Donnerstag, Januar 30

Europas Wirtschaft kriselt. Ein Grund sei die Bürokratie, sagen Firmenvertreter. Kommissionspräsidentin von der Leyen will nun gegen die Regeldichte vorgehen, die sie teilweise selber geschaffen hat.

Manche EU-Parlamentarier haben jüngst einiges zu hören bekommen, wenn sie sich in ihren Wahlkreisen haben blicken lassen. Falls es in der EU so weitergehe, werde er die CDU nicht mehr wählen, habe der Eigentümer eines KMU ihm gesagt, erzählt Andreas Schwab, EU-Parlamentarier der CDU aus Süddeutschland.

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Die Klagen drehten sich stets um das gleiche Thema: die angeblich überbordende Bürokratie, welche die EU mit dem Gesetzeswerk Green Deal geschaffen habe. Die unzähligen Regulierungsvorhaben dienen einem hehren Ziel: Die EU soll bis 2050 netto klimaneutral werden.

Die Kommission musste auf den Druck der Wirtschaft reagieren

Aber die Firmen drohen am Green Deal zu ersticken. Das erklären nicht nur KMU-Vertreter, sondern auch Manager von Grossbetrieben. Jan Vandermeiren, der Chef des Antwerpener Hafens, wo sich viele grosse Chemiefirmen befinden, sagte diese Woche, dass die Wirtschaft eine schnelle Antwort erwarte. Sonst investierten Grossfirmen weniger in Europa. «Wir müssen uns zügig neu aufstellen, um wirtschaftlich seitens der USA nicht unter die Räder zu kommen», meint auch der Parlamentarier Schwab.

Der Druck auf die Kommission ist also seit einiger Zeit gross. Am Mittwoch hat sie aber zumindest den ersten Teil einer Antwort geliefert. Sie präsentierte einen «Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit», der die Richtung hin zu weniger Bürokratie aufzeigt. Die EU müsse ihre Schwächen ausmerzen, um konkurrenzfähiger zu werden, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. «Die Welt wartet nicht auf uns.»

  • Mit sogenannten Omnibus-Gesetzen will die EU Doppelspurigkeiten ausmerzen. Heute müssen Unternehmen im Rahmen des Green Deal detailliert und oft mehrfach Auskunft geben, wie sie Umwelt- und Sozialstandards handhaben. Kleine Firmen leiden darunter besonders. Hier soll es Vereinfachungen geben – die Bürden sollen um 25 bis 35 Prozent leichter werden.
  • Der Binnenmarkt soll weiterentwickelt werden. Er ist die grosse Errungenschaft der EU. Die Hürden sind aber nach wie vor hoch, etwa wenn ein Gewerbebetrieb in einem anderen EU-Land einen Auftrag annehmen will. Heimatschutz ist auch im Staatenbund noch weit verbreitet.
  • Die EU und die Mitgliedsstaaten sollen ihre Gesetze und Vorhaben besser aufeinander abstimmen. Die Unternehmen klagen oft über die Regulierung und darüber, wie ihnen die EU das Leben schwer mache. Viele Gesetze kommen jedoch gar nicht vom Staatenbund, sondern sind nationale Vorschriften.

Der Green Deal gilt laut von der Leyen weiterhin. Es dürfte allerdings noch einige Änderungen und politische Auseinandersetzungen geben. Ungewiss ist etwa, ob das «Verbrenner-Aus» Bestand haben wird: also die Vorschrift, dass in der EU ab 2035 nur noch Fahrzeuge, die mit CO2-neutralen Kraftstoffen fahren, zugelassen werden. Gewisse Vertreter der Autoindustrie, der Politik und der Wirtschaftswissenschaft kritisieren das symbolträchtigste Element des Green Deal heftig. Der Umstieg auf die Elektromobilität erfolge überhastet und schade der Autoindustrie, lauten die Einwände.

Unzählige Initiativen gegen zu viel Bürokratie

Der am Mittwoch publizierte Kompass nagt auch an der Glaubwürdigkeit von der Leyens und der Kommission. Denn sie gehen nun gegen eine Regeldichte vor, die sie teilweise selbst geschaffen und mit grosser Euphorie propagiert haben.

Als von der Leyen im Dezember 2019 das Klimagesetz präsentierte, verglich sie es mit der ersten bemannten Mondlandung von 1969. «Ich bin überzeugt, dass der Green Deal eine grossartige Chance für Europa ist – auch wirtschaftlich und gesellschaftlich», sagte sie.

In Aussicht stellte sie einen gewaltigen Innovationsschub. Vielleicht wird es diesen eines Tages geben, jetzt tönt es seitens der Kommission aber so, als sei Europas Wirtschaft in grosser Not – auch wegen des Green Deal. Von der Leyen und der Kommission kann man zumindest zugutehalten, dass sie eingesehen haben, wie ernst die Lage ist.

Allerdings beklagen Wirtschaftsvertreter die Regeldichte seit Jahrzehnten, und mindestens ebenso lange versprechen Regierungen, dagegen vorzugehen. Bereits im Jahr 2006 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel beispielsweise den Unternehmen in Aussicht gestellt, Bürokratiekosten abzubauen. Innert fünf Jahren gelang es angeblich darauf, ein Viertel der ermittelten Bürokratiekosten zu eliminieren.

In der EU gab es ebenfalls schon viele Bemühungen in diese Richtung. Vor elf Jahren hat etwa der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zum «Sonderberater für bessere Rechtssetzung» ernannt.

In der EU existiert seit 2022 zudem eine Regulierungsbremse. Sie läuft unter dem Stichwort «one in, one out». Wenn eine neue Regulierung für Unternehmen und Bürger Zusatzlasten bringt, muss es im gleichen Politikbereich Entlastungen gleichen Umfangs geben. Im ersten Jahr ihres Bestehens soll die Bremse bereits zur Folge gehabt haben, dass die Regulierungskosten vor allem für Unternehmen um über 7 Milliarden gesunken sind.

Die Klagen der Wirtschaft haben all diese Programme allerdings nicht zum Verstummen gebracht. Vielmehr sind sie lauter denn je.

Es gibt viele Regulierungssünder

Doch die Hoffnung stirbt gerade in Brüssel zuletzt. Die Kommission habe die Unterstützung für das Programm vom Mittwoch, müsse sich daran aber messen lassen, sagt etwa Angelika Niebler von der CSU.

Diese Partei ist in Brüssel Teil der grössten Fraktion, der Europäischen Volkspartei. Auch sie hat dem Green Deal mehrheitlich zugestimmt. Sehr oft können eben auch die Parlamentarier der Versuchung nicht widerstehen, die Gesetze und Verordnungen nach ihren politischen Vorstellungen aufzublasen. Und die Mitgliedsländer blähen Gesetze ebenfalls gerne auf, um Konkurrenten vom europäischen Markt auszuschliessen und heimische Firmen in eine vorteilhafte Position zu bringen.

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