Mittwoch, Januar 22

Der Politikwissenschafter Mark Leonard hat Menschen auf der ganzen Welt gefragt, was sie von Trump erwarten. Aus den Antworten hat er geopolitische Ratschläge für Europa entwickelt.

Menschen in vielen Ländern der Welt stimmt die Machtübernahme von Präsident Trump optimistisch. Er werde nicht nur gut sein für die USA, sondern auch für ihr eigenes Land, sagen sie. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des European Council on Foreign Relations bei 30 000 Personen in 24 Ländern. Im Gegensatz dazu sind die Verbündeten der Amerikaner in Europa und Südkorea besorgt. Sie fürchten, worauf sich die anderen freuen: die weitere Schwächung des geopolitischen «Westens».

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Herr Leonard, noch vor seinem Amtsantritt hat Trump im Gaza-Krieg einen Waffenstillstand durchgesetzt. In Ihrer Umfrage sehen ihn weltweit viele Menschen als Friedensstifter. Zu Recht?

Trump ist jemand, auf den die Menschen ihre Hoffnungen, Wünsche und Ängste projizieren. Viele Menschen auf der Welt lehnen die bisherige Art der amerikanischen Aussenpolitik ab. Ihnen ist die Vorstellung zuwider, dass sich Amerika als selbsternannter Führer der freien Welt moralisch legitimiert sieht, zu bestimmen, was sie tun sollen – und was nicht. Sie hoffen, dass mit Trump diese Ordnung nun definitiv überwunden wird. Viele schauen daher positiv auf Trump, andere wiederum stellen sich einfach auf die neue Situation ein. Es ist bemerkenswert, wie stark die Aussicht auf Trump die Pläne vieler Leute beeinflusst.

Auch im Nahen Osten?

Es ist völlig klar, dass die Entscheidungsträger im Nahen Osten in den vergangenen Tagen immer ein Auge auf den Regierungswechsel im Weissen Haus hatten. Der Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel ist vorerst ein echter Wendepunkt. Aber Trump hatte es bisher einfach. Er redete und übte Druck aus. Jetzt, im Amt, wird die Welt sehen, was er als Präsident erreicht – wenn er tatsächlich handeln muss.

In Ihrer Studie fällt auf, dass ausgerechnet Europa und Südkorea Angst vor Trump haben – seine Verbündeten. Amerikas Rivalen blicken hingegen optimistisch auf den neuen Präsidenten. Warum?

Aus den gleichen Gründen: Trump will Amerika zu einem mächtigen Akteur in der Welt machen, der aber nur das eigene Wohl im Blick hat. Er behauptet, dass die bisherige westliche Bündnisstruktur die USA bloss geschwächt habe. Die Verbündeten würden Amerika aussaugen wie Vampire. Zudem habe die globale Wirtschaftsordnung Handelsbilanzdefizite entstehen lassen und viele Gegenden in den USA abgehängt. All das will Trump rückgängig machen. Er verspricht damit, eine Macht neben anderen zu werden – ohne globalen Führungsanspruch. Doch Amerikas enge Verbündete haben ihre gesamte Wirtschafts- und Sicherheitspolitik auf ein Amerika gebaut, das die Rolle des globalen Hegemonen spielt. Das stellt sie nun vor Herausforderungen und bereitet ihnen Sorge.

Was bedeutet das für die Rivalen der USA?

Für die anderen Länder bedeutet es, dass ihre Spielräume im internationalen System bald grösser werden. Sie werden nicht mehr von Amerika belehrt und können Bündnisse und Geschäfte machen, wie sie wollen. Das internationale System wird also transaktionaler, beruht auf Tauschbeziehungen. Auch das erklärt, warum in den meisten Ländern der Welt die Menschen positiv auf Trump reagieren. Sie glauben, dass er gut für ihre Länder ist, ebenso wie für den Weltfrieden und für Amerika.

Das kann sich auch schnell wieder ändern, nicht?

Die Zeit vor Trumps Amtsantritt war wohl jene Phase, in der die Leute am positivsten über Trump dachten. Einfach, weil sie Trump noch nicht an seinen Taten messen konnten. Jetzt, nachdem er ins Weisse Haus eingezogen ist, kann sich die öffentliche Meinung rasch ändern. Wenn Trump zum Beispiel 10 Millionen Einwanderer aus den USA deportiert oder die Hilfe für die Ukraine stoppt, könnte das schreckliche Bilder produzieren. Positive Gefühle könnten dann ins Negative kippen.

