Die angedrohten Schutzzölle der EU machen die Fertigung in Spanien für chinesische Autohersteller attraktiv. Der Verbandspräsident der spanischen Autohersteller ist aus Protest gegen die Regierungspolitik zurückgetreten.
Der chinesische Automobilhersteller Chery will noch vor Jahresende mit der Produktion von E-Autos auf spanischem Boden beginnen. Ein neues Werk ist für den Produktionsbeginn nicht nötig, denn Chery kann auf dem Gelände eines 2021 geschlossenen Nissan-Werks im Industriebezirk von Barcelona produzieren. Zur Vertragsunterzeichnung mit dem Hersteller aus der chinesischen Provinz Anhui war der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez Ende April von einem EU-Gipfel in Brüssel höchstpersönlich nach Barcelona gekommen.
«Unsere Regierung öffnet jetzt chinesischen Autobauern Tür und Tor», kommentierte die Tageszeitung «La Voz de Galicia». Damit könnte Spanien zum Einfallstor von chinesischen E-Modellen in Europa werden, denn dank der Fertigung in einem EU-Land ist es Herstellern aus China fortan möglich, die europäischen Schutzzölle zu umgehen.
Das dürfte der Hauptgrund für die Entscheidung der chinesischen Manager für den Standort Spanien gewesen sein. Vergangene Woche hat nämlich die EU-Kommission angedroht, die Einfuhrzölle für chinesische Elektrofahrzeuge ab dem 4. Juli von 10 Prozent auf bis zu 38 Prozent zu erhöhen, weil China seinen Autobauern mit hohen Subventionen unter die Arme greift. Damit folgt die EU einer ähnlichen Entscheidung der US-Regierung vom Mai.
Proteste gegen Vorzugsbehandlung der Chinesen
Die Investitionen für die Ansiedlung von Chery in Katalonien sollen sich auf etwa 400 Millionen Euro belaufen. Staatliche und regionale Förderprogramme aus Spanien werden den Hauptanteil übernehmen. Das klingt vor dem Hintergrund der neuen EU-Importzölle absurd. Die spanische Regierung will die Gelder aber fliessen lassen, da sie mit 1250 neuen Arbeitsplätzen rechnet. Diese sollen zum Grossteil von den Mitarbeitern besetzt werden, die vor drei Jahren bei Nissan entlassen wurden. «Der Deal mit Chery steht symbolisch für die Reindustrialisierung von Katalonien und ganz Spanien», so Spaniens Regierungschef.
Die grosszügige Vergabe von Subventionen für einen neuen Konkurrenten aus Asien rief allerdings die spanische Automobilindustrie (Anfac) auf den Plan. So legte Wayne Griffiths, Präsident von Anfac, dem Dachverband der spanischen Kfz-Hersteller, letzte Woche aus Protest sein Amt nieder. Die spanische Regierung habe ihre Unterstützung für die einheimische Autoindustrie beim Umstieg auf das Elektroauto eingestellt, hiess es in seinem Rücktrittsschreiben. Im Februar habe die Regierung versprochen, dass es bald einen neuen Umweltbonus für den Kauf eines Elektrofahrzeugs geben werde. Das sei bislang nicht geschehen. Ausserdem wollte man das Netz der öffentlich zugänglichen Ladestationen weiter ausbauen, doch auch hier sei bisher nichts passiert, so der Anfac-Präsident.
Spanien ist hinter Deutschland der zweitgrösste Automobilbauer Europas. Der erste ausländische Hersteller war Ford, der sich 1920 mit einer eigenen Fabrik in der Hafenstadt Cadiz ansiedelte. In den 1950er Jahren folgten Firmen wie Chrysler, Fiat, Citroën und Renault. Mittlerweile sind fast alle grossen Automarken hierzulande vertreten. Im letzten Jahr wurden 2,45 Millionen Kraftfahrzeuge in den 17 Automobilfabriken in Spanien produziert. Rund 84 Prozent gingen in den Export. Die Automobilbranche steht für 10 Prozent des spanischen Bruttoinlandprodukts (BIP) und ist nach der Agrarproduktion der zweitwichtigste Exporteur des Landes.
Dass die kostspielige Umstellung auf die Elektromobilität die Branche vor grosse Herausforderungen stellt, wird immer offenkundiger. So will der amerikanische Autobauer Ford in seinem Werk bei Valencia wegen der Umstellung der Produktion auf Elektrofahrzeuge ein Drittel seiner 4700 Stellen streichen. Dort wurde in den letzten Jahren die Produktion von vier Modellen eingestellt. Dieses Jahr läuft nur noch der Kleinwagen Kuga vom Band, die Jahresproduktion wird bei etwa 135 000 Fahrzeugen liegen, vor fünf Jahren waren es mit Mondeo, S-Max, Transit und Galaxy noch 367 000 Autos.
Chery wird kein Einzelfall bleiben
Ganz anders sehen dagegen die Pläne von Chery für Spanien aus. In Zusammenarbeit mit dem spanischen Juniorpartner Ebro, der früher Nutzfahrzeuge und Geländewagen produzierte, will Chery nach dem Sommer die E-Version seines SUV-Modells Omoda 5 bauen. Bis 2027 sollen jährlich 50 000 Fahrzeuge produziert werden, darunter auch ein Offroad-Modell von Chery und ein elektrischer Pick-up des spanischen Partners Ebro.
Die Ansiedlung von Chery, dem grössten PKW-Exporteur Chinas, wird in Europa kein Einzelfall bleiben. Der chinesische Elektroautokonzern BYD baut bereits ein eigenes Werk in Ungarn, das 2027 fertiggestellt werden soll. Und auch der Stellantis-Konzern, der seit letztem Herbst am chinesischen Elektroautohersteller Leapmotor beteiligt ist, prüft die Produktion von Fahrzeugen seines chinesischen Partners in Europa. Das erklärte der Stellantis-Chef Carlos Tavares bei einem Treffen vergangene Woche mit Analysten und Investoren in der galicischen Hafenstadt Vigo.
Der Konzern, der aus der Fusion von Fiat Chrysler und PSA hervorging, ist durch die geplante Erhöhung der europäischen Schutzzölle in die Defensive geraten. Nach Bekanntgabe der Brüsseler Pläne verloren die Aktien des Unternehmens letzten Freitag über 4 Prozent an Wert.