Die meisten Analysten haben ihre Gewinnschätzung für den Nahrungsmittelkonzern deutlich gesenkt. Das sind gute Neuigkeiten. Ausserdem: Aryzta wird unterschätzt, Bachem-Aktien sind nach dem Kursrücksetzer attraktiv und ein Wort zu Pierer Mobility.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Nestlé scheint Boden gefunden zu haben. Noch am vergangenen Donnerstag, während der neue CEO Laurent Freixe vor Analysten und Investorinnen noch über das eher enttäuschende Halbjahresresultat und den verhaltenen Ausblick sprach, drehten die Aktien ins Plus. Bei rund 86 Fr. notieren sie zwar noch immer deutlich unter dem Niveau von Anfang Jahr, aber immerhin über dem Tiefst bei gut 82 Fr. im September.
Ebenfalls ein gutes Zeichen: Seit der Bekanntgabe der Neunmonatszahlen haben zwanzig von 25 bei Bloomberg erfassten Analystinnen und Analysten ihre Gewinnschätzung geprüft und in den allermeisten Fällen bereits nach unten revidiert. Damit dürften die Erwartungen an das kommende Jahr deutlich realistischer ausfallen als davor.
Besonders aufgefallen ist mir die Neueinschätzung von RBC Capital Markets. Analyst James Edwardes Jones war unter den frühen Warnern, als Nestlé in den Jahren 2020 und 2021 in den Himmel gelobt wurde und an der Börse durch die Decke ging, er gehörte nie zum Fanclub des entlassenen CEO Mark Schneider. Ab dem steilen Kursanstieg Ende 2018 stufte Edwardes Jones die Aktien entgegen dem Marktkonsens gar mit «Unterperform» ein, zuletzt lag seine Empfehlung bei «Neutral». Nun aber hält er die Titel für fairer bewertet als in den vergangenen Jahren, und die Äusserungen des Managements zur Weiterentwicklung des Konzerns hätten seine Erwartungen erfüllt, schreibt er in der am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Studie.
Auch ich halte die Stossrichtung, sich auf die Kernbereiche und vor allem auf die Weiterentwicklung der grössten Nestlé-Marken zu konzentrieren, um Marktanteile zurückzugewinnen, für die richtige. Entscheidend aber wird sein, ob Freixe und Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke ihre Vision auch tatsächlich umsetzen können – und das angesichts der Zurückhaltung bei der Kundschaft. Ich habe die Herausforderungen bereits vergangene Woche beschrieben. Auf dem jetzigen Niveau sind die Aktien auch tatsächlich nicht mehr so teuer wie in den vergangenen Jahren, das schafft etwas Luft nach oben. Für einen nachhaltigen Aufwärtstrend braucht es aber Zeichen einer nachhaltigen Verbesserung.
Das bereits erwähnte schwierige Marktumfeld im Konsumgütersektor hat nun definitiv auch Aryzta eingeholt: Der Grossbäcker konnte die Wachstumserwartungen im dritten Quartal zwar noch erfüllen, musste am Montag anlässlich der Präsentation der Zahlen aber den Ausblick leicht nach unten anpassen. Neu rechnet das Management unter dem abtretenden CEO Urs Jordi nur noch mit einem organischen Zuwachs am unteren Rand der bisherigen Spanne von «im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbereich». Die Erholung des Geschäfts mit der Fast-Food-Kette McDonalds setzte sich zwar fort, aber langsamer als zuvor.
Die Aktien reagierten mit aus meiner Sicht überraschend starken Abgaben, seit Monaten kommt der Kurs immer wieder auf 1.60 Fr. zurück.
Die Mehrzahl der Analysten traut dem Unternehmen eigentlich deutlich mehr zu, das durchschnittliche Kursziel für die kommenden zwölf Monate liegt bei 2.05 Fr. – immerhin ein Aufwärtspotenzial von 30%. Klar, dieses sollte nicht überinterpretiert werden, oft genug hinken die Experten mit ihrer Einschätzung dem tatsächlichen Kursverlauf hinterher. Und doch finde ich die Zurückhaltung an der Börse immer noch aussergewöhnlich.
