Die Personalentscheide und Vorschläge des künftigen Präsidenten halten die Märkte in Atem. Doch fundamentale Aspekte der Finanzmärkte ändern sich nicht – es lohnt sich für Investoren, sich diese vor Augen zu führen.
«Wann war Amerika gross? Vor 125 Jahren. Wir hatten damals keine Einkommenssteuer, nur Importzölle.»
Howard Lutnick, CEO v. Cantor Fitzgerald u. künftiger Handelsminister d. USA
Trump, Trump, Trump.
Es sind bloss etwas mehr als zwei Wochen seit den Wahlen vergangen, der Amtseid liegt noch zwei Monate in der Zukunft – und doch scheinen die Finanzmärkte kein anderes Thema zu kennen als den neuen, alten Präsidenten der USA.
Trump bewegt. Diverse seiner Nominationen für das Regierungskabinett sind höchst kontrovers – und in Ansätzen zeigt sich, dass der von der Republikanischen Partei dominierte Senat nicht alle Vorschläge aus Mar-a-Lago durchwinken wird. Trumps charakterlich ungeniessbarer Kandidat für das Amt des Justizministers, Matt Gaetz, musste sich bereits wieder aus dem Rennen nehmen.
Eine Schockwelle durch die Finanzmärkte sandte die Nomination des Impfgegners und Verschwörungstheoretikers Robert F. Kennedy Jr. als Gesundheitsminister. Die Nachricht liess vergangene Woche Aktien aus dem Pharma- und Biotechsektor in einer Reflexreaktion einbrechen – was Kaufgelegenheiten eröffnen könnte, zumal alles andere als gewiss ist, dass die Nomination Kennedys durch den Senat kommt.
Schlagzeilen schreibt derweil auch das neue «Department of Government Efficiency», kurz DOGE, mit dem der Staatsapparat radikal verkleinert werden soll. Was einfach klingt, dürfte sich für die Unternehmer Elon Musk und Vivek Ramaswamy als knifflige Aufgabe erweisen.
Für Konfusion sorg überdies die Tatsache, dass im Gegensatz zu Trumps erster Amtszeit nicht nur der baldige Präsident, sondern auch sein «Best Buddy» Elon Musk fast stündlich seine gesellschafts-, welt- und wirtschaftspolitischen Gedanken via X (vormals Twitter) mitteilt.
Die Lärm-Maschine läuft auf Hochtouren.
Investoren möchten wissen, was sie in den kommenden Monaten und Jahren erwartet. Welche Unternehmen werden von Trumps Importzöllen betroffen sein, welche nicht? Welche profitieren? Wie wird Trump gegen China vorgehen, wie gegen Mexiko, gegen Europa? Was macht er mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin? Wird er die Steuern senken? Oder wird er den Staatsapparat dermassen zurückfahren, dass die USA in eine Rezession fallen? Wie geht er mit der US-Notenbank um, wenn sie eine Geldpolitik verfolgt, die ihm nicht genehm ist?
So verständlich diese Fragen sind, sie sind am Ende bloss Ausdruck des Lärms. Sie lassen sich nicht beantworten beziehungsweise nur im Konjunktiv. Die Zukunft ist ungewiss. Es könnte sein, dass Trump radikale Importbarrieren errichtet und die US-Wirtschaft vom Rest der Welt abschottet. Es könnte aber auch sein, dass er die Androhung von Zöllen nur als Verhandlungstaktik benutzt, um bilaterale Deals zu schliessen.
Der Marktbeobachter Alfons Cortés beschreibt es in seinem Beitrag für The Market mit dem Titel «Die Welt nach den Wahlen» perfekt:
«Es liegt in der Natur von Entscheiden, die die Zukunft betreffen, dass viele Ereignisse eintreten können, wovon einige erwartet wurden, andere nicht. Und sehr oft wirken sich erwartete Szenarien völlig anders aus als gedacht, zumeist wegen der unbeabsichtigten Konsequenzen aus beabsichtigten Handlungen.»
Der grösste Teil der Schlagzeilen, die uns heute erreichen, ist Lärm. Die kommenden vier Präsidialjahre vom Trump werden Veränderungen und Entwicklungen – positive wie auch negative – bringen, die heute unmöglich prognostiziert werden können.
Es gibt aber eine Alternative zur Frage, was sich unter Trump ändern wird: die Frage nämlich, was sich nicht ändern wird. Was gleich bleibt, unabhängig davon, wer die Zügel der Politik in der Hand hält. Darüber möchten wir uns im dieswöchigen «Big Picture» einige Gedanken machen. Zunächst werfen wir aber einen Blick auf die letzte grosse Personalie in Trumps Kabinett.
