Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf die Spitzenjobs der EU geeinigt. António Costa und Kaja Kallas sind jetzt als Rats-Chef und Aussenbeauftragte bestätigt. Doch Ursula von der Leyen muss als Kommissionschefin erst noch vom Parlament gewählt werden.

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich in der Nacht zu Freitag auf die Verteilung der Spitzenjobs geeinigt. Bei ihrem letzten Gipfel vor der Sommerpause nominierten sie die Deutsche Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der Europäischen Kommission. Der portugiesische Regierungschef António Costa soll künftig als Nachfolger für den Belgier Charles Michel den EU-Rat leiten. Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas wurde ausserdem für den Posten der EU-Aussenbeauftragten nominiert. Sie wird den umstrittenen Spanier Josep Borrell ablösen.

Diese Einigung ist keine Überraschung. Die Namen der drei Kandidaten waren schon lange im Gespräch. Die grosse Frage war aber, ob auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni dem Personalpaket zustimmen würde. Dem war nun nicht so. Meloni enthielt sich am späten Donnerstagabend bei der Abstimmung über von der Leyen und stimmte gegen die Ernennung von Costa und Kallas. Das verheisst über die künftigen Verhandlungen zwischen Rom und Brüssel nichts Gutes.

«Kamingespräch-Koalition»

Die Parteichefin der Fratelli d’Italia hatte sich schon vor dem Gipfeltreffen tief verstimmt gezeigt. Es sei völlig «surreal», zürnte sie am Mittwoch in einer Rede vor dem italienischen Parlament, wie in der Europäischen Union «eine kleine Gruppe von Politikern» in «Kamingesprächen» über die Vergabe der Spitzenjobs entscheide. In Europa herrsche eine «Oligarchie», sagte Meloni. Und das, obwohl die Bürger bei der jüngsten Europawahl doch genau diese Art der Politik abgestraft hätten.

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament Anfang Juni hatte Melonis Partei in Italien klar gewonnen. Ebenso wie das Rassemblement national in Frankreich stehen die Fratelli d’Italia für den vielbeschworenen Rechtsruck, der so zumindest in mehreren westeuropäischen EU-Ländern eingetroffen ist. Meloni hatte deswegen gefordert, dass das Wahlergebnis in irgendeiner Form auch bei der Vergabe der Brüsseler Spitzenjobs berücksichtigt werden müsse.

Doch beim entscheidenden Hinterzimmer-Deal der Staats- und Regierungschefs war die Italienerin nicht mit von der Partie. Stattdessen hatte sich ein Sextett aus zwei Konservativen (dem Polen Donald Tusk und dem Griechen Kyriakos Mitsotakis), zwei Sozialdemokraten (dem Deutschen Olaf Scholz und dem Spanier Pedro Sánchez) sowie zwei Liberalen (dem Franzosen Emmanuel Macron und dem Niederländer Mark Rutte) zusammengefunden. Diese «Kamingespräch-Koalition» kam gar nicht erst auf die Idee, Meloni einzubinden.

Und für den deutschen Bundeskanzler Scholz war das auch nur folgerichtig. Die drei grossen Parteifamilien hätten mit dem von ihnen ausgehandelten Kompromiss schliesslich einen Vorschlag gemacht, «der auf eine Mehrheit im Parlament rechnen kann», sagte er am Donnerstag in Brüssel. Tatsächlich kommt die christlichdemokratische EVP, die bei der Europawahl das beste Ergebnis erzielte, zusammen mit den Sozialdemokraten und den Liberalen auf eine Mehrheit im EU-Parlament.

Besonders die Liberalen mussten (ebenso wie die Grünen) bei der Europawahl jedoch dramatische Verluste hinnehmen, während die Mitte-rechts- und die Rechtsaussenparteien kräftig zulegten. Die Fraktion der stramm rechten Konservativen und Reformer (EKR), zu denen Melonis Fratelli gehören, sind mittlerweile sogar die drittstärkste Parteiengruppe in Brüssel und Strassburg.

Neben Meloni kam am Donnerstag eine weitere Gegenstimme zum Personalpaket vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Er warf Scholz und Macron vor, eine «Koalition aus Lügen» geformt zu haben. Die Koalition der drei Parteienfamilien schaue in Wahrheit weder auf ihre schlechte Performance in den vergangenen fünf Jahren noch auf das Programm für die kommende Legislaturperiode, wetterte Orban, es gehe nur um «Machtteilung».

Für die Entscheidung über die Besetzung der Spitzenposten ist im Gremium der Staats- und Regierungschefs keine Einstimmigkeit notwendig. Es müssen mindestens 20 Mitgliedstaaten zustimmen, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Trotzdem galt es im Vorfeld des Gipfels als schlechtes Omen, mit Italien die drittgrösste Volkswirtschaft der EU zu übergehen.

Mehrere Staats- und Regierungschefs beeilten sich denn auch, den Eindruck zu zerstreuen, dass Meloni ausgegrenzt worden sei. «Es gibt kein Europa ohne Italien, und es gibt keine Entscheidung ohne Ministerpräsidentin Meloni», sagte Tusk. Könnte die Italienerin mit der Aussicht auf einen besonders einflussreichen Kommissarsposten für Rom – etwa einem «Super-Kommissar» für Industrie und Wettbewerb – ihren Groll vergessen? Das gilt es abzuwarten. Allerdings will auch Frankreich diesen Posten.

Sicherheitsabkommen mit Kiew

Neben der Vergabe der Spitzenjobs beschäftigten sich die Staats- und Regierungschefs mit ihrer «strategischen Agenda» für die kommenden fünf Jahre, bei der es schwerpunktmässig um die Wettbewerbsfähigkeit und die gemeinsame Verteidigung gehen soll. Man brauche Investitionen in Höhe von rund 500 Milliarden Euro, um die EU effizient vor Bedrohungen aus Ländern wie China oder Russland schützen zu können, rechnete von der Leyen vor. Eine gemeinsame Schuldenaufnahme für Rüstungsprojekte, wie sie sich die Kommission wünscht, lehnen Länder wie Deutschland und die Niederlande aber strikt ab.

Eigens nach Brüssel angereist war auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski. Feierlich unterzeichnete er mit von der Leyen und Michel ein Sicherheitsabkommen, wonach die EU der Ukraine «weiterhin jede erforderliche politische, finanzielle, wirtschaftliche, humanitäre, militärische und diplomatische Unterstützung» zukommen lassen will, und dies «so lange und so intensiv wie nötig». Das Abkommen beinhaltet jedoch keine Sicherheitsgarantien, sondern löst zunächst nur bilaterale «Konsultationen» aus. Dies gilt auch für den Fall, dass Russland bei der laufenden Invasion Atomwaffen einsetzen sollte.

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