Mittwoch, Oktober 30

Regionale Produktion, alternative und langlebige Werkstoffe, mehr Recycling oder grüne Verpackungen: Das Nachhaltigkeitsbewusstsein im Zweiradsektor wächst.

Wer Velo fährt, gilt als umweltbewusst. Grundsätzlich stimmt das, allerdings wird unser Planet auch von Zweirädern belastet – ganz besonders durch elektrisch angetriebene, von denen 2022 weltweit nicht weniger als 40 Millionen verkauft worden sind; 2023 dürften es kaum weniger gewesen sein – konkrete Zahlen werden im zweiten Quartal 2024 erwartet. Alle diese Fahrzeuge benötigen Strom, der bis anhin nur zum Teil aus grüner Produktion stammt.

An diesem auch Elektroautos betreffenden Problem wird gearbeitet, aber auch in anderen Bereichen der E-Bike-Branche zeichnen sich erste Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit ab. Praktisch jeder Hersteller oder Zulieferer möchte etwas zum Umweltschutz beitragen. Das geschieht oft aus Überzeugung, gelegentlich ist es aber reines Marketing.

Scheinargumente oder «Greenwashing» als solche zu erkennen, den eigenen Bedarf zu hinterfragen und sich vor einem Kauf bewusst zu informieren, bleibt jedem Verbraucher überlassen. Doch das setzt eine Abkehr von der Schnäppchenjagd voraus und auch eine gewisse Marktkenntnis.

Viele Velos reisen noch vor dem Verkauf um die halbe Welt

Am Anfang eines jeden neuen Velos steht seine Produktion, die derzeit zu über 90 Prozent in Asien stattfindet. Die wichtigsten Hersteller sitzen in China, Südkorea und Taiwan, weil die Arbeitslöhne dort drastisch niedriger sind als in Europa oder den USA. Dazu kommen günstigere Rohstoffpreise, nicht zuletzt beim zunehmend populären Material Carbon. Doch sind es energieintensive, umweltschädliche Produktionsprozesse und anschliessend lange Transportwege, welche die Öko-Bilanz der meisten Velos am stärksten belasten, bevor diese auch nur einen Meter zurückgelegt haben.

Neben Rahmen und Gabeln transportiert man auch die wichtigsten Komponenten, zum Beispiel Dämpfer oder Schaltungen, über weite Strecken, bevor sie – falls überhaupt – in Europa montiert werden. Denn die zunehmend spezialisierten Firmen wie der Schaltungsexperte Shimano aus Japan, der heutige Weltmarktführer, sitzen weit entfernt von Europa.

Dennoch gibt es Hersteller, die die Grenzen des Wachstums sehen und die meisten Komponenten ihrer Modelle deshalb dort anfertigen, wo sie vorrangig verkauft werden – oftmals zu höheren Preisen, auch wenn nicht jeder bereit ist, diese zu zahlen. Die Schweizer Manufaktur Transalpes geht teilweise so vor, aber auch Riese und Müller aus Deutschland, Time in Frankreich oder der slowenische Zulieferer Berk Composites verfügen über Fertigungen in den Kernmärkten.

Neben Überlegungen zur Herstellung spielt auch das Thema Haltbarkeit eine Schlüsselrolle für die Zukunft des Velos. Ein kompromissloser Vorreiter dieser Bewegung ist Chris King aus Portland/Oregon, der seine Komponenten mit lebenslanger Garantie verkauft. Einen anderen, technischen Weg geht das englische Start-up New Motion Labs – mit neuartigen Zahnrädern und Ketten, die seit 2023 erhältlich sind. Dank neu gedachten Konstruktion sollen sie zwei- bis dreimal langsamer verschleissen als herkömmliche Kraftübertragungen.

Nzero aus Spanien hat hundertprozentig organische Wachse und Schmierstoffe entwickelt, die völlig auf Mineralöl verzichten. Der österreichische Trinkflaschen-Produzent Keego setzt auf Titan statt Plastik – und umgeht nebenbei die umstrittenen Kunststoff-Weichmacher. All das sind kleine Schritte, die aber zur Nachhaltigkeit beitragen.

