Dienstag, November 26

Die Börsenturbulenzen der vergangenen Tage haben ein paar interessante Muster zutage gefördert. Ausserdem: Beim Generikahersteller Sandoz könnte sich dank dem Rückschlag bald eine Einstiegsgelegenheit bieten.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Plötzlich ging es schnell. Wie aus dem Nichts brachen Ende der vergangenen Woche die weltweiten Aktienmärkte ein, Anlegerinnen flüchteten in sichere Häfen, US-Staatsanleihen, Frankenanlagen und Gold waren gesucht. Nach Monaten der Ruhe stieg der Volatilitätsindex sowohl für den amerikanischen als auch für den Schweizer Markt.

Viele sagen mir, dass sie das jetzt doch schon länger erwartet hätten – im Nachhinein ist das natürlich immer einfach. Gleichzeitig glaubt kaum jemand, mit dem ich geredet habe, dass das schon alles war. Es muss nicht zwingend zu einer breiten Korrektur an der Börse kommen; wir wagen keine Prognose, in welche Richtung sich der Gesamtmarkt in den kommenden Wochen entwickeln wird. Aber mit der Ruhe ist es aus unserer Sicht vorerst vorbei.

Die Erholung gerät ins Stocken

In den USA und in Japan verlief die Erholung am Mittwoch respektive heute Donnerstag bereits wieder schleppend. Auffallend: Der amerikanische Russell 2000 notiert ziemlich genau dort, wo er vor seinem Ausbruch Mitte Juli schon stand. Diese unterdurchschnittliche Performance der in der Regel konjunktursensitiveren klein- und mittelkapitalisierten Werte kann dahingehenden gedeutet werden, dass die Sorge vor einem konjunkturellen Abschwung in den vergangenen Tagen dominierte.

Auch am Schweizer Aktienmarkt bröckelte die gute Stimmung bereits wieder, der SMI notierte am Donnerstagmittag deutlich tiefer, defensive Werte wie Nestlé, Roche und Swisscom halten sich gut, bei den Industrietiteln ist das Bild gemischt, zu den grössten Verlierern gehören Kühne+Nagel sowie Logitech und Alcon. Am breiten Markt überdurchschnittlich unter Druck stehen wie bereits Anfang Woche VAT und zyklische Aktien wie Bystronic, Komax, Oerlikon und Sulzer.

Am frühen Nachmittag haben nun die Anträge auf Arbeitslosenunterstützung in den USA für etwas Entspannung gesorgt, sie sind leicht niedriger ausgefallen als erwartet. Die US-Futures reagierten prompt mit Avancen. Aber die nächsten schlechten Nachrichten werden von der Börse erneut als solche aufgenommen werden – es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie kommen.

Was können Investoren in dieser Situation tun? Die wichtigste Handlungsanweisung ist: Ruhe bewahren, und die Zeit für einen Portfoliocheck und ein allfälliges Rebalancing nutzen. Von welchen Positionen in Ihrem Depot sind Sie langfristig überzeugt? Welche Aktien sind in den vergangenen Monaten gut gelaufen und haben nun ein deutlich höheres Gewicht im Portfolio als noch davor? Von welchen Valoren sind Sie fundamental überzeugt, aber der Kurs hat sich noch nicht in die richtige Richtung bewegt? Passen Sie die Positionen entsprechend an.

Ich arbeite ausserdem mit einer Liste von Wunschtiteln: Aktien, die mir fundamental sehr gut gefallen, bei denen ich aber den Einstieg verpasst habe, notiere ich mir. Angesichts der anhaltenden Nervosität kann es erneut zu einem breiten Einbruch kommen, bei dem so mancher Qualitätstitel in der Eile zu stark abgestraft wird. Dann werde ich meine Einkaufsliste hervornehmen.

Die Watchlist der Redaktion haben wir schon gestern publiziert, ausserdem haben meine Kollegen mit Schweizer und deutschen Fondsmanagern geredet, um zu erfahren, welche Aktien sie am jeweiligen Markt im Blick haben. Und einen Wert hätte ich noch zusätzlich – dazu weiter unten mehr.

Bemerkenswerte Kursausschläge

Vielleicht ist es Ihnen ebenfalls aufgefallen, als sich die Kurse der Schweizer Aktien am Montagnachmittag aus dem dunkelroten Bereich langsam etwas nach oben bewegten: Entgegen der Annahme, dass Anlegerinnen in diesem Moment eher auf weniger konjunktursensible Unternehmen wie Nestlé setzen, standen genau die Aktien des Nahrungsmittelherstellers besonders unter Druck, wie sich etwa im Vergleich mit ABB zeigt.

Eine Erklärung für diese Bewegung könnte der erstarkte Franken respektive der schwache Dollar sein – mehr zur Abwertung der US-Währung lesen Sie hier. Ziemlich genau dann, als der Handel in den USA am Montag startete, verstärkte sich die Abwärtstendenz bei Nestlé, aber auch bei Roche und Novartis. Möglich, dass einige Anleger die Gunst der Stunde nutzten und ihren Gewinn in Franken realisierten. Überprüfen lässt sich das kaum, aber es zeigt: Die Interpretation von Kursausschlägen ist mitunter schwierig.

