Sonntag, Oktober 6

Weltweit sind viele Wälder abgeholzt worden, um Kakao, Kaffee oder Ölpalmen anzupflanzen. Dem will die EU einen Riegel schieben, entstanden ist daraus eine Flut von Vorschriften. Die Schweizer Schokoladeindustrie befürchtet Nachteile beim Export in die EU.

Mit dem Ausdruck «Bürokratiemonster» haben Kritiker viele Richtlinien, Verordnungen und Gesetze der EU jüngst bedacht – manchmal begründet, manchmal aus durchsichtigen politischen Gründen. Unter den Vorhaben der EU befindet sich allerdings ein Ungeheuer, vor dem sich teilweise auch die Schweizer Industrie zu Recht fürchtet: die Entwaldungsverordnung. Sie ist komplex, ausufernd und wird den globalen Handel stark behindern, wenn sie so umgesetzt wird wie vorgesehen.

Wie oft bei regulatorischen Vorhaben der EU stand am Beginn ein hehres Ziel. Zu viel Wald ist weltweit gerodet und in Anbaufläche verwandelt worden, etwa für Soja, Kakao, Kaffee und Ölpalmen. Die Kommission will diese Entwicklung stoppen.

Unternehmen, die solche Produkte direkt oder in verarbeiteter Form in der EU verkaufen, müssen daher ab Ende Jahr nachweisen, dass die Pflanzen nicht auf Flächen angebaut worden sind, die vor 2020 noch bewaldet waren. So müssen sie etwa die Geodaten von Anbaufeldern erfassen, und wer die dort gewonnenen Güter in der EU auf den Markt bringt, hat diese Angaben in eine spezielle Datenbank hochzuladen.

Doch das ist noch nicht alles: Die Importeure müssen auch abklären, ob die Rohwarenhersteller die lokalen Gesetze befolgen, die Menschenrechte einhalten oder die Rechte der indigenen Völker achten – die Entwaldungsverordnung ähnelt in dieser Hinsicht dem umstrittenen Lieferkettengesetz. Die Sorgfaltserklärung dazu wird ebenfalls in der erwähnten Datenbank gespeichert.

Schokoladeindustrie fürchtet «exorbitante Datenmengen»

Für die Schweizer Industrie kann all das zum Problem werden. Besonders aufgeschreckt ist die Schokoladeindustrie, weil sie in grossen Mengen Kakao verarbeitet. Schweizer Firmen sollen zwar Zugang zur Datenbank bekommen. Unklar sei aber, welche Funktionen sie nutzen könnten, heisst es seitens von Chocosuisse, dem Verband der Schweizer Schokoladehersteller. Somit wisse man nicht, ob der Zugang etwas bringe.

Der Prozess, den die EU für die Prüfung (Due Diligence) vorsieht, ist komplex. Chocosuisse befürchtet, dass man «exorbitante Datenmengen» bündeln muss. In einer Schokolade können die Kakaobohnen von unzähligen Bauern enthalten sein – sie diesen zuzuordnen, ist extrem aufwendig.

Wenn Schweizer Hersteller die Datenbank nicht voll nützen können, müssen ihre Kunden, etwa die Detailhändler, im schlimmsten Fall eine neuerliche Due Diligence durchführen – schlicht weil der Schweizer Hersteller die geforderten Daten nicht übermitteln kann. Und dann besteht das Risiko, dass der Händler lieber mit einem EU-Produzenten ein Geschäft abschliesst. Das ist gerade für Schokoladeproduzenten ein Horrorszenario, schliesslich exportieren sie 72 Prozent ihrer Ware ins Ausland.

Aufgeschreckt sind allerdings nicht nur Schweizer Hersteller, sondern auch die Industrie in der EU. Moritz Hundhausen, der Leiter des Brüsseler Büros der Stiftung Familienunternehmen und Politik, findet es zwar richtig, dass sich die EU des Problems der Entwaldung annimmt. «Doch die Unternehmen müssen gerade eine inflationäre Gesetzgebung verkraften», sagt er. Bei der Vielzahl der Gesetze seien Doppelungen und Überschneidungen fast programmiert, etwa zum Lieferkettengesetz.

