Die Schweiz sucht nach Möglichkeiten, die Migration aus der EU zu begrenzen. Der Staatenbund will offiziell dazu nicht Hand bieten. Bundesrat Cassis und EU-Kommissar Sefcovic verschieben ein geplantes Treffen.

Seit drei Monaten verhandeln die Schweiz und die EU über eine neue bilaterale Übereinkunft. Beide Seiten wollen bis Ende Jahr ein Ergebnis erzielen – doch die Gespräche harzen teilweise. Anfang Juni hatte die Bundesverwaltung auf eine Anfrage von SVP-Nationalrat Thomas Aeschi noch mitgeteilt, dass sich Bundesrat Ignazio Cassis und Maros Sefcovic, der für die Beziehungen zur Schweiz zuständige EU-Kommissar, am 20. Juni in Bern treffen würden.

Bern und Brüssel telefonieren bloss

Doch daraus wird nichts, Sefcovic kommt nicht in die Bundesstadt. Es sei zu früh für eine Bestandesaufnahme auf politischer Ebene, sagt eine Sprecherin des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Darauf hätten sich Cassis und Sefcovic in einem Telefongespräch geeinigt. Man habe öffentlich nie ein Besuchsdatum genannt, betonen derweil Personen aus dem Umfeld der EU-Kommission.

Laut EDA liegen die Positionen der Schweiz und der EU in gewissen Bereichen noch weit auseinander. Erfahrene Verhandler sagen dazu, Treffen auf hochrangiger Ebene seien nur sinnvoll, wenn so Gesprächen Schwung verliehen werde.

Aus EU-Sicht hat sich besonders ein Thema als unerwartet schwierig herausgestellt: die Zuwanderung. Die Gespräche dazu haben eine neue Dynamik erhalten, seitdem der Bundesrat auch über einen «Schutzmechanismus» bei der Migration verhandeln will. Die Anregung dazu kam von der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats. Sie bat den Bundesrat, über Artikel 14.2. des Freizügigkeitsabkommens (FZA) zu sprechen.

Dieser könnte einen gewissen Spielraum bieten, die Zuwanderung zu beschränken. Konkret besagt der Artikel, dass «bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen» in der Schweiz «Abhilfemassnahmen» möglich seien. Beschliessen muss sie aber der gemischte Ausschuss, und gelten dürfen sie nur vorübergehend.

Dieser Wunsch der Schweiz hat die Verhandler der EU überrascht. Sie berufen sich weiterhin auf das Common Understanding, das die Verwaltungen der beiden Seiten 2023 als Vorstufe zu einem neuen bilateralen Vertrag vereinbart haben. Darin ist von einem Schutzmechanismus keine Rede. Und die Crux besteht nun darin, dass sich die EU bei den Verhandlungen eng an das Common Understanding halten will. Man habe dieses Prinzip immer verfolgt und eingehalten, sagt ein EU-Vertreter, der mit der Angelegenheit vertraut ist.

Zerstörte Balance

Welche diplomatische Bedeutung hat das Common Understanding als Leitfaden? Darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Ein erfahrener Verhandler ist über die harte Haltung der EU erstaunt: Wenn etwas nicht im Common Understanding enthalten sei, heisse das nicht, dass darüber zu schweigen sei.

Andere Beobachter sagen, im Common Understanding hätten die Schweiz und die EU eine Balance gefunden. Mit dem Wunsch der Schweiz, über einen Schutzmechanismus bei der Zuwanderung zu sprechen, sei dieses Gleichgewicht zerstört worden. Nun müsse eine neue Balance gefunden werden.

Doch das gestaltet sich offenbar schwierig. Das liegt auch daran, dass Artikel 14.2. noch nie angewendet worden ist und niemand genau weiss, was unter «schwerwiegenden Problemen» zu verstehen ist.

Vertreter der EU betonen gleichsam laufend, dass sie eine Beschränkung der Zuwanderung nicht akzeptieren würden. Ob sie das wirklich so meinen oder ob sie aus taktischen Gründen eine harte Linie vertreten, weiss niemand.

Die Niederlande haben die EU aufgeschreckt

Doch in der EU gibt es offenbar Bedenken, dass Mitgliedsländer ebenfalls die Zuwanderung begrenzen könnten, wenn man der Schweiz in diesem Punkt entgegenkommt. Im Staatenbund ist die Personenfreizügigkeit zwar kaum umstritten, ein gewisser Unmut hat sich allerdings in den Niederlanden geregt. Dort wird Anfang Juli eine Regierung die Geschäfte übernehmen, der auch die rechtsextreme Partei PVV des Demagogen Geert Wilders angehört.

Ein grosses Thema in den Niederlanden ist der Zustrom von Studenten aus der EU an die heimischen Universitäten. Das hat die Wohnungsnot in den Städten verschärft. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung steht dazu unter anderem, dass wieder mehr Lehrgänge in Niederländisch angeboten werden sollen. Das soll ausländische Studenten fernhalten. Das Thema Personenfreizügigkeit wird sonst aber im Koalitionsvertrag eher vage angesprochen, Beschränkungen sollen aber im Fall einer EU-Erweiterung ein Thema werden.

Ebenso unscharf sind die Ideen der Schweiz, wie der Schutzmechanismus gegen eine aus ihrer Sicht übermässige Zuwanderung aussehen könnte. Damit hat sich das Land verhandlungstechnisch in eine schwierige Lage gebracht: Es hat mit der EU im März Gespräche aufgenommen, ohne ihr wichtigstes Anliegen vorher detailliert zu konkretisieren.

Das Problem ist allerdings komplex. Eine Schwierigkeit besteht etwa darin, dass allfällige «Abwehrmassnahmen» gegen eine hohe Zuwanderung erst wirken, wenn eine kritische Situation bereits entstanden ist – das Instrument also zu spät kommt.

Schwierig ist auch die politische Umsetzung einer Schutzklausel. Würde die Schweiz beispielsweise Quoten einführen, wären jene Firmen benachteiligt, die Spezialisten suchen, solche aber nicht anstellen können, weil die Kontingente ausgeschöpft sind. Das würde in der Wirtschaft wohl zu Streit führen, obwohl sie sich teilweise auch für einen Schutzmechanismus ausspricht.

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