Inhaltsverzeichnis
- Vernunft im Finanzministerium?
- Wirtschaft und Finanzmärkte: Was sich nicht ändert
Es ist die letzte noch offene Nomination für das neue Regierungskabinett: Wer soll das Finanzministerium, das U.S. Department of the Treasury, übernehmen?
Während Trump bislang mit diversen anderen Nominationen null Scheu zur Provokation gezeigt hat, scheint er seine Wahl des Schatzsekretärs länger abzuwägen. Die an den Wettmärkten gehandelten Favoriten ändern fast im Minutentakt. Gegenwärtig liegen der frühere Notenbanker Kevin Warsh und der Hedge-Fund-Manager Scott Bessent, der lange die Favoritenrolle gehalten hatte, mit einer Wahrscheinlichkeit von je knapp 40% praktisch gleichauf.
Das «Wall Street Journal» bringt die Option ins Spiel, dass Warsh zunächst Finanzminister werde, um dann im Mai 2026, wenn das Mandat von Jerome Powell abläuft, den Vorsitz der US-Notenbank (Fed) zu übernehmen. Scott Bessent, ein früherer Geschäftspartner von George Soros, würde demnach zunächst die Führung des Wirtschaftsberaterstabs des Präsidenten (National Economic Council) übernehmen. Wenn er sich bewährt – und sofern er nicht vorher von Trump gefeuert wird –, würde er 2026 die Nachfolge von Warsh als Finanzminister antreten können.
Beide Personalien, Warsh und Bessent, stossen an Wallstreet weitgehend auf Zustimmung, da sie eine wirtschaftspolitisch «vernünftige» Stimme im Kabinett darstellen würden. Warsh war Wirtschaftsberater von George W. Bush, und von 2006 bis 2011 amtete er im Gouverneursrat der US-Notenbank. Während der Finanzkrise von 2008 war er Verbindungsperson des Fed zu den G-20. Er gilt in der Geldpolitik als ausgeprägter Falke, was durchaus Konfliktpotenzial mit Trump bietet, sollte er 2026 an die Spitze des Fed rücken.
Nicht unfroh dürfte Wallstreet sein, dass mit Howard Lutnick ein weiterer Anwärter für das Amt des Schatzsekretärs ins deutlich weniger wichtige Handelsministerium (Department of Commerce) abgeschoben wurde. Lutnick ist als CEO des Bondbrokers Cantor Fitzgerald zwar ein Finanzprofi, doch er hatte sich im Zusammenhang mit Importzöllen in den vergangenen Wochen deutlich extremistischer geäussert als Bessent und Warsh.
Bei allen Veränderungen, die in Washington anstehen: Worauf können Investoren zählen, das sich nicht ändern wird?
Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, sagte einst, er werde in Interviews oft gefragt, was sich in den nächsten zehn Jahren alles ändern werde. «Kaum je werde ich jedoch gefragt, was sich in den nächsten zehn Jahren nicht ändert. Und ich würde sagen, das ist die wichtigere Frage.»
Diese Anekdote stammt aus dem Buch «Same as Ever: A Guide to What Never Changes» des amerikanischen Autors und Fondsmanagers Morgan Housel. Es ist sehr zu empfehlen, falls Sie noch Lektüre für die Wintertage suchen.
Housel, Autor des ebenso empfehlenswerten Buches «The Psychology of Money», beschreibt darin, wie unser Alltag von vielen Dingen geprägt ist, die sich im Lauf der vergangenen Jahrzehnte in wahnsinnigem Ausmass und Tempo verändert haben: Technologie, Verkehr oder Medizin zum Beispiel. Andere Aspekte aber, namentlich die menschliche Psychologie und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Finanzmärkte, sind seit Jahrhunderten unverändert.
Wenn wir uns nun also, in Anlehnung an Housel, im Zusammenhang mit den Finanzmärkten fragen: Was ändert sich nicht, egal, was Trump in den kommenden vier Jahren alles beschliessen wird, und egal, wie viel Lärm aus dem Weissen Haus dröhnen wird?
Unsere Antwort – selbstverständlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit: das Wesen des Unternehmens und die Existenz von Zyklen. Sie sind fundamentale Elemente des freien marktwirtschaftlichen Systems. Und wenn wir davon ausgehen, dass dieses System Bestand haben wird, dann gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass sich diese Elemente ändern werden.
