Falls die EU und die USA im Handelsstreit keine Einigung erzielen, soll es Zölle auf US-Waren im Umfang von 95 Milliarden geben. Zwar setzt die EU auf Gespräche, die neue Warenliste enthält aber auch eine Provokation.
Im Handelsstreit mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump tut sich die EU schwer. Ihre Vertreter wollen sich von ihm nicht gängeln lassen. Sie wissen aber auch, dass sie den narzisstisch veranlagten Politiker nicht zu sehr reizen sollten – zumal er die EU zu verachten scheint.
Gespräche haben für die EU weiterhin Priorität
Der Staatenbund bedient sich im Umgang mit den USA daher einer vorsichtigen Gangart. Das ist am Donnerstag erneut klargeworden. Die EU will amerikanische Güter im Umfang von 95 Milliarden Euro mit Zöllen belegen. Diese treten allerdings nur in Kraft, wenn man in den kommenden Wochen mit den USA keine Einigung im Handelsstreit erzielt. Dazu gibt es laufend Gespräche, allerdings kaum auf politischer Ebene, sondern vornehmlich zwischen Experten. «Verhandlungen haben weiterhin Priorität», sagt ein Vertreter der EU-Kommission.
Das neue Paket käme zu Abgaben von 22 Milliarden Euro hinzu, das die EU bereits beschlossen, aber ebenfalls noch nicht eingeführt hat. Zudem beabsichtigt die Kommission, die USA bei der Welthandelsorganisation (WTO) zu verklagen.
Der Staatenbund gibt sich also weiterhin kompromisswillig. Obwohl die USA bereits europäische Exportgüter im Umfang von 370 Milliarden Euro mit Strafzöllen belegt haben, verzichtet die EU nach wie vor darauf, es dem alten Verbündeten mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Auf der Liste ist auch Boeing
Trotzdem hat es das am Donnerstag angekündigte Paket in sich. Die EU will sowohl Industrie- als auch Agrargüter mit Zöllen belegen. Betroffen wären auch bekannte Marken. So finden sich Flugzeuge auf der neuen Liste. Die EU-Länder haben 2024 Maschinen für über 10 Milliarden Euro eingeführt, darunter solche von Boeing. Man würde es durchaus begrüssen, wenn auch Boeing die amerikanische Regierung darauf aufmerksam machen würde, dass die Firma auf der Liste sei, meinte ein Kommissionsvertreter am Donnerstag süffisant. Die EU will also auch Druck aufbauen.
Der Name Boeing hat Sprengkraft, nicht nur weil es eine bekannte Marke ist und der Produzent von Trumps Air Force One. Ryanair, Europas grösste Fluggesellschaft, hat beim Hersteller auch umfangreiche Bestellungen getätigt. Firmenchef Michael O’Leary hat jedoch bereits Andeutungen gemacht, man könne neue Flugzeuge auch bei anderen Anbietern bestellen, wenn die Boeing-Maschinen infolge des Zollstreits zu teuer würden.
Er nannte etwa den chinesischen Anbieter Comac und lancierte damit gleich eine doppelte Provokation. Ryanair würde sich nicht nur von seinem langjährigen Lieferanten abwenden, sondern auch China, dem grossen geostrategischen Rivalen der USA, die Tür zum europäischen Airline-Markt öffnen. Das zeigt, welche Verwerfungen der Handelsstreit auslösen könnte, wenn er sich verschärfen würde.
Aber daran hat die EU überhaupt kein Interesse, und mit dieser Strategie unterscheidet sie sich stark von China. Die Regierung der asiatischen Grossmacht hat auf die Zölle der USA jeweils unverzüglich mit Gegenzöllen reagiert. Mittlerweile haben sich diese auf 145 Prozent hochgeschaukelt.
Vor einer solchen Eskalation schreckt die EU zurück. Dass man mit dem alten Verbündeten USA im Streit liegt, ist für die europäischen Regierungen und die EU ein riesiger Schock. Sie wünschen sich daher kaum etwas sehnlicher, als zu den alten harmonischen Zeiten zurückzukehren. Entsprechend vorsichtig agieren sie.
Das zeigt sich auch darin, dass amerikanische Pharmaprodukte, Halbleiter oder Rohwaren von Zöllen weiterhin verschont bleiben. Die EU will verhindern, dass sich der Handelsstreit auf diese Erzeugnisse ausweitet – der Staatenbund hätte in diesem Fall viel zu verlieren. Einzelne Mitgliedsländer exportieren einerseits hochwertige Pharmaprodukte in die USA, auf den Import von Halbleitern andererseits ist die EU angewiesen.
Die EU ist nicht so stark, wie sie es gerne hätte
Das macht den Staatenbund verletzlich, und er ist letztlich nicht so stark, wie die Kommission immer wieder behauptet. Diese tut zwar so, als wäre die EU ein Bollwerk, und verweist dabei auf den Umfang des Binnenmarkts. Dieser besteht aus 450 Millionen Konsumenten und ist damit grösser als der amerikanische Markt.
Allerdings hängt Europas Wohlstand stärker vom Handel ab als der Reichtum der USA. Zudem ist die Einheit der EU gegenüber den USA ständig gefährdet. Jedes Mitgliedsland wacht eifersüchtig darüber, dass es von Gegenmassnahmen des alten Verbündeten nicht stark überproportional getroffen wird.
Die EU-Kommission kann im Handelsstreit daher auch nicht entscheiden, wie es ihr gefällt. Sie ist zwar für die Handelspolitik zuständig, muss ihr Vorgehen jedoch eng mit den Mitgliedsländern und den Wirtschaftsverbänden abstimmen.
Das wird auch beim neuesten Paket von 95 Milliarden Euro der Fall sein. Als die EU Massnahmen gegen die von den USA verhängten Stahl- und Aluminiumzölle vorbereitete, erhielt sie von 660 Anspruchsgruppen Kommentare, die es zu berücksichtigen galt.
Das neue Paket ist um einiges grösser als das erste im Umfang von 22 Milliarden Euro. Daher wird es auch mehr Reaktionen geben. Stakeholder haben nun 4 Wochen Zeit, um ihre Meinung zu äussern; darauf muss die Kommission die Vorschläge analysieren. Die USA haben angekündigt, gewisse Zölle 90 Tage bis zum Juli auszusetzen. Eskaliert dann der Handelskrieg, wäre die EU zwar bereit. Aber so rasch wie die USA und China kann sie nie reagieren.