Die Veranstalter des Grand Prix in Austin überzeugen mit Herz und Hirn, hier hat die Königsklasse in den Vereinigten Staaten ihr wahres Zuhause. Im Rahmenprogramm treten die Musiker Sting und Eminem auf. Doch auch für die Texaner ist der finanzielle Druck hoch.
Welchem Fahrer Donald Trump beim Kampf um den WM-Titel in der Formel 1 die Daumen drückt, ist klar. Im Mai beim Rennen in Miami hatte sich der amerikanische Ex-Präsident auf die Seite von Lando Norris geschlagen – vielleicht auch, weil die auffällige Papayafarbe des McLaren seiner Haarfarbe ähnelt. Norris hatte in Miami seinen ersten Grand Prix gewonnen, was sich Trump selbst hoch anrechnete.
Dessen Gegenspielerin Kamala Harris müsste von der Wahlkampf-Logik her auf den WM-Leader Max Verstappen schwören. Doch die Kandidatin der Demokraten drückt Lewis Hamilton die Daumen. Die amtierende Vizepräsidentin outete sich als Formel-1-Fan, eine bessere Fürsprecherin könnte der Grand Prix der USA von diesem Wochenende in Austin kaum haben. Aber grosse Propaganda haben die Veranstalter gar nicht nötig; sie stehen vor einem Rekordanlass.
Eine solche Masse locken sonst nur die WM-Rennen in Melbourne, Silverstone und Mexiko-Stadt an
Wer den Highway in Richtung des «Circuit of the Americas» entlangfährt, wird von riesigen Plakaten begleitet, die eine überhöhte Botschaft verkünden: «Das grösste Wochenende aller Zeiten.» Ganz falsch ist der in diesem Landstrich übliche Gigantismus nicht, denn der Auftakt zur entscheidenden Phase der Grand-Prix-Saison wird begleitet von Live-Konzerten mit Sting und Eminem im Amphitheater direkt an der Piste.
Dazu spielen die College-Footballer der Texas Longhorns zu Hause, deren Stadion mehr als 100 000 Zuschauer fasst. An der Rennstrecke werden über die drei Tage 430 000 Fans erwartet, in der Innenstadt mit ihren vielen Musikklubs herrscht ohnehin Dauerparty. «Die Vibes in Austin sind unglaublich», sagte Lando Norris. Schon in der letzten Saison war die texanische Berg-und-Tal-Bahn ein Publikumsmagnet, eine solche Masse locken sonst nur die WM-Rennen in Melbourne, Silverstone und Mexiko-Stadt an.
Der Ticketvorverkauf verlief heuer in Austin allerdings schleppender als sonst – bis die Renaissance von McLaren einsetzte. Als Max Verstappen von Red Bull Racing aufgehört habe zu gewinnen, habe der Absatz der Eintritte «gewaltig angezogen», sagte der Streckenchef Bobby Epstein erfreut. Für den Manager ist es auch eine Bestätigung für seine These, dass die Fans in Austin nicht nur wegen der Show kämen, sondern durchaus auch etwas von Motorsport verstünden.
Verstappen hat in der WM noch 52 Punkte Vorsprung auf Norris. Das ist alles andere als komfortabel, zumal McLaren jüngst den deutlich stärkeren Rennwagen präsentierte. Red Bull Racing soll jedoch in der vierwöchigen Rennpause das Auto des strauchelnden Verstappen generalüberholt haben, was dem PS-Rodeo zusätzliche Spannung verleiht.
So wie das liberale Austin nicht so recht nach Texas passen mag, greifen auch die Klischees über die amerikanischen Zuschauer hier nicht. Die Strecke mit dem steilen Anstieg direkt nach dem Start mutet europäisch an, sie wurde schliesslich auch von einem Schweden erdacht und vom Aachener Architekten Hermann Tilke 2012 umgesetzt. Die Fahrer lieben den flüssigen Ritt durchs Gelände, die tückischen Kurven provozieren Fehler und Überholmanöver.