Auch bei Xaver von Treyer, der 2017 in Berlin die Gravelbike-Marke Bockstein gründete, gehört Nachhaltigkeit von Anfang zum Konzept. Zwar lässt er alle Rahmen in Fernost produzieren, bietet aber Titan-Frames an, die fair eingepreist und für die Ewigkeit gebaut sind. Die Herkunft aller Teile kommuniziert von Treyer ganz offen, denn «ich betreibe kein Greenwashing». Dafür verwendet er aber Innenlager aus Metall statt aus Plastik, damit man sie bedarfsweise austauschen kann – oder Karbonfelgen ohne giftige Lacke, um Feinstaub beim Schleifen zu vermeiden.

Der weit verbreiteten Wegwerfmentalität setzt von Treyer hochwertige, wiederverwertbare Bauteile entgegen und verzichtet zudem auf alles, was nicht unbedingt nötig ist: «Bei uns gibt es keine Aufkleber, Kataloge, Visitenkarten, Prospekte, Tragetaschen oder sonstige Werbeartikel.» Der Bockstein-Handel funktioniert ausschliesslich online und lebt von Mundpropaganda – und das offenbar gut, denn die Wartezeit auf eines der individuell gefertigten Unikate beträgt inzwischen mehrere Monate.

Alles mit dem Ziel der Kreislaufwirtschaft

Grundsätzlich ist sich die Branche einig, Abfall idealerweise zu vermeiden, bevor er überhaupt entsteht. Alternative Herstellungsverfahren oder Materialien – der österreichische Velobauer My Esel fertigt seine Velorahmen konsequent aus Holz, Myboo setzt in Norddeutschland auf Bambus – sind Beispiele dieser Entwicklung.

Noch im Prototypenstadium befindet sich ein Aluminiumrahmen aus gefrästen Halbschalen – ein Vorschlag zur nachhaltig-kostengünstigen Produktion des Automobilzulieferers Edag, der damit auf sein «Fast Track»-Komponenten-Entwicklungsprogramm aufmerksam machen will und in Europa um Industriekunden wirbt. Der deutsche Polymer-Hersteller Igus will Velos im Spritzgussverfahren bauen, die zu 90 Prozent aus rezykliertem Plastikmüll bestehen.

Auch der bereits von der deutschen Velomarke Urwahn praktizierte 3-D-Druck dürfte an Bedeutung gewinnen, ebenso wiederverwertbare Velo-Kartonagen und kompostierbare Verpackungsfolien. Vorrangig geht es aber um Profitabilität – solche Massnahmen müssen sich rechnen können.

Recycling ist ebenso wichtig, um irgendwann das Ideal effizienter Kreislaufwirtschaft zu erreichen. Diese Einsicht setzt sich langsam durch: Die Velobekleidungsmarke Vaude mischt ihren neuen Kollektionen rezyklierte Fasern aus Altreifen oder PET-Flaschen bei, während Schwalbe als erster Reifenhersteller weltweit damit begonnen hat, gebrauchte Velopneus zurückzunehmen und zu verwerten, statt sie zu verbrennen.

Die Gesetzgeber werden aktiv

Um diese Entwicklung zu beschleunigen und der noch vorherrschenden Wegwerfmentalität etwas entgegenzusetzen, hat Frankreich 2021 einen sogenannten «Repair Score» eingeführt: Dieser von der EU initiierte Reparatur-Index bewertet auf einer Skala von 1 bis 10 die Instandsetzungsfreundlichkeit verschiedener Produkte und ist für deren Hersteller bindend.

Derzeit betrifft dies Fernseher, Laptops, Mobiltelefone, Rasenmäher und Waschmaschinen, doch wird erwartet, dass das Punktesystem demnächst auch auf weitere Haushaltsgeräte und einfachere Fortbewegungsmittel wie E-Bikes angewandt wird. Sollte der Standard bei unseren Nachbarn Schule machen und von anderen Staaten übernommen werden, muss die Industrie reagieren und sich verstärkt in Richtung Ökodesign entwickeln.

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