Der deutsche Bundestagsabgeordnete Felix Schreiner (CDU) ist ein Freund der eigenständigen Schweiz. Doch als das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union scheiterte, war er enttäuscht. Er sagt, Europa brauche gemeinsame Antworten.

Herr Schreiner, was hat Sie als Mitglied des Deutschen Bundestags in die Schweiz geführt?

Als Vorsitzender der Deutsch-Schweizerischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag pflege ich viele Verbindungen zu Parlamentariern, Mitgliedern des Bundesrates und den Institutionen in der Schweiz. Wir müssen nicht über-, sondern miteinander sprechen und unsere stark ausgeprägte grenzüberschreitende Verflechtung von Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft vertiefen. Wir müssen gemeinsam die Abhängigkeiten von Grossmächten wie China und Russland reduzieren – das sind Lehren aus der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs. Die Europäische Union braucht Partnerländer wie die Schweiz. Ich verstehe meine Aufgabe im Deutschen Bundestag auch darin, die Themen der über 60 000 Grenzgänger in meiner Heimatregion Baden-Württemberg auf der politischen Agenda beider Regierungen zu platzieren.

Sie sind an der Schweizer Grenze aufgewachsen. Fühlen Sie sich in Berlin fremder als in Bern oder Zürich?

Ich habe es immer als Privileg verstanden, in einer so schönen Gegend wie dem Hochrhein aufgewachsen zu sein. Der nahezu grenzenlose Austausch mit und die vielen Wege in die Schweiz sind in meiner Heimat Lebenswirklichkeit. Viele meiner Schulfreunde arbeiten oder leben in der Schweiz. Die Menschen dies- und jenseits des Rheins, im Schwarzwald und in den Alpen sind freundlich und voller Lebensfreude. Berlin ist eine Weltstadt und das politische Zentrum Deutschlands – mein Herz schlägt definitiv für meine Heimat in der deutsch-schweizerischen Grenzregion.

Die Schweiz konnte lange auf Schweiz-Versteher wie den verstorbenen ehemaligen Präsidenten des Bundestags Wolfgang Schäuble zählen. Heute schauen viele deutsche Politiker eher irritiert auf die Schweiz mit ihrem direktdemokratischen System. Erleben Sie das auch so?

Ich habe grossen Respekt, wie das politische System der Schweiz funktioniert. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die schweizerische Demokratie eine andere Geschichte hat als die deutsche. Auf Deutschland ist dieses Modell jedoch nur schwer übertragbar. Deutschland hat eine grössere Bevölkerung, einen starken Föderalismus und andere Entscheidungswege. Gerade von Wolfgang Schäuble, mit dem ich schon aus der südbadischen Heimat heraus eng verbunden war, kam stets der Impuls für eine grössere Bürgerbeteiligung und die ernste politische Debatte. Am Ende überwiegen für mich aber die Vorteile der repräsentativen Demokratie. Gewählte Volksvertreter entscheiden mit Mehrheitsentscheidungen im Deutschen Bundestag. Das ist nicht immer populär und leicht, aber wichtig.

Deutsche Botschafter in der Schweiz neigen dazu, die Schweiz zu belehren. Michael Flügger sagte kürzlich: «Die Schweiz hat aus unserer Sicht ein veraltetes Verständnis von Neutralität.» Wie würde Deutschland reagieren, wenn die Schweizer Botschafterin in Berlin so auftreten würde?

Ich finde nicht, dass es hier um Belehrungen geht. Wenn ich den Botschafter, der eine exzellente Arbeit für die deutsch-schweizerischen Beziehungen leistet, richtig verstanden habe, dann bezog er sich auf das Kriegsmaterialgesetz. Als deutscher Parlamentarier respektiere ich das Neutralitätsgebot. Ich fand die Parlamentsinitiative einiger Schweizer Parlamentarier richtig, eine vorübergehende und klar befristete Ausnahme für die Ausfuhr von Kriegsmaterial an die Ukraine zu schaffen. Die Ukraine ist von Russland brutal überfallen worden und muss das Recht zur Selbstverteidigung haben. Dazu braucht es die Unterstützung der freien Welt und eine klare Haltung der Länder des Westens. Es geht um das Leben der Ukrainer, die Sicherheit Europas und die Werte der westlichen Welt. Die EU und die Schweiz sollten hier an einem Strang ziehen.

Die Schweiz bemüht sich um erste Friedensgespräche im Krieg zwischen der Ukraine und Russland. Ist das auch ein veraltetes Verständnis von Neutralität?

Es ist gut, dass die Schweiz diese Rolle einnimmt. Ich erwarte, dass die deutsche Bundesregierung die Konferenz dabei unterstützt, zu einem Erfolg zu werden. Persönlich bin ich aber auch davon überzeugt, dass Putin nur dann den Rückzug antreten wird, wenn er dazu gezwungen wird. Das bedeutet, dass wir weiterhin die Ukraine bestmöglich unterstützen müssen – dazu gehört die Lieferung von Waffen.

Sie kennen beide Länder gut. Was könnte Deutschland von der Schweiz lernen?

Als Verkehrspolitiker beneide ich die Infrastruktur der Schweiz, besonders die Zuverlässigkeit des öffentlichen Verkehrssystems. Die Schweizer Bevölkerung steht hinter diesem System, weil es verlässlich ist, und das ist die grösste Währung. Wir benötigen mehr Investitionen in die Infrastruktur Deutschlands und müssen privates Kapital akquirieren. Zudem muss sich die Deutsche Bahn wieder mehr um das Kerngeschäft kümmern, um die Schiene attraktiver zu machen. Ein zweites Beispiel ist die Umsetzung der Asylverfahren. Das strukturierte Verfahren in der Schweiz bietet enorme Vorteile. Die Gemeinden werden viel besser entlastet. Und auch hier gilt wieder: Das System ist in der Bevölkerung akzeptiert.

Ein Freund der Schweiz

PD

Felix Schreiner, Abgeordneter des Deutschen Bundestags (CDU)

Der 38-jährige Baden-Württemberger ist in Lauchringen bei Waldshut aufgewachsen. Bei einem kürzlichen Treffen mit der Schweizer Botschafterin in Berlin, Livia Leu, sprach er das grosse Potenzial grenzüberschreitender Kooperationen im Bereich der Gesundheit an. Die Hochrhein-Region könne von Anbindungen an die schweizerische Gesundheitsversorgung genauso profitieren wie Schweizer von deutschen Einrichtungen. Im Moment ist er in Bern und Zürich zu Besuch.

Und was kann die Schweiz von Deutschland lernen?

Als das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union scheiterte, war ich enttäuscht, weil damit eine Chance für die Zukunft und vor allem die jungen Menschen verpasst wurde. Die Welt dreht sich, sie wird schneller, und wir brauchen gemeinsame Antworten. Deutschland ist der natürliche Partner der Schweiz und umgekehrt. Wir sprechen eine Sprache und haben das Herz auf demselben Fleck. Die wirtschaftliche Vernetzung ist nicht nur wichtig: Sie macht unsere Volkswirtschaften auf beiden Seiten des Rheines widerstandsfähiger und robuster. Eine noch engere Zusammenarbeit der Schweiz mit Deutschland würde zur wirtschaftlichen Stabilität der Schweiz beitragen und Abhängigkeiten von Ländern ausserhalb des EU-Binnenmarktes minimieren.

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