Samstag, März 15

Weshalb führt eine Meditationsbewegung ein weltweites Medienimperium?

Würden Sie 0,25 Cent pro Woche zahlen für Informationen, «die in anderen Medien zensiert werden»? Für Nachrichten «ohne Ideologie und ohne Meinungsvorgabe»? Damit wirbt die «Epoch Times» momentan in Deutschland. Sie scheint Erfolg zu haben.

Die Epoch Times sieht sich als «alternative» Plattform, die sich gegen den Mainstream auflehnt. Auf ihr findet man gegenwärtig viel Kritik an der Politik der deutschen Regierung, impfskeptische Artikel und ausführliche Berichterstattung zur AfD. Zwischen 2015 und 2019 stiegen die Seitenaufrufe auf «Epoch Times Deutschland» um das Zehnfache, auf rund 10 Millionen Aufrufe pro Monat. Das zeigen die aktuellsten Zahlen des Vereins IVW Digital, der die Zugriffszahlen auf Websites ermittelt. Im Vergleich zu den beliebtesten Nachrichtenseiten Deutschlands ist das zwar wenig – die «Bild» hatte im März über 560 Millionen Aufrufe, der «Spiegel» 170 Millionen.

Allerdings dürften die Nutzerzahlen von «Epoch Times» inzwischen weiter angestiegen sein. Schliesslich weiss man aus Studien zu «Alternativmedien», dass diese Websites rund 40 Prozent ihres Traffics durch soziale Netzwerke erhalten. Die Anhängerschaft der «Epoch Times Deutschland» ist in den sozialen Netzwerken stark gewachsen: auf Telegram um den Faktor elf seit 2019, auf X (ehemals Twitter) um den Faktor sieben, wie Recherchen im Internetarchiv Web.archive.org zeigen. Auf beiden Plattformen hat die Publikation heute über 30 000 Follower. Die Redaktionsleitung der «Epoch Times» liess die Frage nach den Leserzahlen unbeantwortet.

«Wahrhaftigkeit, Gutherzigkeit und Nachsicht»

Hinter der «Epoch Times» steckt eine chinesische Sekte: Falun Gong, auch Falun Dafa genannt. Li Hongzhi, von Anhängern «Meister Li» genannt, gründete sie in den frühen neunziger Jahren. Damals erlebten Qigong-Bewegungen grossen Zuwachs, besonders in den Städten. Die jahrtausendealte chinesische Praxis, die auf Meditation, Atem- und Bewegungsübungen beruht, füllte ein spirituelles Vakuum im kommunistischen China.

Falun Gong kombinierte die Übungen mit einer Moralphilosophie: Man trete ein für Wahrhaftigkeit, Gutherzigkeit und Nachsicht, heisst es. Dies seien die «grundlegendsten Eigenschaften des Universums» – und der Weg zu einem glücklichen Leben.

Die Gruppe wuchs schnell. Ende der neunziger Jahre soll sie laut Angaben der chinesischen Regierung auf über 70 Millionen Anhänger gewachsen sein. Wie viele es heute sind, dazu gibt es keine gesicherten Zahlen. Die Organisation Freedom House schätzt, dass es weltweit 7 bis 20 Millionen sind.

Auch in Deutschland und in der Schweiz sind Falun-Gong-Mitglieder heute mit Demonstrationen und Ständen in der Öffentlichkeit anzutreffen, wo sie mit Plakaten und Flyern auf sich aufmerksam machen.

Chinas Regierung unterdrückt Falun Gong mit aller Härte

Anfangs unterstützte die chinesische Regierung die gesundheitsfördernde Wirkung der Falun-Gong-Übungen in der Bevölkerung. Falun Gong war Teil einer offiziellen, staatlich anerkannten nationalen Qigong-Vereinigung. Doch bald fürchtete die Regierung, die Kontrolle zu verlieren. «Meister Li» wehrte sich gegen die wachsenden Anforderungen durch die Kommunisten und trat mit Falun Gong aus der Qigong-Vereinigung aus.

Sofort begann die Regierung, gegen Falun Gong vorzugehen, verbot Bücher von «Meister Li», verhaftete einzelne Anführer und Anhänger. Als im Jahr 1999 um die zehntausend Praktizierende vor dem Regierungsgebäude in Peking gegen die zunehmende Repression der Behörden demonstrierten, folgte eine brutale Welle der Unterdrückung, die bis heute andauert.

Der damalige Partei- und Staatschef, Jiang Zemin, wollte den «bösartigen Kult» ausmerzen. Wie Uno-Sonderberichterstatter in den Jahren darauf dokumentierten, landeten viele der Anhänger und ihre spirituellen Anführer in Gefängnissen oder Arbeitslagern, wo sie mutmasslich Folter, sexueller Gewalt und, so lauteten die Vorwürfe von Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen, sogar erzwungener Organentnahme ausgesetzt waren. Tausende seien dabei umgekommen, sagen mehrere Menschenrechtsorganisationen.

