Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock und ihr französischer Amtskollege Jean-Noël Barrot treffen in Damaskus die neue syrische Führung. Im Auftrag der EU verhandelten sie mit den Islamisten – und brachten klare Erwartungen mit.

Vor wenigen Wochen noch zogen Rebellen plündernd durch den Präsidentenpalast in Damaskus. Am Freitag empfing dort nun ihr Anführer Ahmed al-Sharaa seine ersten Gäste aus dem Westen.

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Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock und ihr französischer Amtskollege Jean-Noël Barrot reisten im Auftrag der Europäischen Union nach Syrien. Der Besuch sei «ein klares Signal an die Syrerinnen und Syrer: Ein politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen Deutschland und Syrien ist möglich», sagte Baerbock zu Beginn ihrer Reise. Barrot versprach, Deutschland und Frankreich stünden an der Seite des syrischen Volkes. Man wolle es beim friedlichen Machtübergang unterstützen.

Vor Ort machten sich die beiden Minister zunächst jedoch ein Bild von der gewaltvollen jüngeren Vergangenheit des Landes. Baerbock und Barrot besuchten gemeinsam das Gefängnis von Saidnaya, in dem das Regime des langjährigen Machthabers Bashar al-Asad Tausende Menschen eingesperrt und gefoltert hatte. Vertreter der Weisshelme, einer syrischen Zivilschutzorganisation, zeigten den Ministern dort eine Presse, in der Regimegegner zu Tode gequetscht worden sein sollen.

«Wenn ich heute hier sehe, was die Menschen in dieser Hölle, in diesem Höllengefängnis, durchgemacht haben, dann wird deutlich, wie wichtig Ihre Arbeit war», sagte Baerbock, an die Vertreter der Weisshelme gewandt. Es sei wichtig gewesen, «auf die Stimmen der freien Menschen in Syrien zu hören», wie die der Weisshelme. Diese hätten «unterstrichen, was für ein Regime das Asad-Regime war, das Folter angewandt hat, die sich niemand vorzustellen vermochte».

Die Europäer kamen mit klaren Erwartungen

In dem Gespräch mit dem neuen Machthaber Sharaa ging es daher laut Baerbock auch darum, «die tiefen, offenen Wunden wieder zu schliessen». Er hatte mit seiner islamistischen Rebellenmiliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) Anfang Dezember die Macht übernommen und Asad aus dem Land gejagt. Die Vereinten Nationen listen die Gruppe als Terrororganisation, er selbst steht auch in der EU auf Sanktionslisten.

Gleich zu Beginn des Treffens kam es bei der Begrüssung der Gäste zu einem Eklat. Wie auf einem Video des Empfangs im Präsidentenpalast zu sehen ist, reicht Sharaa zwar Barrot die Hand, vor Baerbock deutet er jedoch lediglich eine Verbeugung an. Die belgische Europaabgeordnete Assita Kanko sprach auf X angesichts der Szene von einer Erniedrigung. «Frauen bedeuten ihnen nichts», schrieb sie. Baerbock erklärte nach dem Treffen jedoch, die Machthaber hätten deutlich gemacht, wie wichtig es ihnen sei, auch Frauen in den politischen Übergangsprozess in Syrien einzubinden.

Die Europäer reisten mit einigen Angeboten nach Damaskus. Sie stellen der neuen syrischen Führung zusätzlich zur humanitären Hilfe auch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit in Aussicht. Ausserdem wollen sie zum Wiederaufbau des Landes beitragen, das durch den jahrelangen Bürgerkrieg schwere Zerstörungen davongetragen hat. Deutschland gab Ende Dezember bereits 60 Millionen Euro für Hilfsprojekte in Syrien frei.

Doch die Unterstützung ist an Bedingungen geknüpft. Die Minister machten deutlich, dass die Europäer klare Erwartungen an die neue Führung in Damaskus haben.

Zunächst soll sie für einen friedlichen politischen Neustart sorgen und die verfeindeten Bevölkerungsgruppen aussöhnen. Einen Neuanfang könne es nur geben, wenn Frauen wie Männern sowie allen ethnischen und religiösen Gruppen ein Platz im politischen Prozess eingeräumt werde, sagte Baerbock vor ihrer Abreise. Die Europäer drängen daher darauf, nicht allzu viel Zeit bis zu ersten Wahlen verstreichen zu lassen.

Ausserdem wollen sie verhindern, dass die Islamisten Einfluss auf Bildung und Justiz nehmen. «Wir haben unsere Erwartungen klar formuliert: ein Bildungssystem, frei von Ideologie, Diskriminierung und Ausgrenzung», sagte etwa kürzlich die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze.

Baerbock will HTS an ihren Taten messen

Die Europäer verfolgen zudem geopolitische Ziele. Das neue Syrien müsse den russischen Einfluss «loswerden», sagte die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas Mitte Dezember nach einem Treffen der Aussenminister in Brüssel. Die EU erwartet daher, dass die neue Führung die russischen Militärbasen im Land schliesst.

Bis diese Ziele umgesetzt werden könnten, ist es jedoch noch ein weiter Weg. Bislang lagen die Kontakte der Europäer nach Syrien auf Eis. Viele Länder hatten ihre Diplomaten unter Asad abgezogen. Nach seinem Sturz schickte die Aussenbeauftragte Kallas den deutschen Diplomaten Michael Ohnmacht nach Damaskus, mit der Aufgabe, erste Kontakte zur Übergangsregierung zu knüpfen. Vor diesem Hintergrund ist der Besuch der Minister erst einmal ein Fuss in der Tür nach Syrien.

Zudem ist bislang noch nicht abzusehen, ob die neuen Machthaber zu ihren Worten stehen. Die Vertreter der islamistischen HTS geben sich bislang gemässigt. Ihr Anführer verspricht den Syrern eine Verfassung und Wahlen. Auch Frauen haben Ämter in der Übergangsregierung inne.

An der Läuterung der Islamisten gibt es jedoch Zweifel. Ihre Vorgängerorganisation, die jihadistische Al-Nusra-Front, hatte Massaker an Andersgläubigen verübt.

Dieser Umstände sind sich auch die Minister bewusst. «Wir wissen, wo die HTS ideologisch herkommt, was sie in der Vergangenheit getan hat», sagte Baerbock am Freitag. Bei aller Skepsis dürfe man aber nicht die Chance verstreichen lassen, die Menschen in Syrien an diesem wichtigen Scheideweg zu unterstützen. Die neuen Machthaber werde man an ihren Taten messen.

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