Was ist der Vorteil einer transaktionalen Weltordnung für eine Mittelmacht wie zum Beispiel die Türkei?

Die Türkei ist Mitglied der Nato und EU-Beitritts-Kandidat. Das hat das Land in den vergangenen Jahrzehnten in eine schwierige Position gebracht. Durch die Anbindung an den Westen ist die Türkei in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt. Aber sie will nicht einfach einem Regelwerk aus Washington oder Brüssel folgen. Die Türkei hat in den vergangenen Jahren begonnen, vielfältige Beziehungen zur Welt aufzubauen und selbständig Geschäfte zu machen. Sie ist im ganzen Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reichs tätig, auf dem Balkan, im Nahen Osten und auch in Afrika. Der Nahe Osten wird jetzt zunehmend von den nichtarabischen Mächten Israel, Iran und Türkei dominiert. Der Sturz des Diktators in Syrien wird auch als Ergebnis der türkischen Aktivitäten wahrgenommen.

Brauchen die Türken dafür Trump? Sie waren auch unter Biden aussenpolitisch erfolgreich.

Sie waren von Biden nicht begeistert. Biden hat eine ideologische Sicht auf die Welt, die er in Demokratien und Autokratien aufteilt. Die Türkei mit Erdogans personalisierter Autokratie passte nicht so recht in Bidens Weltsicht. Erdogan ist zudem ein harter Kerl, der andere harte Kerle zu verstehen glaubt. Er kann mit ihnen Geschäfte machen. Erdogan und Putin haben zum Beispiel eine schwierige Beziehung, aber sie haben einen Weg gefunden, zusammenzuarbeiten. Nun denkt Erdogan wohl, dass das auch mit Trump möglich sein wird.

Ihre Umfrage zeigt, dass Europa von aussen als viel einflussreicher wahrgenommen wird als von den Europäern selbst. Warum?

Viele Menschen glauben, dass wir uns dem Ende der amerikanischen Ära nähern und bald eine multipolare Weltordnung herrscht. Inder, Türken oder Saudiaraber, sie alle wollen in dieser neuen Welt eine Macht sein. Die Europäische Union ist ein grosser Block. Sie ist wirtschaftlich stark, verfügt über viele Ressourcen und setzt sich für die Ukraine ein. Die Menschen schliessen daraus, dass Europa in der neuen multipolaren Welt ein relevanter Akteur sein könnte. Innerhalb der EU sind die Menschen diesbezüglich skeptischer. Sie sind sich der Spaltungen und der Zerrissenheit innerhalb Europas einfach bewusster als die Menschen in Asien oder Amerika.

Was heisst das für Europa?

Es zeigt, dass die Europäer möglicherweise eine grössere Rolle auf der Weltbühne spielen könnten. Aber dafür müssen sie zuerst verstehen, dass die Welt transaktionaler wird. Als Trump 2016 zum ersten Mal gewählt wurde, hiess es in vielen Medien, Angela Merkel sei nun die Anführerin der freien Welt und das moralische Gewissen des Westens. Wenn das nun wieder die Rolle ist, welche die Europäer spielen wollen, werden sie schnell ziemlich allein dastehen. Die Welt hat keine Lust mehr auf das moralische Gewissen des Westens.

Was sollte Europa stattdessen tun?

Wenn Europa eine transaktionale Rolle spielt, also internationale Beziehungen als Tauschgeschäfte auffasst, nehmen andere Akteure Europa als relevante Macht wahr, als potenziellen Partner oder als Verbündeten. Aber um diese Rolle zu spielen, müssen sich die Europäer darauf einigen, was genau ihre Interessen sind. Doch das ist angesichts der politischen Zersplitterung Europas ein echtes Problem. Europa steht vor zwei Herausforderungen. Erstens: Kann es nach der Funktion des Moralapostels eine neue Rolle finden? Zweitens: Kann es sich auf grundlegende Positionen einigen?

Und, bekommt Europa das hin?

Europa verhält sich durchaus schon transaktional. Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei 2016 ist ein Beispiel dafür. Die Europäer handeln auch gemeinsam, wenn die Lage ernst genug ist. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine einigten sie sich schnell auf Sanktionen, die weitreichender waren, als die meisten erwartet hatten, und sie unterstützen seither die Ukraine mit Waffen.

Aber Europa reagiert immer nur in Krisen, es denkt und handelt nicht langfristig. Ist Europa in der Lage, vorausschauend Realpolitik zu betreiben?

