Dienstag, Oktober 1

Bilder: Stadtarchiv Zürich, VII.573. Archiv Grands Magasins Jelmoli S.A.

Wenn Jelmoli Ende Jahr aus seinem Stammhaus auszieht, endet ein Stück Stadtgeschichte voller spezieller Ereignisse. Ein besonderes Spektakel war die Einweihung der Rolltreppenanlage im Jahr 1952.

Die Zürcher Warenhäuser warben von Anfang an nicht nur mit der Qualität der Ware und den günstigen Preisen, sondern auch mit überraschenden Attraktionen, Wettbewerben und technischen Einrichtungen.

Als Jelmoli 1899 sein Stammhaus eröffnete, war schon der Bau eine Sensation: Das genietete Eisenskelett mit den riesigen Fenstern beeindruckte die Kundinnen und Kunden, aber auch die Journalisten. Die «Zürcher Wochenchronik» schrieb, dass sich der Glaspalast als neue Sehenswürdigkeit der Stadt gut neben Tonhalle, Rotem und Weissem Schloss behaupten könne.

Der importierte Liftboy

Die NZZ hob bei der Eröffnung des Hauses Mitte September speziell die neuen Damen-Toiletten hervor, von denen es bisher wenige in der Stadt gegeben habe. Auch der «Erfrischungsraum», wie das Café zunächst genannt wurde, wandte sich ganz bewusst an die weiblichen Gäste.

Neue technische Errungenschaften fanden ganz selbstverständlich Platz im Warenhaus. Die NZZ erwähnte «49 grosse elektrische Bogenlampen und eine Menge kleinerer Lampen». Vom Café aus konnte man Telefongespräche führen – für die damalige Zeit noch eine Besonderheit. Und von einem zum andern Geschoss gelangte man in «Elevatoren», für deren Betrieb eigens ein dunkelhäutiger Liftboy aus den USA geholt worden war.

Die Warenhäuser wurden schon damals immer wieder umgebaut und dem neusten Zeitgeschmack angepasst. Bei Jelmoli war es bereits 1907 so weit. Es folgten etwa alle zehn Jahre grössere oder kleinere Um- und Anbauten, bis der Gebäudekomplex die heutige Grösse erreicht hatte. Die alten Liftanlagen waren dem zunehmenden Kundenaufkommen zu Beginn der 1950er Jahre nicht mehr gewachsen. Man trete nun vom Lift- ins Rolltreppenzeitalter über, verkündeten die Verantwortlichen des Warenhauses.

Schon zwei Monate vor der Eröffnung der neuen Rolltreppenanlage im Oktober 1952 schaltete Jelmoli ganzseitige Inserate in den Zürcher Tageszeitungen: «Wann rollt die Rolltreppe?», wurde gefragt. Und unter der Zeichnung strahlender Jelmoli-Kundinnen und -Kunden auf ebendieser Rolltreppe wurde auch gleich die Antwort gegeben: «Bald!» Es handle sich um ein unglaublich grosses Unterfangen; man habe innerhalb des Hauses einen Raum freischaufeln müssen, in dem zwei vierstöckige Mehrfamilienhäuser bequem Platz gefunden hätten.

Es gab zwar seit 1936 eine Rolltreppe in einem Basler Warenhaus, in Zürich aber fuhr zu jener Zeit noch keine. Und eine Anlage dieses Ausmasses gab es sonst nirgends in der Schweiz. «Die Rolltreppen-Anlage ist ein neuer Beweis für die fortschrittliche Auffassung vom Dienst am Kunden, wie wir ihn unter Jelmoli-Service verstehen», hiess es im Inserat.

Am 25. Oktober, einem Samstag, ist es dann so weit. Jelmoli hatte zur Eröffnung geladen, der mehrere hundert Personen beiwohnen wollten. Es sei ein Massenandrang gewesen, wie man ihn im Warenhaus noch nie gesehen habe, schrieb die NZZ. Die Rolltreppenanlage, mit der die Kundschaft drei Stockwerke hinauf und wieder hinunter transportiert werden sollte, stand um Viertel vor elf noch still. Dann schritt der Verwaltungsratspräsident von Jelmoli, der Bankdirektor Fritz Richner, zur Anlage hin und durchschnitt um 10 Uhr 52 ein blaues Band, das den Zugang zur Rolltreppe abgesperrt hatte.

Der «Stapi» geht voraus

Blitzlichter der Fotoreporter zuckten auf, als der «Stapi» Emil Landolt als einer der Ersten die nun leise summend anrollende Treppe betrat, «acht zierliche Trachtenmädchen» folgten ihm, wie die NZZ rapportierte. Dann war die Reihe an den Pressevertretern, wie man der «Zürcher Woche» entnehmen kann. Das sei «nicht nur Pflicht» gewesen, «sondern auch ein Vergnügen». Bis zum Abend liessen sich dieses Vergnügen über 30 000 Personen nicht entgehen.

