Samstag, Februar 22

Der Antikorruptionskämpfer galt einst als Verkörperung eines neuen Politikstils in Indien – bodenständig, bescheiden und ehrlich. Doch nach zehn Jahren ist der Lack ab. Seine Niederlage ist so spektakulär, wie es einst sein Aufstieg war.

Als Arvind Kejriwal vor zwölf Jahren die Aam Aadmi Party (AAP) gründete, wählte er als ihr Symbol den Besen. Dieser stand für Kejriwals Versprechen, mit der Korruption in der Politik aufzuräumen. Zugleich verkörperte der Besen den Anspruch der Partei, die Interessen des «aam aadmi» zu vertreten – des kleinen Mannes. In einer Zeit, da Indien von riesigen Korruptionsskandalen erschüttert wurde, trat die Partei für einen neuen Politikstil ein – sauber, transparent und dem Wohl der Wähler verpflichtet.

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Kejriwals persönliches Markenzeichen in diesen Jahren war der Schal, wie ihn die Strassenkehrer und Gemüsehändler in Delhi an kalten Wintertagen tragen. Mit dem Schal wollte der frühere Steuerbeamte, der sich als Aktivist dem Kampf gegen die Korruption verschrieben hatte, seine Volksverbundenheit zeigen. Und lange hatte er damit Erfolg: Bei der Regionalwahl in Delhi 2015 gewann seine Partei 68 der 70 Sitze. Fünf Jahre später holte sie erneut 62 Mandate.

Doch nun ist die Partei bei der Wahl in der indischen Hauptstadtregion jäh abgestürzt. Bei der Auszählung der Stimmen am 8. Februar kam die AAP gerade noch auf 22 Sitze, selbst ihr Gründer Kejriwal verlor sein Mandat im Regionalparlament. Stattdessen fuhr die Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi einen fulminanten Wahlsieg ein. Mit 48 Abgeordneten wird sie erstmals seit 27 Jahren wieder den Chefminister in Delhi stellen können.

Dabei hatte die BJP vor der Wahl nicht einmal einen Spitzenkandidaten nominiert. Ihr Wahlkampf war ganz auf Premierminister Modi zugeschnitten. Zwei Wochen liess sich die Partei Zeit, bevor sie am Mittwoch schliesslich bekanntgab, dass Delhi künftig von Rekha Gupta geführt werde. Die 50-Jährige ist seit drei Jahrzehnten in der Studenten- und Lokalpolitik aktiv, galt aber nicht als Favoritin. Am Donnerstag wurde sie als Chefministerin in Delhi vereidigt.

Die AAP-Regierung in Delhi war ein Ärgernis für Modi

Obwohl die Hauptstadtregion mit rund 20 Millionen Einwohnern eher klein ist für indische Verhältnisse, hat sie eine hohe symbolische Bedeutung im Land. Für die BJP war es stets ein Stachel im Fleisch, dass sie auf regionaler Ebene in Delhi seit 1993 keine Wahl gewinnen konnte. Besonders für Modi, der seit 2014 Indien mit fester Hand regiert und sich auf globaler Bühne gerne als starken Mann inszeniert, war es ein Ärgernis, dass er sich seit zehn Jahren in der eigenen Hauptstadt mit Kejriwals Partei arrangieren musste.

Für die AAP ist der Ausgang der Wahl eine herbe Niederlage. Die meisten Beobachter sind sich einig, dass die Abstimmung ein Referendum über Kejriwal war. Der 56-Jährige stand wie kein anderer Politiker für die AAP und ihren Anspruch, eine andere Politik zu vertreten. Zwar war er seit September nicht mehr selbst Chefminister, doch zog er weiter die Strippen in der Partei. Es stellt sich die Frage, wie er so tief hat fallen können und warum er so an Rückhalt verloren hat.