Aus der spirituellen Gruppierung wurde fortan eine Widerstandsbewegung gegen die chinesische Regierung. Wer konnte, flüchtete ins Ausland. Der Falun-Gong-Gründer Li Hongzhi hatte sich schon Mitte der neunziger Jahre nach Amerika abgesetzt. Im Jahr 2000, ein Jahr nach dem Verbot von Falun Gong in China, gründete Li die Zeitung «Epoch Times», um seine Lehren einem westlichen Publikum bekanntzumachen – und eine Kampagne gegen die chinesische Regierung zu fahren.

Li soll bis heute massgeblich die Richtung der «Epoch Times» vorgeben, sagten ehemalige Mitarbeiter gegenüber der «New York Times». Gegenüber der NBC sagten sie, Li habe die «Epoch Times» «unser Medium» genannt. Seine skurrilen Reden werden auch in der deutschen Version verbreitet.

«Epoch Times» tarnt sich als normale Online-Zeitung

Doch die Propaganda von «Meister Li» ist auf der Seite gut getarnt. Auf den ersten Blick sieht die deutsche Seite von «Epoch Times» aus wie eine normale Online-Zeitung. Es gibt News aus dem Inland, dem Ausland, Gesellschaft, Kultur und so weiter. Viele Artikel stammen von Nachrichtenagenturen, die Seite wird täglich mehrmals aktualisiert und bildet aktuelle Ereignisse ab.

Wer sich aber länger mit den Inhalten beschäftigt, merkt, dass die «Epoch Times» immer wieder bestimmte Erzählmuster bedient. Auffällig ist die umfassende Berichterstattung zu China. Auch Videos und Dokumentationen zu China werden laufend veröffentlicht. Zum Beispiel: «Ex-Geheimagent packt aus: So jagt Chinas Geheimpolizei Dissidenten weltweit.»

Allerdings sind viele der Informationen im Zusammenhang mit China skandalisierend, schüren Ängste und verteufeln die herrschende Kommunistische Partei. Als zum Beispiel im Dezember vergangenen Jahres viele Kinder in China an einer Lungenkrankheit litten, titelte die «Epoch Times»: «Wie vor vier Jahren – Peking vertuscht mysteriöse Lungenentzündung». Wie beim Ausbruch des Coronavirus in Wuhan seien die Kliniken am Rande des Zusammenbruchs, wie damals würden die Behörden über den wahren Erreger lügen und alles vertuschen, keine Frage, das fatale Szenario von damals wiederhole sich.

Dabei war gar kein neuer, gefährlicher Erreger im Umlauf, geschweige denn eine neue Pandemie – sondern gewöhnliche winterliche Erkältungsviren, die auf eine wachsende Antibiotikaresistenz stiessen. Chinas Regierung informierte die WHO zeitnah.

Die «Epoch Times» widmete dem Gerücht der «mysteriösen» Krankheit innert zwei Wochen jedoch drei Artikel und liess auch Sektengründer Li Hongzhi zu Wort kommen mit einer abstrusen Theorie: Das Coronavirus richte sich gegen die Kommunistische Partei Chinas und diejenigen, die der Partei blind folgten. Er mahnt: Die Menschen sollen «sich von der bösen Partei fernhalten».

Ein Führerkult um «Meister Li»

Die Lehren von «Meister Li» sind alles andere als harmlos. «Falun Gong ist eine Guru-Bewegung», sagt der Schweizer Religionswissenschafter Georg Schmid von der kirchlichen Informationsstelle Relinfo. Der Guru, das ist Li Hongzhi – von seinen Anhängern «Meister Li» genannt. Seine Gefolgschaft schreibt dem über 70-jährigen Mann übernatürliche Heilkräfte zu und verehrt ihn als Erlöser. Bei einigen Falun-Gong-Anhängern hinge angeblich ein Bildnis von «Meister Li» im Wohnzimmer, und seine Bücher und Schriften stünden im Regal, sagten sie gegenüber einem BBC-Reporter.

Während Meditation, Atemübungen und Bewegung nachweislich gut für die Gesundheit sind, ersetzen sie keinen Arzt bei einer ernsthaften Erkrankung. Doch genau das glauben manche Mitglieder von Falun Gong. «Meister Li» könne Körper und Seele reinigen, glauben sie. Die Falun-Gong-Praxis könne sogar Krebs im Endstadium heilen, berichtet ein Anhänger im Februar auf «Epoch Times».

