Donnerstag, November 13

Die 76-Jährige hat die Wirtschaft vorangebracht, doch zugleich das Land immer mehr in eine Diktatur verwandelt. Am Ende hat sie den Bogen überspannt.

Sheikh Hasina hat in ihrem Leben schon manchen Sturm überstanden. Seit ihrem Amtsantritt vor 15 Jahren war Bangladeshs Premierministerin immer wieder mit Protesten konfrontiert. Stets aber setzte sich die 76-Jährige mit einer Mischung aus Härte und Hartnäckigkeit durch. Dieses Mal jedoch hat sie die Wut der Bevölkerung unterschätzt.

Nachdem sich die Welle der Proteste über Wochen aufgebaut hatte, fegte sie Hasina am Montag hinweg. In wenigen Stunden brach ihr autoritäres Regime zusammen – ihr blieb nur die Flucht ins Ausland.

Seit 2009 hatte sie das 170-Millionen-Einwohner-Land mit eiserner Hand regiert. Erst im Januar war sie nach einer umstrittenen Parlamentswahl im Amt bestätigt worden. Die Opposition hatte die Wahl boykottiert und beklagt, dass in dem repressiven Klima kein fairer Wettbewerb möglich sei. Tatsächlich überzog Sheikh Hasina ihre politischen Gegner mit Prozessen, sperrte sie ins Gefängnis, wenn sie sie nicht gleich durch eine ihrer berüchtigten Todesschwadronen beseitigen liess.

Zuletzt war die grauhaarige Dame, die stets in feine Saris gekleidet auftritt, die am längsten regierende Frau der Welt. Ihren langjährigen Kampf mit ihrer Rivalin Khaleda Zia von der Bangladesh Nationalist Party (BNP) schien sie endgültig für sich entschieden zu haben. Gesundheitlich schwer angeschlagen, lebte Zia die vergangenen Jahre unter Hausarrest. Nach der Ausschaltung ihrer wichtigsten Gegnerin schien Hasina aber zusehends der Arroganz der Macht verfallen.

Wirtschaftlich ging es bergauf, politisch steil bergab

Unter ihrer Herrschaft hatte Bangladesh lange eine widersprüchliche Entwicklung erlebt: Während sich die sozioökonomische Situation dank Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur verbesserte, fiel das Land bei den politischen Indikatoren zurück. Unter Hasinas autoritärer Regierung gab es bei der Unabhängigkeit der Medien und der Justiz dramatische Rückschritte, auch die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit waren nicht mehr garantiert. Von fairen und freien Wahlen konnte schon 2014 keine Rede mehr sein.

In den vergangenen Jahren schwächte sich auch die wirtschaftliche Entwicklung ab. Nachdem das südasiatische Land unter Hasina über Jahre ein rasantes Wachstum erlebt hatte, das Millionen Menschen aus der Armut geholt hatte, geriet es in letzter Zeit in finanzielle Schieflage. Der Textilsektor, der das Zugpferd des Wachstums gewesen war und für den Grossteil der Exporte aufkam, stagnierte zusehends, während unter der Jugend die Arbeitslosigkeit stieg.

Dieses Problem war es, das die jüngste Welle der Proteste auslöste. Sie entzündeten sich Mitte Juli an dem Entscheid des Obersten Gerichts, eine umstrittene Quotenregelung wiedereinzuführen, die 30 Prozent der Stellen im Staatsdienst für die Nachkommen der Veteranen des Unabhängigkeitskriegs von 1971 reserviert. Viele Studenten sahen darin eine Bevorzugung der Anhänger von Hasinas Partei, der Awami League, und forderten, dass nicht Herkunft, sondern Leistung zählen müsse.

Hasina betrieb schamlose Klientelpolitik

Ihre Gegner warfen Hasina vor, den Staat als ihren Besitz zu betrachten und schamlos Geld und Posten an ihre Klientel zu verteilen. Als Tochter des Staatsgründers Sheikh Mujibur Rahman hatte sie ein spezielles Verhältnis zum Staat. Ihr Vater hatte an der Spitze der Awami League Bangladesh nach einem blutigen Krieg mit Pakistan 1971 in die Unabhängigkeit geführt. Zunächst allgemein verehrt als Bangabandhu (Freund Bengalens) entwickelte er rasch autoritäre Tendenzen und fiel 1975 einem Militärputsch zum Opfer.

