Montag, November 25

Die Firma Harbour Air nutzt Schweizer Akkus für ihre Wasserflugzeuge. Sie transportieren bereits Passagiere im Linienflug.

Fliegen, wie ein Elektroauto fährt? Es wäre eine emissionsarme Möglichkeit. Sie ist derzeit allerdings nur für kurze Strecken mit wenigen Passagieren denkbar – zu schwer und gross sind die Akkus der gegenwärtigen Batterietechnologie. Der Versuch, batterieelektrisch zu fliegen, lohnt sich bis jetzt nur in wenigen Anwendungsfällen.

Zum Beispiel in Kanada. Die Zweieinhalb-Millionen-Metropole Vancouver an der Westküste ist die drittgrösste Stadt des Landes. Täglich wollen viele Geschäftsreisende, Parlamentarier, Touristen von Vancouver nach Victoria, in die Hauptstadt der Provinz British Columbia. Sie liegt auf der vorgelagerten Insel Vancouver Island, bis dort sind es 95 Kilometer Luftlinie über das Wasser der Strait of Georgia und die San Juan Islands.

Stark frequentierte Geschäftsflugroute

Harbour-Air-Flugroute von Vancouver nach Victoria

Mit der Fähre ist die Distanz länger, und die Fahrt dauert fast 3 Stunden, das ist die billigste Lösung. Es geht aber auch in nur 26 Minuten mit dem Wasserflugzeug, und das ist so stressfrei, wie es heutige Reisende sonst nirgends im kommerziellen Luftverkehr kennen. Der Abflug startet vom firmeneigenen Terminal in Laufnähe von Downtown Vancouver.

«Wir haben keine Sicherheitskontrollen, das macht das Ganze so viel entspannter, fünf bis zehn Minuten vor Abflug ist Einsteigen, es reicht, zu diesem Zeitpunkt da zu sein», sagt Bert van der Stege, CEO von Harbour Airlines.

Die private kanadische Airline nennt 45 Maschinen auf Schwimmern ihr eigen. Damit ist sie – nach Maldivian Air Taxi im Indischen Ozean – weltweit der zweitgrösste Betreiber von Linienflügen mit Wasserflugzeugen.

Van der Stege ist Niederländer, er hat vorher lange in der Lufthansa-Gruppe gearbeitet. «Wenn anderswo jemand versucht, einen Flugbetrieb mit Wasserflugzeugen zu starten, ist es jedes Mal ein grosses Problem, die Kunden dazu zu kriegen, dass sie einsteigen und sich daran gewöhnen, dass das sicher und völlig normal ist», sagt er. An der kanadischen Westküste seien Wasserflugzeuge schon lange ein wichtiger Bestandteil des Lebens geworden. «Das ist hier komplett normal.»

Dieses Jahr hat Harbour Air 440 000 Passagiere. Mehr als die Hälfte davon fliegt zwischen Vancouver und Victoria. Die Flugzeuge haben auf dieser Strecke zwischen 6 und 18 Sitze, sie fliegen täglich bis zu 28 Mal pro Richtung.

Im Dezember 2019 machte die kleine Gesellschaft weltweit Schlagzeilen: «Erster Elektroflug eines Passagierflugzeugs» lautete eine. Der Star des Tages war kurioserweise ein bereits 1957 gebautes Flugzeug, das seit 1967 nicht mehr produziert wird: der legendäre kanadische Buschflieger de Havilland DHC-2 Beaver, ein Sechssitzer, von dem Harbour Air 14 Stück betreibt. Technisch seien die intensiv gepflegten Arbeitspferde wie neu, versichert die Firma.

Der Elektro-Erstflug über Vancouver dauerte nur 15 Minuten, dafür war der bisher vorn angebrachte P-985-Wasp-Junior-Kolbenmotor von Pratt & Whitney gegen einen Magni500-Elektromotor des US-Herstellers MagniX ausgetauscht worden, der 559 kW (750 PS) leistet. Die erste Batterie lieferte ein US-Hersteller.

Im August 2022 folgte nach der Pandemie der weltweit erste rein elektrische Punkt-zu-Punkt-Flug eines «e-plane», er dauerte 24 Minuten und legte 72 Kilometer zurück. «Wir haben mit der ersten elektrischen Beaver inzwischen 78 Starts und Landungen und etwa 50 Flugstunden absolviert, merken aber, dass die Batterie von 2019 genau wie bei meinem iPhone jetzt nicht mehr so gut ist», sagt Bert van der Stege. «Jetzt wechseln wir die Batterie aus gegen eine neue, leichtere der Firma H55 aus der Schweiz. Sie liefert den Akku für den Prototyp des zweiten Flugzeugs, das wir zertifizieren lassen wollen.»