Das gilt auch für die folgende Beobachtung: Kurz nach Börseneröffnung am Montag fiel der Aktienkurs von Holcim kurzzeitig bis auf 71 Fr., bevor er sich sehr schnell auf fast 75 Fr. erholte. Ein ähnliches Muster liess sich bei anderen beliebten Titeln wie Sika, ABB und Geberit beobachten.

Was genau passiert ist, kann ich nur vermuten. Angeblich seien mit dem Kurssturz viele Stop-Loss-Aufträge ausgelöst worden: Dieses automatisierte Instrument soll eigentlich verhindern, dass Anleger bei einem fallenden Kurs einen zu grossen Verkaufsverlust einfahren, weil sie zu spät reagieren. Die Aktien werden verkauft, sobald die Notierung unter ein gewisses Niveau fällt.

Was viele nicht wissen oder nicht beachten, ist, dass diese Aufträge «Bestens» ausgeführt werden. Die Titel kommen also ohne Kurslimite auf den Markt, wodurch solche schnellen Einbrüche wie am Montag entstehen – zum Nachteil der verkaufenden Partei. Um das zu verhindern, sollte man eine Kurslimite erfassen. Beim Stop-Limit-Auftrag wird ein Mindestverkaufspreis festgelegt, der nicht unterschritten werden darf.

Sandoz gehört zu den Favoriten

Und nun zum versprochenen Wert auf der Wunschliste: Sandoz. Ich verfolge die Aktien des Generikaherstellers seit sie im Oktober 2023 kotiert worden sind. Anfangs noch etwas skeptisch, halte ich die Titel mittlerweile für eine Bereicherung an der Schweizer Börse. Nur bin ich damit nicht allein und habe den günstigen Einstiegszeitpunkt verpasst. Der Börsenwert ist seit der Kotierung gegen 50% gestiegen.

Sandoz ist sehr schnell zu einem Liebling der Analysten geworden: Siebzehn von zwanzig empfehlen die Aktien derzeit zum Kauf. Das durchschnittliche Kursziel liegt mit 38.40 Fr. noch rund 10% oberhalb des Schlusskurses von gestern Mittwoch. Im Juli haben etwa Vontobel-Analyst Stefan Schneider und sein Kollege von Kepler Cheuvreux, Nicolas Pauillac, mit einem positiven Analystenbericht für Avancen gesorgt. Dieser Optimismus ist mir mittlerweile zu überschwänglich, und er hat sich heute etwas gerächt.

Während die Gewinnprognose für 2024 seit Jahresbeginn in mehreren Schritten nach oben korrigiert wurde, ist der Aktienkurs noch stärker gestiegen. Dies spiegelt sich in der heutigen Börsenreaktion auf die Halbjahreszahlen: Die Erwartungen waren schlicht zu hoch, vor allem was die Profitabilität betrifft. Die ausgewiesene Kern-Ebitda-Marge kam mit 17,5% unter der Unternehmensprognose von rund 20% zu liegen. Auch der Generika-Umsatz fiel etwas niedriger aus als erwartet. Die Titel verlieren im schwachen Gesamtmarkt mehr als 5%.

Dabei gibt es durchaus positive Signale. Das Unternehmen bestätigt das Profitabilitätsziel trotz Dämpfer, dank dem günstigen Produktmix lag die Marge auch deutlich höher als im zweiten Quartal 2023. Und die Umsatzprognose wird gar noch angehoben, neu soll das Wachstum im Gesamtjahr im mittleren bis oberen einstelligen Prozentbereich ausfallen. Der grosse Hoffnungsträger Hyrimoz, Sandoz’ Biosimilar des Originalmedikaments Humira von AbbVie, ist nach anfänglicher Skepsis positiv aufgenommen worden und hat wie erhofft bereits erste positive Impulse gegeben.

Hyrimoz ist nicht das einzige Biosimilar auf das Sandoz und damit die Investoren setzen können. Drei interessante Produkte sind noch in der Pipeline. Für Denosumab zur Behandlung von Osteoporose hat das Unternehmen bereits eine US-Zulassung erhalten, die Markteinführung soll bis Mai 2025 erfolgen. Noch im zweiten Halbjahr 2024 soll Ustekinumab gegen Entzündungserkrankungen wie Arthritis und Morbus Crohn in Europa auf den Markt kommen. Für das Augenmedikament Aflibercept liegen noch keine Zulassungen in den USA vor, aber die indische Biocon hat bereits eine erste Zulassung in Europa erhalten.

Das Geschäft ist ausserdem konjunkturresistent, und es könnte im sehr wichtigen US-Markt gar noch Unterstützung von der Politik erhalten. Der US-Kongress will Massnahmen ergreifen, um die Verwendung von Biosimilars weiter zu fördern. So könnten dank einer breiten politischen Unterstützung etwa die Anforderungen für die Kennzeichnung der Austauschbarkeit 2025 abgeschafft werden.

Das wären gute Neuigkeiten für Sandoz, und ich hoffe auf eine noch etwas günstigere Einstiegsmöglichkeit.

Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market

Gabriella Hunter

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