditionell russlandfreundlichen Staaten hält sich hartnäckig die Ansicht, Kiew habe mit seiner Hinwendung zum Westen den Krieg selbst verschuldet und Russland verteidige sich nur dagegen, dass die Nato in seine Einflusssphäre vordringe.
Viele Staaten tun sich weiter schwer, Russland als die imperialistische Macht zu erkennen, die es ist. Dieses Missverständnis reicht weit zurück. Obwohl Russland seit dem 19. Jahrhundert mit der Eroberung des Kaukasus und Zentralasiens eine klar kolonialistische Politik verfolgt hat, behauptete es, keine Kolonialmacht zu sein. Viele frühere Kolonien, die sonst durchaus sensibel bei neokolonialen Anwandlungen sind, lassen dem Kreml heute seine imperiale Politik durchgehen.
Tiefsitzender Antiamerikanismus erschwert es vielen, anzuerkennen, dass in diesem Fall die Aggression nicht von den USA ausgeht. Selbst Länder wie Ägypten oder Libanon, die nach Beginn des Krieges direkt durch die Blockade der Getreidelieferungen und die Preisanstiege betroffen waren, wollen sich nicht klar gegen Russland positionieren. Hinzu kommt oft ein gewisser Opportunismus: Warum es sich mit dem Kreml verderben, wenn man dabei im Westen nichts gewinnt?
Der Gaza-Krieg hat die Position des Westens geschwächt
Allerdings dürfte zuletzt auch die Haltung der westlichen Staaten im Gaza-Krieg ihre Position zur Ukraine beschädigt haben. Besonders im Nahen Osten werfen viele Araber ihnen Doppelstandards und Heuchelei vor, weil sie im Fall Israels nicht klar verurteilen wollen, was sie im Fall Russlands vorbehaltlos verdammen. Viele Kommentatoren in den arabischen Staaten kritisieren, dass für den Westen die vielbeschworene regelbasierte Ordnung nur gelte, wenn sie in seinem Interesse sei.
All dies kann aber keine Rechtfertigung dafür sein, selbst nicht das Gewaltverbot und die territoriale Integrität hochzuhalten. Es geht im Ukraine-Konflikt nicht darum, zwischen Russland und dem Westen zu wählen. Im Zentrum steht die Achtung der elementaren Prinzipien des Völkerrechts, deren Verteidigung im Interesse aller friedliebenden Staaten ist. Es ist bedauerlich, dass es auf dem Bürgenstock nicht gelungen ist, davon auch Indien, Mexiko, Südafrika, Saudiarabien und andere Staaten des sogenannten globalen Südens zu überzeugen.