H55 mit Sitz in Sitten hat heute mehr als 120 Mitarbeiter. Einer der Gründer ist André Borschberg, der mit seinem Pilotenkollegen Bertrand Piccard auf dem Rekordflug mit der Solar Impulse 2015/16 nur mit Sonnenenergie einmal die Welt umrundet hat.

«Harbour Air ist als Pionier ein sehr interessantes Beispiel, sie haben eigenständig entschieden, die Elektrifizierung voranzutreiben, und wir brauchen Partner, die wirklich den ersten Schritt gehen wollen», betont André Borschberg.

Den Antrieb liefert wieder MagniX aus Seattle, diesmal den stärkeren Magni650-Elektromotor mit 640 kW (850 PS). Derzeit läuft die Zulassung der neuen «eBeaver» bei der FAA in den USA sowie in Kanada. «Wir arbeiten daran, dass wir bis 2025 ein zertifiziertes Flugzeug bekommen. Wenn wir das schaffen, hat es eine Reichweite von 30 bis 35 Minuten plus 25 Reserveminuten, das reicht für die meisten unserer Strecken», sagt der Harbour-Air-Chef.

Bert van der Stege hofft, ab Ende 2025 auf diesen Flügen drei, vielleicht sogar vier Passagiere mitnehmen zu können. Inklusive einer möglicherweise künftig Hybrid-Wasserstoff-getriebenen Twin Otter, des grössten Flugzeugs mit 18 Sitzen, könnte es etwa zehn Jahre dauern, bis die gesamte Flotte umweltfreundlich angetrieben ist. «Vielleicht können wir weltweit die erste Airline werden, die schon in zwei Jahren kommerzielle Tickets auf Linienflügen von A nach B mit Elektroflugzeugen verkauft», mutmasst der Niederländer.

Bisher lief das Testflugprogramm der «eBeaver» erstaunlich reibungslos: «Wir sind fast enttäuscht, dass nicht viel passiert und alles nach Plan läuft, es gibt sehr wenig Überraschungen.» Manche Erkenntnis ist trotzdem neu. Die Batterieleistung und die Ladedauer seien auch von der Wassertemperatur abhängig. Je länger die Maschine im kalten Wasser parkiere, desto länger dauere der Ladevorgang. «Aber unser Vorteil ist, dass wir in sehr niedriger Höhe fliegen und daher beim Start sehr viel weniger Energie brauchen als andere.»

Testerfahrungen mit Elektroflug vom Wasser aus zu sammeln – das wird unterdessen wichtiger als gedacht. Denn es zeichnet sich ab, dass der Einzug von Elektromotoren in die Luftfahrt wohl mit Wasserflugzeugen beginnen wird. Eigentlich wollte die norwegische Regionalgesellschaft Wideröe bereits ab 2026 mit dem 9-sitzigen Elektroflugzeug Tecnam P-Volt kurze Küstenstrecken von Flughäfen aus im Linienverkehr bedienen.

Doch im Juni 2023 gab die italienische Herstellerfirma überraschend bekannt, das gesamte Projekt auf Eis zu legen. Es war klargeworden, dass die Batterien nicht lange die nötige Leistung von 170 Wh/kg würden erbringen können, was die mögliche Streckenlänge auf unter 75 Kilometer hätte sinken lassen.

Damit sind die Flüge völlig unwirtschaftlich. Angepeilt waren mindestens 150 Kilometer. Jetzt heisst es abwarten, bis die Batterietechnologie so weit ist. Unterdessen setzt man auch in Norwegen auf ein neu zu entwickelndes Wasserflugzeug mit bis zu 19 Sitzen namens Noemi. Das Startup Elfly aus Bergen will es bis 2030 auf den Markt bringen. Angetrieben von zwei Elektromotoren mit einer Gesamtleistung von bis zu einem Megawatt, soll Noemi mindestens 170 Kilometer weit fliegen können.

«Es wird mindestens noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis der nächste grosse Schritt der Batterieentwicklung in Serienflugzeugen Einzug hält», erklärt André Borschberg. Aber er ist sich sicher: «Schon Ende des Jahrzehnts werden wir Hunderte, wenn nicht Tausende kleiner Elektroflugzeuge am Himmel sehen. Sie werden den Weg ebnen, um die Technologie für die Elektrifizierung grösserer Flugzeuge zu entwickeln.»

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