Laut dem Experten Schmid sind weitere der Lehren von Falun Gong problematisch. So vertrete «Meister Li» die rassistische Theorie, dass Menschen von unterschiedlichen Kontinenten einander nicht heiraten sollten, denn aus Mischehen entstandene Kinder seien minderwertig. Zudem sieht Li Homosexualität kritisch. Laut Recherchen des amerikanischen Politmagazins «The New Republic» werden Autorinnen und Autoren von «Epoch Times» dazu angehalten, keinesfalls über Homosexualität zu berichten.

Glaube an den Weltuntergang

Auch Matthias Pöhlmann, Sekten-Experte einer bayerischen Landeskirche, hat sich während der Recherche für sein Buch «Rechte Esoterik» ausführlich mit Falun Gong beschäftigt. Er sagt, laut ihrem Glauben sei die Menschheit bereits Dutzende Male ausgelöscht worden, wobei immer nur wenige Menschen überlebt hätten, die immer wieder neue Welten hervorgebracht hätten. Bald dürfte die Zivilisation ein weiteres Mal enden, und diesmal würden nur die Anhänger von Falun Gong gerettet. So habe es «Meister Li» in seinen Lehren beschrieben.

«Aus ihrem Selbstverständnis heraus ist es für Falun-Gong-Mitglieder wichtig, andere Menschen von ihrem Glauben zu überzeugen. Nur so können auch die anderen gerettet werden», sagt Pöhlmann. Unter anderem zu diesem Zweck hätten Falun-Gong-Anhänger mehrere Medienunternehmen gegründet, die die Botschaft von «Meister Li» in die Welt tragen.

Darunter auch die «Epoch Times». Heute betreibt das Unternehmen Internetportale in 36 Ländern und auf 24 Sprachen.

«Epoch Times» streut Gerüchte um Selenski

Nicht nur zu China taucht die «Epoch Times» zuweilen in die Richtung der Verschwörungstheorien ab. Auch zu anderen Themen werden den Lesern «alternative Fakten» präsentiert. Zum Beispiel über den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski. In einem Artikel vom April fragt die «Epoch Times», «wie schwer ist Selenski wirklich?» und meint damit vermutlich «schwerreich».

Dann wird ausführlich über Gerüchte berichtet, wonach Selenski angeblich Luxus-Jachten und Villen vor der Öffentlichkeit verstecke. Schon im Untertitel wird angedeutet, dass Selenski Milliardär sein könnte. In prorussischen Kreisen wird diese Erzählung schon seit längerem verbreitet.

Da es keinerlei Beweise für solche Behauptungen gibt, verzichteten seriöse Medien auf eine Berichterstattung. Eine Recherche der NZZ zeigte, dass die Jachten und Villen erfunden waren. Das wird im Artikel der «Epoch Times» nie klargestellt.

Fragen, wieso die «Epoch Times» Gerüchte um Selenski verbreite, lässt die Redaktionsleitung unbeantwortet. Ein Mitglied der Redaktionsleitung schrieb der NZZ nur summarisch, die «Epoch Times» habe sich dem «aufrichtigen, traditionellen Journalismus» verpflichtet. Man publiziere auch Fakten und Meinungen, die «andere Sichtweisen in Bezug auf vorherrschende Narrative enthalten».

Fragen zur Finanzierung des Unternehmens, Verbindungen zu Falun Gong oder Angestelltenzahlen wurden ignoriert.

Werbung für Tanzveranstaltungen in Deutschland

Wie stark Falun Gong mit der «Epoch Times» verwoben ist, wird in mehreren Artikeln deutlich. Nebst der Hofberichterstattung für «Meister Li» berichtet die Plattform als offizieller Medienpartner immer wieder über Veranstaltungen der Tanzgruppe Shen Yun, die ebenfalls auf Falun Gong zurückgeht. Zwei Dutzend Auftritte hat die Gruppe im Frühling und Sommer 2024 in Deutschland und Österreich.

Besucher der Veranstaltungen berichten, dass die Show die Unterdrückung der Falun Gong Bewegung in China inszeniere. Offenbar kämen immer wieder auch gelbe Banner auf die Bühne, mit der Aufschrift «Falun Gong ist gut».

«Die Bewegung nutzt ihre Geschichte immer wieder dafür, um im Westen Sympathie zu gewinnen», sagt der Sekten-Experte Matthias Pöhlmann. «Aber Falun Gong vertritt eine elitäre spirituelle Weltsicht, die Verschwörungstheorien verbreitet und damit die demokratische Gesellschaft spaltet.»

Damit ist klar: Was aussieht wie ein seriöses Medienportal, ist in Wahrheit ein Sprachrohr einer Sekte.

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