Mit ihm zusammen wurde damals fast seine gesamte Familie ermordet. Nur Sheikh Hasina und eine Schwester überlebten das Massaker. Für die damals 27-Jährige war der Verlust des verehrten Vaters traumatisch. Über Jahre lebte sie im Exil in Indien, erst 1981 konnte sie in die Heimat zurückkehren. Dort übernahm sie die Führung der Awami League und setzte sich ein für das Ende der Militärdiktatur und eine Rückkehr zur Demokratie.

Nach einem Volksaufstand 1990 war es so weit. Doch die erste Wahl gewann Hasinas Rivalin Khaleda Zia mit ihrer Bangladesh Nationalist Party (BNP). Sechs Jahre später gelangte Hasina zwar an die Macht, musste sich bei der nächsten Wahl aber erneut ihrer Erzfeindin geschlagen geben. Ihre Rivalität nahm immer mehr persönliche Züge an. Beide Frauen warfen sich Korruption und Machtmissbrauch vor und beschuldigten einander, sich nach dem Leben zu trachten.

Selbst Muhammad Yunus brachte sie vor Gericht

Nachdem Sheikh Hasina nach einer turbulenten Übergangsphase unter Kontrolle des Militärs 2009 wieder an die Regierung gelangt war, machte sie sich daran, ihre Macht abzusichern. Sie nutzte alle Mittel des Staates, um ihre Gegner ins Abseits zu drängen. Zehntausende Anhänger der Opposition landeten unter fragwürdigen Vorwürfen im Gefängnis, darunter ihre Erzfeindin Khaleda Zia. Auch den Nobelpreisträger Muhammad Yunus, der weltweit als Begründer eines erfolgreichen Mikrokredit-Programms gefeiert wird, traktierte sie mit Prozessen.

Doch nun hat sich das Blatt gewendet. Nach dem Sturz und der Flucht von Hasina wurde Khaleda Zia umgehend aus dem Hausarrest entlassen. Auch zahlreiche politische Gefangene sollen freikommen. Allein während der Proteste der vergangenen Wochen hatte Hasina 10 000 Regierungsgegner festnehmen lassen. Zudem kündigte Muhammad Yunus am Dienstag an, auf Bitte der Studentenführer der geplanten Übergangsregierung als Wirtschaftsberater zur Seite zu stehen.

Der Ökonom, der im Januar wegen Verstössen gegen das Arbeitsrecht verurteilt worden war, sagte nach der Flucht der Premierministerin, Hasina habe sich aufgeführt «wie eine Besatzungsmacht, wie ein Diktator, wie ein General, der alles kontrolliert». Nun sei Bangladesh befreit, und die Leute empfänden Freude und Erleichterung. Ein halbes Jahrhundert nach der Unabhängigkeit sei dies ein Neuanfang, sagte Yunus. Mit ihrer autoritären Politik habe Hasina das Erbe ihres Vaters ruiniert.

Die Menge stürzt die Statuen des Staatsgründers

Nach der Flucht der Regierungschefin stürmten und plünderten die Demonstranten nicht nur den Regierungssitz in Dhaka, sondern stürzten auch Statuen von Hasinas Vater Mujibur Rahman. Ein Museum zur Erinnerung an den Staatsgründer wurde ebenfalls in Brand gesteckt. Die Wut auf Hasina und ihre Awami League ist gewaltig. Gross ist auch die Gefahr von Racheakten. Zahlreiche Büros der Regierungspartei wurden zerstört. In der Stadt Jessore starben 24 Menschen, als ein Mob ein Hotel in Brand steckte, das einem lokalen Vertreter der Awami League gehörte.

Besorgniserregend ist auch, dass Geschäfte, Häuser und Tempel von Hindus und anderen Angehörigen religiöser Minderheiten zerstört wurden. Nicht nur die Awami League, auch ihre Gegner haben eine lange Geschichte der Gewalt. Die islamistische Partei Jamaat-e-Islami etwa, die Hasina mitten in den Unruhen vergangene Woche verbieten liess, ist für viele politische Morde verantwortlich und hat in der Vergangenheit wiederholt blutige Unruhen angezettelt.

Nach dem dramatischen Umsturz ist die Zukunft des Landes ungewiss. Am Dienstag löste der Präsident das Parlament auf, doch war offen, wann Wahlen stattfinden sollen. Klar scheint nur, dass Hasina dieses Mal kein Comeback versuchen wird. Von Dhaka floh sie zunächst in die indische Grenzstadt Agartala, bevor sie weiter nach Delhi flog. Indiens Regierungschef Narendra Modi gehört zu ihren langjährigen Verbündeten, doch will er ihr kein Asyl gewähren. Laut Medienberichten will sie Zuflucht in Grossbritannien suchen.

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