Im Wahlkampf hatte sich Kejriwal als Macher präsentiert, der Ergebnisse liefert. Er warb insbesondere mit den Erfolgen seiner Partei beim Ausbau des Bildungs- und Gesundheitswesens in Delhi. Selbst Kritiker erkennen an, dass die AAP-Regierung die Qualität der Schulen verbessert und mit dem Bau von Quartierkliniken viel für die Gesundheitsversorgung der Armen getan hat. Diese erhalten zudem kostenlos Strom und Wasser, auch können Frauen gratis den Nahverkehr nutzen.

Kejriwal hat viel für die Frauen und die Armen getan

Die AAP pries ihre Politik als «Delhi-Modell» an. Sie präsentierte dieses bewusst als Gegenentwurf zum wirtschaftsfreundlichen «Gujarat-Modell» der BJP. Dieses ist nach dem westindischen Teilstaat Gujarat benannt, den Modi lange regierte, bevor er 2014 Premierminister wurde. Während Modi in Gujarat darauf gesetzt hatte, grosse Konzerne ins Land zu holen, legte Kejriwal den Fokus eher auf die Stärkung der Armen, der Frauen und der sozial Marginalisierten.

Allerdings hatte Kejriwal von Anbeginn das Problem, dass er als Chefminister in Delhi keine Kontrolle über die Polizei und Teile der Verwaltung hatte. Denn die Hauptstadtregion ist kein Teilstaat, sondern ein Unionsterritorium, in dem wichtige Kompetenzen beim Gouverneur liegen, der die Zentralregierung vertritt. Das Ergebnis war, dass Kejriwal permanent im Streit mit dem von Modi nominierten Gouverneur lag, der viele seiner politischen Initiativen blockierte.

Viele Wähler fürchteten, dass diese Blockade andauern würde, sollte Kejriwal an der Macht bleiben. Obwohl die BJP mitverantwortlich für die Blockade war, warb sie im Wahlkampf damit, dass es besser für Delhi wäre, wenn der Chefminister und der Gouverneur Hand in Hand arbeiteten. Nur eine solche «Doppelmotor-Regierung», so die BJP, werde die notorischen Verkehrs-, Abfall- und Smogprobleme der Millionenmetropole in den Griff bekommen.

Ein Kristallpalast für den früheren Antikorruptionskämpfer?

Im Wahlkampf warf die BJP Kejriwal zudem vor, sein Versprechen einer neuen, sauberen Politik gebrochen zu haben. Sie beschuldigte ihn, seine Residenz in Delhi auf Kosten der Steuerzahler in ein luxuriöses Sheesh Mahal (Kristallpalast) umgewandelt zu haben. Auch wurde die BJP nicht müde, an den Korruptionsskandal bei der Vergabe der Alkohollizenzen in Delhi zu erinnern, in dessen Zuge Kejriwal und andere AAP-Politiker vor einem Jahr festgenommen worden waren.

Es war das erste Mal in Indien, dass ein amtierender Chefminister verhaftet wurde. Da die Festnahme kurz vor den wichtigen nationalen Wahlen von 2024 erfolgte, warf die AAP der BJP-Regierung vor, ihre Macht zu missbrauchen, um einen gefährlichen Rivalen kaltzustellen. Zwar wurde Kejriwal später auf Kaution freigelassen, doch trat er im September als Chefminister zurück. Nur wenn ihm die Wähler ein neues Mandat erteilten, wolle er in das Amt zurückkehren, sagte er.

Dieses Mandat haben die Wähler ihm nun jedoch verweigert. Zwar hat er bei den Ärmeren seinen Rückhalt bewahrt, doch ein Grossteil der Mittelschicht hat der AAP nach zehn Jahren den Rücken gekehrt. Kejriwals Image als Kämpfer gegen die Korruption hat durch den Alkoholskandal und die Affäre um seinen Amtssitz Kratzer bekommen. Auch gab es vermehrt Vorwürfe, er agiere selbstherrlich und habe einen Personenkult um sich errichtet. Es ist bezeichnend, dass er am Ende gegen einen BJP-Kandidaten verlor, der für ebenjene klientelistische, dynastisch geprägte Politik stand, die Kejriwal überwinden wollte.

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