Kinder und Jugendliche wurden allerdings schon am ersten Tag und auch in den kommenden Wochen daran gehindert, die Rolltreppe als Spielgerät zu benützen – was einen jungen Kunden dazu veranlasste, einen harschen Brief an die Jelmoli-Direktion zu schreiben. Er sei von einem «sich kolossal wichtig nehmenden» Securitasmann aus der Reihe vor der Rolltreppe gerissen und mit derben Schimpfwörtern davongejagt worden. Dabei werde er im nächsten Januar 16 und sei damit wohl alt genug zum Rolltreppenfahren. Und schliesslich seien die Jugendlichen von heute die Kunden von morgen.

Die Direktion schrieb zurück, entschuldigte sich fürs unsanfte Anpacken, bat aber auch um Verständnis für ihre Massnahmen, weil die Erwachsenen schon durch die Kinder behindert worden seien, «die ihre Freude an der neuen Treppe voll ausgekostet» hätten.

Die NZZ veröffentlichte nur zwei Tage nach der Eröffnung eine mehrseitige Technik-Beilage, in der jedes Detail der neuen Rolltreppe erklärt wurde («Fahrtreppe, wie man richtiger sagt»). Die für die Schweiz neuartige Anlage wurde von der Firma Schindler in Lizenz gefertigt. Die NZZ schilderte den Ablauf des Rolltreppenfahrens sehr akkurat: Das Hauptproblem beim Fahren bestehe ja «zweifellos in der Aufnahme des Fahrgastes und seiner Abgabe auf dem nachfolgenden Stockwerk». Dort oben würden die Höhenunterschiede zwischen den einzelnen Stufen langsam geringer, «bis ein horizontales Band entsteht, das ebenso unauffällig unter dem Fussboden verschwindet, wie es erschienen war. Im gleichen Augenblick fühlt der Fahrgast wieder festen Boden unter den Füssen, was als Einladung empfunden wird, sich nun wieder aus eigener Kraft vorwärts zu bewegen.»

So weit, so einfach. Aber ist die Anlage auch sicher? Um die Kundschaft zu beruhigen, verwies Jelmoli schon bei der Eröffnung auf eine amerikanische Studie, wonach es auf Rolltreppen weniger Unfälle gebe als auf normalen Treppen. Und es wurde ein Merkblatt abgegeben, mithilfe dessen man das richtige Verhalten auf der Rolltreppe erlernen sollte. Wichtig sei, dass man «ohne Hast und Furcht» vorgehen solle. Dennoch wurden Kundinnen und Kunden beobachtet, die mit einem riesigen Satz auf die erste Stufe der «Fahrtreppe» hechteten.

Immer wieder «Vorkommnisse»

Ganz so unproblematisch wie die Firmen-Verantwortlichen es versicherten, war das Rolltreppenfahren dann aber doch nicht. Es gab noch geraume Zeit «Vorkommnisse», die in den Akten des Jelmoli-Kundendiensts aus dem Jahr 1954 genauestens vermerkt sind. Es findet sich darin etwa die Notiz, dass eine Frau am 18. Januar mit ihrem Absatz in der Rolltreppe hängen blieb. Vermerk im Protokoll: «Schuh gratis (Fr. 1.–) repariert, Vorkommnis entschuldigt.» Zwei Wochen später stürzt eine Kundin auf der Rolltreppe und zerreisst sich den Mantel. «Mantel im Atelier gratis repariert, Vorkommnis entschuldigt.»

Man war kulant in dieser ersten Phase, auch wenn die Firma keine Schuld traf, wie bei jenem Vorfall am 25. März, als eine Frau auf der Rolltreppe stürzte und ihre neu gekauften Tassen dabei zerbrachen. «Tadellosen Ersatz ausgehändigt, Vorkommnis entschuldigt.» Im September stürzt eine Kundin, verletzt sich den Fuss durch eine Orientierungstafel, die auf sie fällt, und auch die Strümpfe werden zerrissen. «Verletzung durch Krankenschwester behandelt, neue Strümpfe Fr. 5.95 kostenlos abgegeben, entschuldigt.»

Vielleicht sind «Vorkommnisse» dieser Art der Grund dafür, dass noch heute, mehr als siebzig Jahre nach der Eröffnung der ersten Rolltreppen in Zürich, noch immer viele Kundinnen und Kunden das Gefährt ängstlich und zögerlich betreten. Dabei hatte die Zeitung «Tat» schon 1952 in einem Artikel mit dem Titel «Das Lob der Rolltreppe» geschrieben, dass man auf derlei Theater beim Auf- und Absteigen verzichten könne: «Man müsste eigentlich den Gedanken propagieren, dass keiner auf die Rolltreppe aufspringen muss, dass es genügt, ein kleines Schrittlein zu tun, um von einem Stockwerk ins andere zu gelangen und oben (oder unten) sanft und rücksichtsvoll wieder abgestellt zu werden.»

Für diesen Artikel haben wir Akten aus dem Jelmoli-Firmenarchiv verwendet, das 2018 ans Zürcher Stadtarchiv übergeben wurde (die NZZ berichtete).

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