Aryzta zeigte in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Gesundung. Die Ziele für 2025 wurden und werden allesamt erreicht, darunter auch jenes der Entschuldung. Das wäre noch vor rund fünf Jahren kaum denkbar gewesen. Und die Bewertung ist im Vergleich mit anderen Nahrungsmittelherstellern nicht hoch. Das Verhältnis von Unternehmenswert zu geschätztem Ebitda für 2025 liegt bei 7,8, bei Emmi beträgt es 10, bei Nestlé gar 15,3. Zumal das Geschäft gerade im lukrativen Bake-off-Segment deutlich schneller wächst als die von Nestlé zuletzt anvisierten 2% im Jahr. Das untermauert auch der jüngst veröffentlichte IPO-Prospekt des Branchennachbars Europastry.
Im Vergleich mit Europastry schneide Aryzta noch deutlich besser ab, hält Baader-Analyst Andreas von Arx fest. Sie sei deutlich grösser, habe weiterhin ein grösseres Aufholpotenzial auf der Margenseite, erwirtschafte aber bereits eine höhere Rendite auf dem investierten Kapital und investiere ohnehin eher im Sinne der Aktionäre. Damit ist das Schweizer Unternehmen klare Marktführerin in ihrem Sektor. Die Spanier haben den Börsengang übrigens erneut abgesagt, vordergründig weil das Marktumfeld aus geopolitischen Gründen – wieder – zu unsicher sei. Anscheinend war die Nachfrage unter Investoren zu gering gewesen, wie das Onlinemagazin Global Capital berichtete.
Vielleicht drückt auch das bei Aryzta kurzfristig etwas auf die Anlegerstimmung. Viel wichtiger aber, glaube ich, bleibt das Misstrauen gegenüber dem Unternehmen und dem erfolgreichen Turnaround. Auch nach Jahren unter neuem Management lässt sich die Vergangenheit nicht so einfach abschütteln.
Bachem investiert: 550 Mio. Fr. hat die neue Produktionsstätte in Bubendorf gekostet. Noch dieses Jahr sollte sie eigentlich in Betrieb genommen werden, wie der Pharmaauftragsfertiger noch Anfang 2024 bekräftigt hatte. Und ein Teil der neuen Kapazität ist bereits gebucht. Langfristig ist das Potenzial sehr gross.
Doch bereits seit Jahresbeginn gibt es Zweifel am Markt, dass es mit der Fertigstellung und der Aufnahme der Produktion noch Mitte des Jahres klappt. Ende Juli kommunizierte Bachem dann anlässlich der Halbjahreszahlen, dass sich der Start der kommerziellen Herstellung auf das erste Semester 2025 verschiebe. Und nun wachsen die Sorgen vor weiteren Verzögerungen – und das scheint sich verstärkt im Aktienkurs niederzuschlagen. Vom Jahreshoch Mitte Mai haben die Titel rund ein Viertel an Wert verloren und notieren seit Anfang Oktober bei knapp 70 Fr., während jene von Branchenprimus Lonza seitwärts tendierten.
Das Unternehmen war für eine Stellungnahme zum Fortschritt der Pläne nicht erreichbar.
Das sogenannte Gebäude K ist das Kernstück der Wachstumsstrategie Bachems. Nachdem es ursprünglich je hälftig für die Herstellung von Peptiden und Oligonukleotide hätte dienen sollen, werden hier künftig wohl vor allem Peptide hergestellt. Diese Wirkstoffklasse dient als Basis für die umsatzstärksten Pharmaprodukte. Bis 2026 will das Unternehmen den Umsatz dank diesem Ausbau von zuletzt 577 Mio. Fr. auf über 1 Mrd. Fr. steigern – und noch mehr investieren.
