Sonntag, September 8

Die schwierige Lage der Ukrainer auf dem Schlachtfeld überträgt sich auch im Westen auf die öffentliche Meinung. Nur jeder zehnte Europäer glaubt noch an einen militärischen Sieg der Ukraine.

Zwei Jahre nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine macht sich Pessimismus in den westlichen Gesellschaften breit. Nur noch jeder zehnte Europäer glaubt, dass die ukrainischen Streitkräfte gegen die russischen Invasoren gewinnen können. Das geht aus einer aktuellen Umfrage hervor, die der paneuropäische Think-Tank European Council on Foreign Relations (ECFR) in Auftrag gegeben hat.

Befragt wurden 17  000 Bürger aus Polen, Schweden, Portugal, den Niederlanden, Deutschland, Spanien, Rumänien, Frankreich, Österreich, Italien, Ungarn und Griechenland. Noch vor einem Jahr war eine Mehrheit der Europäer gemäss dem ECFR überzeugt, dass es der Ukraine gelingen würde, die besetzten Gebiete vollständig zurückzuerobern. Jetzt glaubt im Durchschnitt jeder fünfte Befragte an einen Sieg Russlands, während die meisten eine Art von Kompromisslösung zwischen den Kriegsparteien erwarten.

Düstere Lage

Der Meinungsumschwung korreliert mit der düsteren Lage an der Front und den politischen Entwicklungen: So ist die Herbstoffensive des ukrainischen Militärs gescheitert. Es mangelt Kiew dramatisch an Waffen, Munition und Soldaten, während die zahlenmässig überlegenen russischen Angreifer auf dem Vormarsch sind. Auch die ausbleibende Militärhilfe aus den USA und die Sorge vor einer Wiederwahl Donald Trumps, der das Land nicht weiter unterstützen will, trüben die Aussichten.

Wie wird der Krieg in der Ukraine enden?

Kompromiss zwischen Russland und der Ukraine

Ist mir egal/ Weiss ich nicht

Der ECFR misst seit Kriegsbeginn die Stimmungslage auf dem Kontinent. So habe die Öffentlichkeit vor zwei Jahren mit «aussergewöhnlicher Solidarität gegenüber der Ukraine», aber auch mit Angst vor den Auswirkungen des Krieges auf Putins Aggression reagiert, schreiben die Studienautoren Ivan Krastev und Mark Leonard. Viele Europäer befürworteten damals eine schnelle Lösung des Konflikts, notfalls auf Kosten territorialer Zugeständnisse der Ukraine. Ein Jahr später hätten die Erfolge der ukrainischen Armee die Wahrnehmung verändert, doch nun scheint der Optimismus wieder verflogen zu sein.

Auffällige nationale Unterschiede gibt es jetzt in der Frage, welche Politik die EU verfolgen solle: Während etwa in Schweden, Portugal und Polen eine Mehrheit findet, dass man der Ukraine helfen sollte, die besetzten Gebiete zu befreien, gibt es in Italien, Griechenland und Ungarn eine starke Präferenz, Kiew zu einem wie auch immer gearteten Friedensabkommen mit Russland zu drängen. In Frankreich und Deutschland sind die Ansichten dazu relativ gleichmässig verteilt.

Wie sollte sich die EU gegenüber der Ukraine verhalten?

Sie sollte ihr helfen, die besetzten Gebiete zurückzuerobern

Sie sollte sie zu einem Friedensabkommen mit Russland drängen

Wie eine Kompromisslösung zwischen den Kriegsparteien aussehen könnte, geht aus der Befragung nicht hervor, und es wird auch nicht näher definiert, wie ein russischer Sieg aussähe. Man könne darüber nur spekulieren, schreiben die Autoren. Plausibel aber sei, «dass die Idee eines russischen Sieges für viele bedeutet, dass die Ukraine nicht in der Lage sein wird, alle ihre besetzten Gebiete zu befreien».

Musik in den Ohren Putins

Auch bei der Unterstützung der ukrainischen Flüchtlinge gibt es Ermüdungserscheinungen. Ausgerechnet in Polen, Ungarn und Rumänien, wo die Solidarität mit dem angegriffenen Nachbarn zunächst überwältigend war, sieht man die Neuankömmlinge inzwischen mehr als Bedrohung denn als Chance für das eigene Land.

Diese Entwicklung dürfte vor allem auf die Konkurrenz durch die ukrainische Landwirtschaft zurückzuführen sein, die die Bauern in den EU-Nachbarstaaten beim Preis unterbieten. Für Putin, der seit je auf die Kriegsmüdigkeit des Westens setzt, sind das gute Nachrichten. Genauso wie die Möglichkeit eines Wahlsiegs von Trump: Gemeinsam mit den USA könnte Russland in diesem Fall versuchen, die Ukraine in einen Diktatfrieden auf Kosten der ukrainischen Souveränität zu zwingen.

Krastev und Leonard plädieren vor diesem Hintergrund dafür, dass die Staats- und Regierungschefs ihre Sprache der aktuellen Stimmung anpassen, «um einer skeptischen Öffentlichkeit nicht als unrealistisch zu erscheinen». Die Herausforderung bestehe darin, zu definieren, was es in der Praxis bedeute, für den «Frieden» zu sein. Die Spitzenpolitiker der EU könnten etwa damit beginnen, zwischen einem «nachhaltigen Frieden» und einem «Frieden nach russischen Massstäben» zu unterscheiden.

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