Auch die amerikanische Verwaltung hat bei der EU Protest angemeldet. Sie hält die Entwaldungsverordnung für eine Herausforderung und möchte, dass deren Einführung verschoben wird. Papierhersteller etwa sind aus Sicht der USA nicht in der Lage, die Verordnung einzuhalten. Das Vorprodukt Faserstoff stamme oft aus derart vielen Quellen, dass der Nachweis der Herkunft nicht erbracht werden könne.

Somit laufen auch Papierproduzenten Gefahr, vom europäischen Markt ausgeschlossen zu werden. Beobachter stellen der Kommission in der Frage des internationalen Handels daher ein schlechtes Zeugnis aus. Als sie die Verordnung geschaffen habe, habe sie nicht daran gedacht, wie man Drittstaaten einbinden könne, sagt ein Diplomat in Brüssel.

Angeblich sind die Franzosen schuld

Widerstand erwächst der Verordnung aber gerade auch im EU-Parlament und bei einigen EU-Mitgliedsländern. Peter Liese, EU-Parlamentarier der CDU, findet es zwar ebenfalls richtig, die Entwaldung zu stoppen. «Die Verordnung wurde aber durch eine Mehrheit aus Grünen, Sozialdemokraten, Linken und französischen Liberalen zu einem bürokratischen Monstrum», sagt er. Liese verlangt, die Inkraftsetzung des Gesetzes zu verschieben und in Ruhe über Änderungen zu beraten.

Diplomaten und Parlamentarier in Brüssel kritisieren vor allem das Verhalten Frankreichs. Die Regierung von Präsident Emmanuel Macron wolle mit dem Gesetz nicht nur die Wälder schützen, sondern auch die heimischen Bauern und Produzenten, heisst es.

Andere sagen dagegen, die EU-Parlamentarier seien durch die Gesetzesflut der Kommission in den vergangenen fünf Jahren schlicht überfordert worden und hätten sich nicht mehr um alle Details der vielen Umweltvorlagen kümmern können.

Das Parlament bläst die Verordnung auf

Konkret meinen sie damit den Green Deal. Das europäische Klimagesetz verlangt bis 2050 netto die Klimaneutralität. Dutzende von Massnahmen und Gesetzen sollen dem Vorhaben zum Durchbruch verhelfen – die Entwaldungsverordnung ist Teil davon.

Die Kommission hat die EU-Parlamentarier mit dem Green Deal auf Trab gehalten, diese konnten allerdings auch der Versuchung nicht widerstehen, die Gesetze, Richtlinien und Verordnungen nach ihren politischen Vorstellungen kräftig aufzublasen.

Die Kommission wollte zum Beispiel nur sieben Agrarwaren der Verordnung unterstellen, das Parlament hat die Liste aber verlängert – selbst Ziegenmilch- und Fleischprodukte sowie Holzkohle stehen jetzt drauf. Zudem soll die Kommission nach den Vorstellungen des Parlaments evaluieren, ob die Liste dereinst noch umfassender gestaltet werden könnte, etwa indem man sie auf Rohrzucker und Ethanol ausweitet. Entsprechend wären noch mehr Industrien betroffen.

Überfordert scheint aber auch die Kommission zu sein. Obwohl die Verordnung bald in Kraft tritt, ist die Datenbank noch nicht bereit. Auch das angekündigte dreistufige Ampelsystem, das alle Länder einer Risikoklasse zuordnet, wovon dann die Informationspflichten der Firmen abhängen, existiert noch nicht. Vorerst gelten alle Staaten als mittleres Risiko. Kritiker sagen, die Kommission schrecke davor zurück, Länder als hochriskant einzustufen, weil das die betroffenen Regierungen gegen die EU aufbringen würde.

Noch können die Unternehmen aber hoffen. Denn der Wind hat in Brüssel gedreht. Verschiedene Massnahmen des Green Deal sind bereits verwässert oder verschoben worden, zu gross war der Widerstand. Eine Denkpause scheint auch bei der Entwaldungsverordnung wahrscheinlich. «Ich bin dafür zuversichtlich», sagt Norbert Lins, EU-Parlamentarier der CDU. Die Schweizer Industrie wird das gerne hören.

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