Der Treibhauseffekt führt dazu, dass Satelliten und Weltraummüll immer länger die Erde umkreisen. Bis 2100 könnte darum die Aufnahmefähigkeit niedriger Satellitenorbits um 40 Prozent sinken.

Der Klimawandel macht sich bis in das Weltall hinein bemerkbar. Selbst die Satelliten und der Weltraummüll sind vor ihm nicht sicher: Ihre Verweildauer im All wird länger, was das Kollisionsrisiko erhöht. Dieses überraschende Phänomen hängt direkt mit dem Treibhauseffekt zusammen.

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Treibhausgase erwärmen die Luft zwar in der untersten Atmosphärenschicht. Weiter oben ruft der wachsende CO2-Anteil aber eine Abkühlung hervor, weil das Gas vermehrt Infrarotstrahlung aussendet. Durch die Abkühlung ziehen sich die hohen Luftschichten zusammen, zum Beispiel die sogenannte Thermosphäre zwischen 80 und 600 Kilometern Höhe.

Satelliten in den niedrigsten Umlaufbahnen – 200 bis 1000 Kilometer über der Erdoberfläche – stossen dadurch in Zukunft immer seltener mit den Molekülen der obersten Luftschichten zusammen. Sie werden also weniger abgebremst, und dadurch verweilen sie länger im All.

Die Kollisionsgefahr steigt allmählich an

Auf den ersten Blick wirkt es segensreich, wenn die Satelliten länger die Erde umkreisen. Denn dadurch können sie über längere Zeit genutzt werden. Allerdings ist es dann auch nicht mehr so leicht, sie nach ihrem Betriebsende loszuwerden.

Satelliten in den niedrigsten Umlaufbahnen lässt man am Ende der Betriebsdauer meistens von selbst abstürzen und in der Atmosphäre verglühen. Weil die äusseren Luftschichten schrumpfen, vergeht bis zu diesem automatischen Absturz nun immer mehr Zeit.

Noch problematischer ist, dass auch der Weltraummüll immer länger im All verweilt. Wenn die Atmosphäre schrumpft, brauchen Trümmerwolken, die aus den Zusammenstössen von Satelliten oder anderen Objekten hervorgehen, deutlich länger, bis sie absinken.

Schon seit geraumer Zeit befürchten Fachleute, dass eines Tages ein Schneeballeffekt im All einsetzen könnte: In diesem Szenario entstünden durch Kollisionen immer neue Trümmerteile, die weitere Kollisionen verursachten – das ist das sogenannte Kessler-Syndrom. Benannt ist es nach Donald Kessler, einem amerikanischen Astronomen, der bereits im Jahr 1978 warnend auf diese Gefahr hinwies.

William Parker vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge hat jetzt gemeinsam mit zwei Kollegen in Grossbritannien mithilfe von Berechnungen untersucht, wie der Klimawandel das Risiko des Kessler-Syndroms verändert.

Die Umlaufbahnen können weniger Satelliten aufnehmen

Die Fähigkeit der tiefen Umlaufbahnen, Satelliten aufzunehmen, ohne dass es zum gefährlichen Kessler-Syndrom kommt, könnte durch den Klimawandel deutlich kleiner werden. Das haben die Autoren im Fachblatt «Nature Sustainability» erläutert.

Für die beliebtesten Umlaufbahnen für Satelliten in einer Höhe zwischen 400 und 1000 Kilometern erwartet das Team um Parker eine Verringerung der Aufnahmefähigkeit bis zum Jahr 2100 um 33 bis 40 Prozent. Diese Zahl gilt für einen relativ hohen Treibhausgasausstoss – bei wenig ehrgeizigem Klimaschutz auf der globalen Ebene.

«Wenn wir das Risiko des Kessler-Syndroms auf dem gleichen Level halten wollen, sollten wir in Zukunft weniger Müll verursachen», sagt Parker. Die beste Lösung wäre, die Zahl der Satellitenstarts zu begrenzen.

