Dienstag, November 26

Im Frühling haben die Demonstrationen in der Columbia und Harvard für weltweite Schlagzeilen gesorgt. Von einer Rückkehr zum Normalbetrieb sind die Ivy-League-Universitäten aber noch weit entfernt.

Nachdem auch in den USA das Herbstsemester vor ein paar Wochen begonnen hat, zeigt sich, wie erstaunlich ruhig es an den Elite-Universitäten geworden ist. Die heftigen propalästinensischen Proteste hatten dazu geführt, dass gleich mehrere Präsidentinnen zurücktreten mussten. Man hielt ihnen vor, sie hätten nicht genug zum Schutz der jüdischen und israelischen Studenten unternommen. Mit der realen Situation im Nahen Osten kann die Beruhigung kaum zu tun haben, denn die Auseinandersetzungen dauern ja an.

Auswärtige dürfen den Columbia-Campus nicht mehr betreten

Es ist möglich, dass es einfach an den langen Ferien liegt und sich die Demonstranten zuerst wieder organisieren müssen. Auch spielt die Fluktuation vermutlich eine Rolle: Viele Studenten haben ihre Ausbildung abgeschlossen, neue sind eingetreten, die vorerst nichts mit der Bewegung zu tun haben.

Allerdings haben die Universitäten auch diverse Massnahmen ergriffen, um eine Wiederholung der dramatischen Zuspitzung vom Frühling zu vermeiden. So darf der Campus der Columbia-Universität in New York, ein Hotspot der früheren Proteste, nur noch mit einer Identitätskarte betreten werden, die einen als Studenten oder Mitarbeiter ausweist. Das ist deshalb wichtig, weil viele der Protestierenden gar nicht an der Universität eingeschrieben waren. Der Schritt wird jedoch auch von vielen bedauert, weil das schöne Gelände ein beliebter Ort für die Quartierbewohner war, die hier allein, mit Kindern oder Hunden spazieren gingen, was zu einer – zumindest symbolischen –Durchlässigkeit der Elite-Institution gegenüber der Öffentlichkeit beitrug.

Am ersten Unterrichtstag nach den Ferien protestierten etwa fünfzig Leute vor den Eingangstoren gegen die israelische Politik und forderten die Studenten zum Boykott der Lehrveranstaltungen auf – ohne grossen Erfolg. Zwei der Demonstranten wurden verhaftet. Die Alma-Mater-Statue auf dem Campus wurde mit roter Farbe bespritzt, aber es kam entgegen den Erwartungen nicht zum Versuch, wieder Camps zu errichten.

Shai Davidai wird gemassregelt

Die Entlassung von mehreren Präsidentinnen hatte vermutlich ebenfalls eine abschreckende Wirkung, vor allem auf Mitglieder des Lehrkörpers, die teilweise auch prominent unter den Protestierenden vertreten waren. Im Frühling kursierten Listen von Demonstranten und Wortführern, und einige renommierte Firmen erklärten, dass sie die entsprechenden Studenten nicht einstellen würden. Angesichts der hohen Studiengebühren kann man sich vorstellen, dass einige Eltern ein Machtwort sprachen.

Ganz still ist es allerdings nicht geworden um die Proteste. Am Mittwoch hielt die frühere Aussenministerin Hillary Clinton an der Columbia-Universität eine Rede. Etwa dreissig Studierende veranstalteten ein Sit-in gegen die Israel-Politik der amerikanischen Regierung und skandierten Slogans wie «Zionists not welcome here» und «Columbia, you will see, Palestine will be free». Clinton musste für ihren Auftritt einen Seiteneingang benützen, aber konnte ihre Rede wie geplant halten.

Am Dienstag hat die Leitung der Columbia-Universität dem Assistenzprofessor Shai Davidai vorläufig den Zutritt zum Campus verboten, weil er wiederholt Mitarbeiter belästigt und eingeschüchtert habe. Davidai, der an der Business School unterrichtet, gilt als eine der prononciertesten Pro-Israel-Stimmen der Universität. Er hat wiederholt für Kontroversen gesorgt, zuletzt, indem er Cas Holloway, den Chief Operating Officer der Universität, minutenlang verfolgte, ihn mit bohrenden Fragen zu den Anti-Israel-Protesten konfrontierte und dabei filmte. Davidai, ein israelischer Bürger, hat über 100 000 Follower auf seinem X-Account, auf dem er seine Aufnahmen gemeinhin publiziert, oft auch mit den Namen und Anschriften von Professoren und Studenten, die ihm missfallen.

Radikalisierung gewisser antiisraelischer Gruppen

Auf der andern Seite des politischen Spektrums steht die propalästinensische Gruppe Columbia University Apartheid Divest. Sie hatte im Frühling für Aufsehen gesorgt, als ihr Mitglied Khymani James bei einer disziplinarischen Untersuchung sagte: «Zionisten verdienen es nicht zu leben» und «Seid dankbar, dass ich nicht einfach hinausgehe und Zionisten töte». Die Organisation hatte sich damals von diesen Äusserungen distanziert. Nun radikalisierte sich die Gruppe offenbar und zog die damalige Entschuldigung zurück. Sie hat sich nun offen auf die Seite der Hamas geschlagen. «Wir unterstützen die Befreiung mit allen notwendigen Mitteln, inklusive bewaffnetem Widerstand», liess sie verlauten.

Das stellt die Universitätsleitung vor das Dilemma, ob sie solche Aussagen als antisemitisch beziehungsweise als Aufruf zur Gewalt verbieten oder das Recht auf freie Meinungsäusserung höher gewichten soll. Gruppen wie Students for Justice in Palestine oder Jewish Voice for Peace wurden von der Columbia-Universität inzwischen verbannt.

Kindergärtner und Harvard-Studenten

Im Barnard College, das zur Columbia gehört, dürfen die Wände in den Schlafsälen nicht mehr dekoriert werden. Damit soll das Anbringen von antiisraelischen Slogans verhindert werden, die manche Studenten als beleidigend oder bedrohlich empfanden.

In Harvard, einer weiteren der renommierten Ivy-League-Universitäten, ist der Campus zwar wieder frei zugänglich, aber auch dort herrschen nun strengere Regeln. So hielten Studenten kürzlich in der Widener-Bibliothek einen «stillen Protest» gegen die israelischen Angriffe in Libanon ab. Sie trugen Kufiyas und entrollten Transparente mit dem Slogan «Stell dir vor, es geschähe hier». Ein Dutzend der Teilnehmer wurden für zwei Wochen aus der Bibliothek verbannt.

Nachdem die Harvard-Leitung ein Verbot ausgesprochen hatte, die Gehwege auf dem Universitätsgelände mit Kreide-Slogans zu beschriften, machten sich einige Professoren einen Spass daraus, auf den Asphalt zu schreiben: «Warum haben Kindergärtner mehr akademische Freiheiten als Harvard-Studenten?»

An der University of California in Los Angeles gelten neu Regeln, die es möglich machen, dass protestierende Studenten selbst für die Sicherheitsmassnahmen bezahlen müssen, die sie verursachen. Das wirkt abschreckend, ebenso wie die verstärkte Polizeipräsenz auf dem Campus.

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