Immer wieder hat es in der Hügellandschaft grosse Duelle gegeben. Hier werden die Piloten gefordert wie kaum an einem Ort, hier gleicht das Fahren nicht einem Glücksspiel wie auf den inflationär vertretenen Stadtkursen im Formel-1-Kalender.
Das Spektakel ist in Austin vom Sport geprägt. Zwar ohne einen Fahrer aus den USA, nachdem der glücklose Logan Sargeant im Sommer bei Williams entlassen worden ist, dafür mit dem Amerikaner Zak Brown als Chef des orangefarbenen Wunders bei McLaren. Und der Haas-Rennstall gilt quasi als die amerikanische Formel-1-Nationalmannschaft, stilecht mit dem Seeadler als Wappentier auf den Seitenkästen der Autos.
Austin ist der glatte Gegenentwurf zu den Rennen von Miami und Las Vegas, wo jüngst ebenfalls Rennen der Königsklasse stattfanden. Es ist eine clevere Positionierung durch den amerikanischen Formel-1-Vermarkter Liberty Media, die drei Veranstaltungen im eigenen Land zu diversifizieren. In Miami zieht es die Next Generation an die Strecke, dort stehen Bartresen direkt an der Boxengasse. In Las Vegas treffen sich all jene, die es in der Wüste von Nevada ohnehin schillern lassen.
Und in Austin sind auch diejenigen Fans willkommen, die mit dem XXL-Wohnmobil direkt bis an die Streckenbegrenzung fahren. Dieser GP der USA profitiert auch vom Publikum aus dem nahen Mexiko. Ein Teil davon lässt sich offenbar auch nicht von drastisch gestiegenen Hotelpreisen abschrecken. Dabei hatte die Formel 1 in den USA noch vor gar nicht langer Zeit glücklose Abenteuer und ein Debakel in Indianapolis erlitten.
Dennoch ist der Grat schmal für den Hollywood-Konzern Liberty Media. Auch wenn sich der Marktwert der Rennserie mittlerweile verfünffacht haben dürfte, steht sie an einem Scheideweg. Noch weiter in Richtung Show zu tendieren, wäre gefährlich. Der Gegenentwurf aus Austin scheint deshalb für einen gelungenen Kompromiss zu stehen.
2016 trat Taylor Swift im Rahmenprogramm auf – die damalige Bestmarke an Zuschauerzahlen dürfte übertroffen werden
Kostspielig ist die Formel 1 in den USA überall. Werden bei den Glitzer-Rennen in Las Vegas bis zu 19 000 Franken teure VIP-Tickets angeboten, kostet der billigste Stehplatz in Austin auch schon gegen 375 Franken – Konzertbesuch allerdings inklusive, womit vielleicht neue Publikumsschichten erschlossen werden. 2016 trat Taylor Swift im Rahmenprogramm auf. Die damalige Bestmarke von 80 000 Konzertbesuchern dürfte diesmal deutlich übertroffen werden.
Die Frage, wo die Formel 1 in den Vereinigten Staaten ihr wahres Zuhause hat, wäre damit beantwortet. Austin überzeugt mit Herz und Hirn. Aber auch andere Geschäftemacher in den USA haben ein Auge auf die Königsklasse geworfen. Zum x-ten Mal bekundet New York sein Interesse, Kalifornien buhlt ebenfalls um einen Platz im Rennkalender. Das macht Austin das Überleben nicht einfacher, der Vertrag läuft im übernächsten Jahr aus. Auf gut 30 Millionen Franken soll sich die Gebühr belaufen, die die Texaner jährlich an die Formel-1-Verantwortlichen zu entrichten haben, um in diesem Zirkus dabei sein zu dürfen.
Für die kommenden Rennen hat sich Austin chic gemacht; die Piste ist neu asphaltiert worden, allein das dürfte an die 18 Millionen Franken gekostet haben. Die Formel 1 wird immer und überall eine Preisfrage bleiben.