Für ein Gebilde wie die Europäische Union ist das offenkundig schwieriger als für einen Staat. Ein Trump oder ein Putin kann schnell Entscheidungen treffen, die Europäische Union braucht einen Konsens. Das braucht seine Zeit, aber die Erfolgsbilanz der Europäer in den vergangenen Jahren ist nicht so schlecht. Wenn man sich anschaut, wie Europa auf die Euro- und die Flüchtlingskrise, die Corona-Pandemie und die russische Invasion in der Ukraine reagiert hat, dann hat es bei jeder dieser Krisen bessere Arbeit geleistet. Und das, obwohl nationalistische und populistische Parteien an Einfluss gewonnen haben.

Wie sollen europäische Spitzenpolitiker wie Macron, Meloni oder von der Leyen mit Trump umgehen?

Mein Kollege Ivan Krastev hat eine klare Empfehlung: Verhalte dich nicht wie ein Opfer, sonst wirst du eins! Ich denke, sie müssen einen Mittelweg finden. Wer unterwürfig ist, der lädt Trump dazu ein, immer mehr zu fordern. Wer auf starken Mann macht, aber nicht liefern kann, verliert auch. Am besten ist wohl ein Mittelweg: nicht panisch werden, nichts überhasten, sondern gut überlegen, welche Ressourcen wir Europäer haben . . .

Welche denn?

Es geht zuerst um die Sprache der Macht. Wir brauchen sie, wenn wir wollen, dass Trump uns ernst nimmt. Dabei kann die EU helfen, indem sie die Macht der Länder bündelt. Sicher, zuerst werden manche europäischen Regierungschefs nach Mar-a-Lago oder ins Weisse Haus pilgern, um ein privilegiertes Zollabkommen für ihr Land herauszuholen. Erst nachdem das gescheitert ist, werden sie sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen. Aber vergessen wir nicht: Europa ist einer der wichtigsten Märkte für die USA, viele grosse Firmen sind hier angesiedelt. Das birgt ein Abschreckungspotenzial und kann einen Handelskrieg mit den USA verhindern.

Ihre Umfrage zeigt, dass die Allianz zwischen China und Russland in den beiden Gesellschaften breit abgestützt ist. Ist sie mehr als eine machtpolitische Freundschaft zwischen Xi und Putin?

Die beiden Länder haben eine lange, komplizierte Beziehungsgeschichte. Sie wurde intensiver mit der Sorge über die Osterweiterung der Nato und der Angst vor «farbigen Revolutionen». Als der Westen nach der Krim-Annexion 2014 Sanktionen gegen Russland ergriff, sprang China ein. Es erhielt Zugang zu Erdgas und Erdöl und tauschte dagegen Technologie. Die Beziehung wurde noch enger nach dem Grossangriff auf die Ukraine. Moskau ist jetzt abhängig von Peking. Es ist Xis Ziel, dass der Westen in der Ukraine nicht gewinnt. Aber er stützt Moskau nicht um jeden Preis. Die Chinesen wollen weiter mit dem Westen handeln. Es gibt immer wieder Spaltungen zwischen China und Russland. Das eröffnet Möglichkeiten für den Westen.

2007 schrieben Sie ein Buch mit dem Titel «Warum Europa die Zukunft gehört». Was wäre heute der Titel Ihres Buches über Europa?

Zugegeben, der Titel ist nicht gut gealtert. Es war damals eine Liebeserklärung an das europäische Projekt, in einer Zeit grosser transatlantischer Spannungen wegen des Irakkrieges. Würde ich heute so ein Buch schreiben, hiesse es «Warum wir Europa brauchen». Meine Mutter kommt aus einer Familie deutscher Juden, viele ihrer Verwandten wurden in den Lagern ermordet. Sie wurde in Frankreich im Exil geboren und ging 1950 nach Deutschland zurück. Mein britischer Grossvater väterlicherseits kämpfte im Ersten Weltkrieg. Ein Teil des Buches feiert das, was Europa seither erreicht hat. Auch mit der Erweiterung der Union auf 27 Mitglieder. Aber ich zeige darin auch, dass die EU nie ein Staat werden wird. Sie ist ein regionales Netzwerk, das ihren Mitgliedern auf neue Art Sicherheit und Wohlstand verschafft. An diesem Punkt halte ich fest. Und wir werden in Zukunft weltweit neue regionale Verbünde sehen. Denn auch darauf deutet ja unsere Umfrage hin: Das 21. Jahrhundert wird weder amerikanisch noch chinesisch sein.

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