Zum Wesen des Unternehmens: Weltweit streben Millionen von Unternehmen beziehungsweise die Menschen an ihrer Spitze danach, das, was sie machen, morgen noch ein Stück besser zu machen. Und übermorgen noch ein Stück besser. Sie streben danach, die Bedürfnisse ihrer Kunden immer besser zu befriedigen, zu wachsen und ihren Gewinn zu steigern. Der Ausstoss der Weltwirtschaft wächst, und mit ihm der Gewinn der Unternehmen. Und besonders guten Unternehmen – davon gibt es nicht viele, aber es gibt sie – gelingt es, den Gewinn über lange Zeiträume beständig überdurchschnittlich zu steigern.
Das ist seit Jahrzehnten so, und das wird sich auch nicht ändern. Die im amerikanischen S&P-500-Index zusammengefassten Unternehmen haben im Zeitraum der vergangenen dreissig Jahre ihren Gewinn je Aktie auf aggregierter Basis fast verneunfacht – trotz Präsidentenwechseln, Rezessionen, Terroranschlägen, Kriegen, Finanzkrise und Pandemie.
Dabei durchlief die Wirtschaft periodisch zwar Rezessionen – das gehört zur Zyklizität des Systems –, in denen die Unternehmensgewinne zeitweise auch schrumpften (graue Flächen in der Grafik). Im darauf folgenden Aufschwung expandierten sie aber wieder. Dieses Muster gilt, in unterschiedlichem Ausmass, nicht nur für das abgebildete Beispiel der USA, sondern für alle Volkswirtschaften.
Für die Aktienmärkte ist, in aller Einfachheit gesagt, nichts anderes relevant. Nur die Entwicklung der Unternehmensgewinne. Langfristig bewegen sich die Aktienkurse im Einklang mit den Unternehmensgewinnen.
Für die Finanzmärkte kommt dabei allerdings eine Besonderheit hinzu: Zusätzlich zur konjunkturellen Zyklizität (Rezession und Aufschwung) kommt an den Börsen noch die psychologische Zyklizität (Angst und Gier) ins Spiel. Das bedeutet, der Aktienmarkt (gelbe Kurve in der Grafik) schwankt um die Entwicklung der Unternehmensgewinne (blau).
Manchmal eilt der Aktienmarkt der Entwicklung der Gewinne weit voraus – etwa in den späten Neunzigerjahren oder in den vergangenen zwei Jahren. In anderen Phasen, etwa nach der Finanzkrise von 2008 oder im Jahr 2018, läuft der Aktienmarkt den Unternehmensgewinnen hinterher.
Im ersten Fall, wenn die Aktienkurse schneller steigen als die Unternehmensgewinne, steigt die Bewertung des Aktienmarktes; im Jargon spricht man dann von einer Bewertungsexpansion. Im zweiten Fall, wenn die Gewinne schneller steigen als die Aktienkurse, spricht man von einer Bewertungskontraktion. Eine allzu extreme Bewertungsexpansion oder -kontraktion ist nie dauerhaft. Früher oder später bewegen sich die Aktienkurse zurück zur Entwicklung der Gewinne.
Jurrien Timmer, Marktstratege von Fidelity Investments, zeigt das Muster für den Zeitraum seit 2011 anhand der folgenden Grafik.
Die schwarze Kurve zeigt die Entwicklung des S&P 500. Die orangen Balken im unteren Bereich der Grafik stehen für die – in diesem Fall monatliche – Entwicklung der Unternehmensgewinne (EPS, Earnings per Share, Gewinn pro Aktie). Diese «atmen» mit dem Wirtschaftszyklus, sie können auch fallen, wie in der kurzen Rezession von 2020, aber in der Regel steigen die Unternehmensgewinne.
Die violetten Balken zeigen die Phasen von Bewertungsexpansionen und -kontraktionen. Besonders einträglich für den Aktienmarkt sind jeweils die Phasen, wenn sowohl die Unternehmensgewinne als auch die Bewertungen steigen – dann kumulieren sich diese beiden Effekte. Diese dürfen von Investoren jedoch nie als dauerhaft angesehen werden, denn auf Expansionen der Bewertung folgen stets auch Kontraktionen – das wird auch in der gegenwärtigen, seit Ende 2022 herrschenden Bewertungsexpansion der Fall sein.
Das ist es, was sich nicht ändern wird, Trump hin oder her. In ihrer Gesamtheit betrachtet steigen die Unternehmensgewinne über lange Zeiträume hinweg. Qualitativ hochwertigen Unternehmen gelingt es, die Gewinne überdurchschnittlich zu steigern. Die Aktienkurse entwickeln sich im Einklang mit den Unternehmensgewinnen; manchmal werden sie etwas zu euphorisch und überschiessen – wofür gegenwärtig Anzeichen zu sehen sind –, und manchmal sind sie zu ängstlich und laufen den Unternehmensgewinnen hinterher.
Alles andere ist bloss Lärm.