Mittwoch, Oktober 30

Nach sechzehn Jahren «Anne Will» übernimmt die ehemalige «Tagesthemen»-Moderatorin den begehrten Sendeplatz. Die Gästeauswahl wirft eine Frage auf.

Es ist selten der Fall, dass der CDU-Chef Friedrich Merz sich in einem Fernsehinterview so richtig wohlfühlen darf. Zum Sendestart von «Caren Miosga» war das derart offensichtlich der Fall, dass Merz sein breites Grinsen kaum abstellen konnte. Dem Gesichtsausdruck nach hätte Merz sich auch auf einer Gartenparty im Sauerland befinden können statt in einer Sonntagabendsendung mit Millionenpublikum.

Damit ist die Nachfolgesendung von «Anne Will», die nach sechzehn Jahren den Talk an die ehemalige «Tagesthemen»-Moderatorin Miosga abgab, weit entfernt vom britischen «Hardtalk» der BBC. Der ist bekannt für die zähe Art des Nachfragens, bei dem der Gast im Einzelgespräch Frage um Frage zermürbt wird. In Deutschland kommen Miosgas Talk-Konkurrenten «Lanz» und «Maischberger» aus dem eigenen öffentlichrechtlichen Universum einem derartigen Format am nächsten. Die 54-Jährige versucht es an diesem Abend gar nicht erst.

Unter dem Titel «Merz richtet die CDU neu aus – wird Deutschlands Zukunft konservativ?» empfängt Miosga den Christlichdemokraten in einer Studiokulisse, die mit schweren Vorhängen und Retrostil an «Chez Krömer» und «Roche & Böhmermann» erinnert.

Merz will nicht von «Nazi-Partei» sprechen

Die erste Frage gilt den bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, die Merz als «ermutigendes Zeichen» bezeichnet. Erwartbar drehen sich die nächsten Fragen um die AfD, die in Umfragen jüngst Höchstwerte verzeichnete. Den Begriff «Nazi-Partei», den Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst verwendete, lehnt der CDU-Vorsitzende ab und warnt vor der «Nazi-Keule», auch wenn es in der Partei «richtige Nationalsozialisten» gebe wie etwa Björn Höcke.

Die AfD-Fragen ziehen sich wie Kaugummi durch die Sendung. Statt mit Vertretern der Partei gilt es über die Partei zu reden. Das wirkt irgendwann geradezu eigenartig. Dabei hatte Miosga angekündigt, auch gemässigte AfD-Politiker einzuladen. Wieso nicht zum Auftakt, wenn sie ohnehin Thema sind?

Doch so kann Merz dann ohne grössere Unterbrechungen seine Partei bewerben, Miosga lauscht angeregt. Zur Freude des CDU-Chefs zaubert die Moderatorin während des Einzelgesprächs eine schwarze Tischlampe hervor.

Es sei eine Kaiser-Idell-Leuchte. Eine früher populäre Schreibtischlampe eines Leuchtenherstellers aus dem Hochsauerland. Die Ode an seine Heimatregion bringt Merz wiederum zum Leuchten. Gewöhnlich erfüllen vorbereitete Requisiten vor der Kamera einen Zweck. Kommt nun die Frage, ob in Deutschland bald das Licht ausgeht? Oder kommen eine grüne und eine rote Lampe dazu, um dem potenziellen Kanzlerkandidaten eine Aussage über eine zukünftige Koalition zu entlocken? Nein, nichts dergleichen. Die Lampe ist nur eine Lampe.

Hätte Merkel der neue Grundsatzprogrammentwurf gefallen?

Als Nächstes fragt Miosga Merz, ob der Entwurf des neuen Grundsatzprogramms bedeute, dass man abschliessen wolle «mit der Angela-Merkel-CDU». Der antwortet belustigt: «Den Namen bringen Sie ins Spiel, der hat bei uns keine Rolle gespielt.» Ein Seitenhieb gegen Merz’ langjährige Kontrahentin innerhalb der CDU – die ihn ein ums andere Mal ausbremste –, den die Moderatorin liegen lässt.

Beinahe unangenehm wird es, als die ARD-Moderatorin sich an die Kanzlerfrage tastet. Sicher, sowohl Journalistin als auch Politiker wissen, dass hier nichts Neues zu erwarten ist. Routiniert wiederholen Merz und der CSU-Chef Markus Söder in jedem Interview, dass sie im Spätsommer des Jahres gemeinsam entscheiden würden. Aber was sich in dem Vis-à-vis-Gespräch abspielt, ist dann doch unter der Würde einer Sendung, die in der Vergangenheit als Kanzler-Format galt. Vier Mal fragt Miosga, ob ihr Gegenüber Kanzlerkandidat werde, das Ganze klingt in Teilen so:

Miosga: «Sie werden’s doch eh, Sie können’s doch zugeben.»
Merz: «Das werden wir im Spätsommer 2024 entscheiden.»
Miosga: «Ich versuch es noch einmal. Noch einmal.»
Merz: «Versuchen Sie es. Bleibt erfolglos.»

Eine «Zeit»-Journalistin und ein Soziologe

Nach einer knappen halben Stunde geht es vom Einzelgespräch in die Viererrunde. Die anwesende «Zeit»-Journalistin weist Merz darauf hin, dass es «Aufgabe der CDU sein» werde, eine Antwort auf die AfD zu finden. Der anwesende Soziologe weist Merz darauf hin, dass Deutschland eines der «erfolgreichsten Einwanderungsländer» sei und man diesen Diskurs «stärkermachen» müsse.

An irgendeiner Stelle weiss Merz, dass ihm die Runde nichts mehr anhaben kann. Vielleicht auch schon seit der Schreibtischlampe. Dabei waren die rhetorischen Patzer in der Vergangenheit ein ernsthaftes Problem für den Parteivorsitzenden, der für viel Augenrollen in der Partei sorgte.

Die Redaktion um Caren Miosga hat deshalb eine Art «Best of» der Merz-Aussagen mit dem grössten Empörungspotenzial zusammengeschnitten. Es geht um: «Kleine Paschas», die Bierzeltrede («nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland») und, natürlich, Merz’ Aussage über Asylbewerber und Zahnarztbesuche. Wie auf Knopfdruck gibt die «Zeit»-Journalistin zu Protokoll, dass sie die Aussage über «kleine Paschas» ein «bisschen grenzwertig» finde.

Hölzerne Frage zum Ende der Sendung

Das Unglück der Sendemacher ist vielleicht, dass die von Merz angesprochenen Probleme inzwischen schwerer wiegen als zu der Zeit, als sie gesagt wurden. Dass Kinder mit Migrationshintergrund zum ernsthaften Problem für Lehrerinnen in Schulen geworden sind, lässt sich nicht mehr von der Hand weisen. Dass der stete Asylstrom den Sozialstaat an die Grenzen gebracht hat, ebenfalls nicht.

Miosga wagt einen letzten Versuch, einen spannenden Moment in die Sendung zu bringen, fragt direkt nach dem Zusammenschnitt: «Herr Merz, als ‹Jähzorn› bezeichnet man einen unvermittelt ausbrechenden Zorn gegen eine bestimmte Person oder Sache, auch Affekt genannt. Wenn Sie spüren, dass sich bei Ihnen so ein Affekt einstellt, was tun Sie dann?» Ein Moment wie ein Soufflé, das beim Servieren zusammenfällt.

Kurz danach gibt Miosga ab an ihr altes Format, die «Tagesthemen». Als die Sendezeit rum ist, scheint sie regelrecht erleichtert.

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