Für Investorinnen mit einem langen Anlagehorizont eröffnet der Kursrücksetzer seit dem Sommer deshalb aus meiner Sicht eine Einstiegsgelegenheit. Die Verzögerung bei der neuen Produktionsstätte ist zwar ärgerlich, insbesondere, sollte es noch länger dauern, als das Unternehmen zuletzt kommuniziert hatte – das Schweigen auf meine Anfrage werte ich da nicht als positives Zeichen. Und klar, wirklich günstig sind die Titel auch so nicht. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2025 beträgt 36. Das ist weniger als im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre, aber die waren pandemiebedingt nach oben verzerrt.
Doch langfristig wird Bachem vom schnellen strukturellen Wachstum in einer attraktiven Branche profitieren. Der hochspezialisierte Auftragsfertiger ist unter den Peptideherstellern weltweit mit einem Marktanteil von global 25 bis 30% führend. Da diese Wirkstoffe injiziert werden und eine gute Verträglichkeit aufweisen, sind sie bei Pharmakonzernen beliebt. Gegenwärtig profitieren die Baselbieter insbesondere vom Boom der Abnehmspritzen. Doch Peptide und Oligonukleotide werden zusehends in Medikamenten gegen die Volkskrankheit Diabetes oder in Krebs- und Gentherapien angewendet.
Es hat schon fast Tradition: Am Montagabend, kurz nach 20 Uhr verschickte Pierer Mobility eine Gewinnwarnung. «Die schwierigen makroökonomischen Bedingungen dauern länger an als erwartet», leitete der Zweiradhersteller die Begründung ein. Insbesondere der wichtige deutsche Markt befinde sich im Abschwung. Die Prognose für 2024, an die am Markt ohnehin kaum mehr jemand glaubte, wird gestrichen. Bereits Mitte Juni, vor der offiziellen Bekanntgabe des Halbjahresresultats, musste das Unternehmen die Guidance für das Gesamtjahr senken. Damals ging es noch von einem Umsatzrückgang von 10 bis 15% aus.
Geradezu bedrohlich wirkt die Liquiditäts- und Schuldensituation. Die schwierige Absatzlage hat das Inventar erneut deutlich steigen lassen, nachdem bereits zur Jahresmitte 809 Mio. € als Umlaufvermögen gebunden gewesen waren. Der Cashflow dürfte entsprechend erneut klar negativ ausgefallen sein. So sind auch die Nettoschulden laut der Pressemitteilung weiter gestiegen, Mitte Jahr lagen sie schon bei 1,47 Mrd. €. Bei einem gemäss Bloomberg-Konsens für 2024 geschätzten Betriebsgewinn auf Stufe Ebitda von knapp 60 Mio. macht das ein Verhältnis von mehr als 24 – deutlich über einem gesunden Niveau. Und in die Gewinnrevisionen dürften erst noch folgen, im ersten Halbjahr war sogar das Ebitda negativ ausgefallen.
Auch wenn sich Pierer Mobility zuversichtlich gibt, das Schuldenniveau bis Ende des kommenden Jahres senken zu können, lösen die Zahlen an der Börse geradezu Panik aus. Der Aktienkurs schloss am Dienstag 18% tiefer. Am Mittwoch ging es weiter abwärts.
Die Aktien schaue ich mir aus den genannten Gründen schon länger nicht mehr an. Was mich aber grundsätzlich stört, ist diese Art der Kommunikation. Glaubt die Unternehmenskommunikation oder gar das Management, der Mitteilung werde so weniger Aufmerksamkeit zuteil, als wenn sie – wie bei den allermeisten Unternehmen Standard – um 7 Uhr morgens verschickt wird?
Ich erinnere mich selbst daran: Oft sind bereits vermeintlich kleine Dinge wie solche Unarten an der Börse Warnsignale. Als Investorin lohnt es sich gerade in der Kommunikation gut auf den Stil und die Transparenz der Unternehmen zu achten.
Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market
Gabriella Hunter