Die Autoren stellen in ihrer Studie auch ein Worst-Case-Szenario vor: Setzt man extrem hohe Treibhausgasemissionen voraus, könnte sich die Aufnahmekapazität der beliebtesten Orbits sogar um bis zu 80 Prozent verringern. So hohe Emissionen wie in diesem Szenario gelten allerdings als unrealistisch.

Laut Thierry Dudok de Wit vom International Space Science Institute in Bern, der nicht an der Studie beteiligt war, wurde das Problem bereits früher studiert. Die neue Arbeit liefere mithilfe eines stark vereinfachten Modells eine erste Abschätzung, wie gross der Effekt sein könnte. In Wirklichkeit seien die Dinge allerdings komplizierter. Zum Beispiel gebe es Satelliten und Weltraumschrott-Trümmer in vielen verschiedenen Grössen, während sie in dem Modell alle gleich gross seien.

Immer mehr Satelliten werden ins All geschossen

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Satelliten geradezu explodiert; sie liegt derzeit bei rund 10 000. Darunter sind allein mehr als 6000 aktive Satelliten des Starlink-Netzwerks von Elon Musk. Für die Zukunft rechnet man mit einem weiterhin starken Wachstum der Satellitenzahl. Bis 2030 könnte es mehr als 100 000 neue im All geben.

Bisher haben sich nur wenige Kollisionen ereignet. Der meiste Weltraummüll stamme von einer Kollision zweier Satelliten im Jahr 2009 und einer gezielten Zerstörung eines Satelliten mithilfe einer chinesischen Rakete im Jahre 2007, sagt Parker.

Wegen der rasanten Vermehrung der Satelliten gibt es mehrere Bestrebungen, die Gefahr des Weltraummülls einzudämmen; zum Beispiel werden immer mehr Ausweichmanöver unternommen. Ausserdem hat man präventive Massnahmen beschlossen.

Die Europäische Weltraumagentur empfiehlt zum Beispiel, Satelliten fünf Jahre nach dem Start aus dem Verkehr zu ziehen – sei es durch Absturz oder durch das Verfrachten in einen sogenannten Friedhofsorbit. Die Federal Communications Commission in den USA hat eine ähnlich lautende Regel beschlossen. Eine internationale Koordinierung fehle derzeit, sagt Dudok de Wit.

Die Sonne ist der grosse Unsicherheitsfaktor

Noch müssen Wissenschafter für ihre Studien zu diesem Thema viele Annahmen treffen, die Resultate sind unsicher. Zum Beispiel gibt es einen weiteren wichtigen Faktor, der die Ausdehnung der oberen Schichten der Atmosphäre beeinflusst: die Sonne. Ihr Verhalten stelle die grösste Ungewissheit dar, sagt Parker.

Der Einfluss der Sonne schwankt mit dem 11-jährigen Zyklus der Sonnenaktivität. Immer wenn das Zentralgestirn besonders aktiv ist und mehr Strahlung Richtung Erde schickt, dehnen sich die oberen Luftschichten aus. Herrscht hingegen Ruhe auf der Sonne, zieht sich die Luft wieder zusammen. Dieser Effekt ist der Schrumpfung der oberen Atmosphäre durch den CO2-Anstieg übergelagert.

«Für unsere Studie haben wir die Annahme getroffen, dass sich der Sonnenzyklus in Zukunft so ähnlich verhalten wird wie in den vergangenen 60 bis 70 Jahren», sagt Parker. Es muss aber nicht so kommen; die Sonne kann sich auch ganz anders aufführen.

Käme es zum Beispiel wieder einmal zu einem grossen, jahrzehntelangen Aktivitätsminimum wie das letzte Mal vor rund 350 Jahren, zöge sich die obere Atmosphäre merklich zusammen – dies käme zu dem CO2-bedingten Schrumpfen noch hinzu. Dann müsste man die Satellitenstarts ganz erheblich anpassen.

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