Piastri erringt in Saudiarabien den dritten Saisonsieg und übernimmt damit die Führung im WM-Klassement. Max Verstappen akzeptiert seinen neuen Rivalen – wohl auch, weil er Parallelen zum eigenen Werdegang sieht.
Immer dann, wenn sich ein Formel-1-Rennfahrer durch besonders abgebrühte Fahrweise in Kombination mit sehr spärlichen Kommentaren hervortut, scheint der Vergleich mit Kimi Räikkönen unvermeidlich. Vor allem mit dessen Spitznamen, den der Finne wegen seiner Art zu fahren und zu reden verpasst bekommen hatte: der «Iceman».
Seit dem Grossen Preis von Saudiarabien am Ostersonntag besteht kein Zweifel, dass die Königsklasse wieder einen eiskalten Vollstrecker hat. Mit seinem dritten Sieg im fünften Rennen hat Oscar Piastri zum ersten Mal die Führung in der Weltmeisterschaft übernommen, er liegt nun zehn Punkte vor seinem Teamkollegen Lando Norris. Das hat auch einen hohen mentalen Wert: Ein Australier übertrumpft Englands grosse Titelhoffnung in einem zwar von einem Neuseeländer gegründeten, aber sonst zutiefst britischem Rennstall.
Piastri ist der erste australische Leader seit Mark Webber im Jahr 2010
Es ist ein früher Positionswechsel in einer langen Grand-Prix-Saison, doch die Art und Weise, wie Oscar Piastri auf der extrem schnellen Piste in Dschiddah fuhr, deutet schon auf eine langfristige Wachablösung hin. Der Sieger gab in seiner völlig unprätentiösen Art zu Protokoll, dass ihn die Führung in der Gesamtwertung wenig interessiere. Er sehe diese lediglich als Lohn für die harte Arbeit, die das Team und er geleistet hätten: «Darauf bin ich stolz. Mir geht es auch mehr darum, nach 24 Rennen vorn zu liegen, nicht nach fünf.»
Oscar Piastri ist der erste Australier seit Mark Webber in der Saison 2010, der die Formel 1 anführt. Der ehemalige Red-Bull-Pilot Webber, der damals am Saisonende WM-Dritter wurde, ist heute der Mann, der Piastri betreut. Über seinen Schützling sagt er: «Oscar ist sehr methodisch. Und klinisch in dem, was er tut.»
Zu besichtigen war das bereits in der ersten Kurve auf dem Dschiddah Corniche Circuit, in der die Entscheidung fiel. Max Verstappen, der mit einer erneut herausragenden Leistung die Pole-Position errungen hatte, konnte die Führung gegen den gleichauf liegenden Piastri nur dadurch halten, dass er die Kurve abkürzte. Üblicherweise gibt ein Fahrer dann die Position zurück, was der Niederländer verweigerte. Dafür bekam er fünf Strafsekunden, die ihn den Sieg kosteten. Für Verstappen eine zu harsche Entscheidung, die er mit Sicht auf das Kritik-Verbot des Automobilweltverbandes FIA nicht weiter kommentieren wollte.
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⚫️⚫️⚫️⚫️⚫️Lights out! It’s a chaotic start to the Saudi Arabian Grand Prix!! 😲#F1 #SaudiArabianGP pic.twitter.com/VbWKlrLmmt
— Formula 1 (@F1) April 20, 2025
Zu seinem neuen Gegenspieler Piastri, auf den er erstmals in einem so entscheidenden Kampf auf der Strecke getroffen war, äusserte sich der Red-Bull-Pilot aber sehr wohl: «Er geht die Dinge sehr ruhig an, das gefällt mir. Er liefert, wenn er muss, macht kaum Fehler. Und genau das braucht man, wenn man um eine Meisterschaft kämpfen will.» Nicht zu vergessen sei überdies, dass Piastri erst seine dritte Formel-1-Saison überhaupt fahre. Die ungewöhnliche Lobeshymne zeigt, dass der mit Lando Norris befreundete Titelverteidiger den neuen Rivalen akzeptiert. Wohl auch, weil er Parallelen im Werdegang sehen dürfte. Max Verstappen weist auf die Bedeutung des Mentors und Managers Webber hin: «Menschen lernen nicht nur aus ihrer eigenen Karriere, so war es auch bei mir mit meinem Vater.»
Tatsächlich befindet sich Piastri schon nach seinem 51. Grand-Prix-Rennen in jener aussichtsreichen Position, für die ihn der damalige deutsche McLaren-Teamchef Andreas Seidl einst auserkoren und in einem ebenso raffinierten wie gnadenlosen Manöver bei Alpine abgeworben hatte. Die Franzosen stellten das Talent als neuen Fahrer für 2023 vor, dabei hatte er am Stichtag für die Wechselfrist bereits bei den Briten unterschrieben. Die Begründung für den heimlichen Seitenwechsel damals ist typisch für Piastri: Ihm habe bei Alpine einfach die Klarheit gefehlt.
Norris vergibt Podestplatz im Duell mit Hamilton
Die Selbstsicherheit des vor zwei Wochen 24 Jahre alt gewordenen Fahrers aus Melbourne ist manchmal fast beängstigend – vor allem im Vergleich mit dem internen Rivalen Lando Norris. Der ein Jahr ältere Brite benötigte 133 Rennen um wie Piastri fünf Siege zu erreichen. Und er verzweifelte in Dschiddah einmal mehr an sich selbst, als er in der Qualifikation sein Papaya-farbenes Auto in die Mauern lenkte.
Im Rennen schaffte er es zwar von Platz zehn auf vier, den möglichen Podestplatz aber verschenkte er durch zwei Fahrfehler im Duell mit Lewis Hamilton. Nach dem Rennen sagte er: «Oscar zeigt, wie das Auto performen kann. Ich mache mir das Leben selbst schwer.» Piastris Erfolg scheint den sensiblen Norris noch weiter in eine Identitätskrise zu treiben; der Teamchef Andrea Stella sagte, dass der angeschlagene Fahrer zu viele Geräusche im Kopf habe. Piastri hingegen sei in seiner Fahrweise schon sehr reif für einen derart jungen Piloten. Die Psychologie des Miteinanders hat sich bei McLaren rapide verändert – da akzentuiert sich eine neue Rivalität.
Piastris Talent, das er selbst kaum als solches wahrnimmt, ist die enorme Fokussierung unter Druck. Daraus speist sich intuitiv sein Selbstvertrauen, dass er allerdings selten öffentlich zur Schau stellt und das sich am ehesten in Situationen wie dem Rad-an-Rad-Duell mit Verstappen ausdrückt.
Auf der letzten Runde in Saudiarabien, als er längst bequem in Führung lag und der Gegner froh über seinen unerwarteten zweiten Rang war, fuhr der Leader seine schnellste Runde des Rennens. Die Begründung für den nicht notwendigen Schlussspurt: «Ich wollte nur einmal exakt wissen, was in meinem Auto steckt, ohne dass ich ein zu grosses Risiko eingehen muss.»
Zuweilen erscheint es geradezu beängstigend, wie kühl Oscar Piastri im heissesten Rennen des Jahres blieb. Die einstige Sauber-Entdeckung Kimi Räikkönen dürfte sich darin tatsächlich ein Stück weit wiedererkennen.