Freitag, Oktober 18

An der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse wurde ein kleiner Skandal des vergangenen Sommers aufgefrischt, während die allzu zahlreichen Redner sich in Messe-Metaphern und Selbstlob übten.

Die Frage lautet eigentlich nie, ob es einen kleineren oder grösseren Eklat geben wird an der Frankfurter Buchmesse. Die korrekte Frage lautet stets: Woran stört man sich denn in diesem Jahr? Die Antwort 2024: am Gastland Italien.

«Geht’s noch, Populisten aus Italien einzuladen! Faschisten!», ruft ein Mann an der Eröffnungsfeier in die kurze Stille hinein, bevor Italiens Minister für Kultur, Alessandro Giuli, das Mikrofon ergreift, um seine Begrüssungsworte an die geladenen Gäste zu richten. Bereits im Vorfeld der Messe war Kritik an der Zusammensetzung der offiziellen italienischen Delegation laut geworden.

Saviano und die «Bastarde»

Italien, Sehnsuchtsort der Deutschen schlechthin, war 1988 das allererste Gastland an der Buchmesse in Frankfurt. Nun sind die Italiener mit dem Leitspruch «Verwurzelt in der Zukunft» zurück. Allerdings fehlen auf der Liste der offiziellen Delegation die grossen Namen der kontemporären, kritischen italienischen Literatur. Nicola Lagioia, Paolo Giordano, Antonio Scurati oder Roberto Saviano fahren zwar nach Frankfurt, allerdings auf Einladung des Hanser-Verlags oder der Buchmesse selbst.

Bereits im Juni hatten 41 Autorinnen und Autoren in einem offenen Brief an die Frankfurter Buchmesse und den italienischen Verlegerverband beanstandet, dass Saviano nicht in die offizielle italienische Delegation aufgenommen worden war. Der engagierte Journalist und Schriftsteller, seit seinem Bestseller «Gomorrha» (2006) von der Literaturwelt gefeiert und von der italienischen Mafia gejagt, äussert sich immer wieder regierungskritisch. Vor einem Jahr wurde er deswegen gar zu einer Geldstrafe von 1000 Euro verurteilt. Die Klägerin war Giorgia Meloni höchstpersönlich: Saviano hatte sie und Matteo Salvini in einer Talkshow als «Bastarde» bezeichnet.

Der mit einem Zwischenruf begrüsste Kulturminister Giuli allerdings kann für den italienischen Auftritt nicht allzu viel – er hat sein Amt erst im September übernommen. Sein Vorgänger Gennaro Sangiuliano hatte nach gut zwei Jahren zurücktreten müssen, nachdem seine Affäre mit einer 20 Jahre jüngeren Influencerin bekannt geworden war. Auf den offenen Brief hatte Sangiuliano im Sommer noch mit einem trotzigen «sie diskriminieren uns, nicht wir sie» reagiert.

Italia und Germania

Trifft Italien auf Deutschland, prallen zwei sehr unterschiedliche Lebenseinstellungen aufeinander. «Dolce Vita» auf «Erst die Arbeit, dann das Vergnügen». Oder, wie an diesem Abend: Samtanzug (Giuli) auf Lederjacke (Claudia Roth, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien).

Der ehemalige Journalist und neue «ministro della cultura» Giuli strich den samtenen Dreiteiler glatt und versuchte sich im Brückenschlagen. Er landete dafür beim Werk «Italia und Germania» des Malers Friedrich Overbeck aus dem Jahre 1828, auf dem die als Frauen personifizierten Länder Händchen haltend beieinander sitzen. Auch Goethe schaffte es in Giulis Rede; Goethe würde sich, so Giuli, sicher freuen, dass «sein geliebtes Italien» nun hier in Frankfurt zur Völkerverständigung beitragen könne.

Des Weiteren beschwor Giuli, wie alle seine Vorredner und der kritisierten Einladungsliste seines Landes zum Trotz, die freie Meinungsäusserung. Er nutzte seine Rede aber auch, um die Bedeutung von Grenzen und Nationen zu betonen: Die traditionelle Einladung von Gastländern an die Messe würde zeigen, wie internationaler Austausch mit nationalem Bezug zusammengehe. Anders als seine Vorredner zweifelte Giuli allerdings daran, dass «man in der Literatur eine adäquate Haltung zu den Exzessen unserer Zeit findet».

«Antidemokratische Kräfte» und Metaphern

Giulis Vorrednerin Claudia Roth wandte sich mehrmals betont an die «lieben Demokratinnen und Demokraten» im Publikum. Verwendete sie nicht beide Geschlechterformen, nutzte sie den Glottisschlag, die kurze Pause im Wort, die Platz für alle Geschlechter bietet, und sorgte bei einigen älteren Herren für wiederholtes Kopfschütteln.

Roth lobte ihre eigene Kulturpolitik, besonders den Kulturpass, der jungen Menschen den Zugang zu Literatur und Kunst finanziell erleichtern soll, und kritisierte «antidemokratische Kräfte», die, so habe sie gehört, zuweilen bestimmen wollten, welche Bücher Buchhändler ins Schaufenster legten.

Während die Buchmesse für Roth «ein lebendiges Forum des Dialogs» ist, bezeichnet sie Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef als «alljährlicher Marktplatz des freien Worts» und Hessens Ministerpräsident Boris Rhein als «lebendiger Ort der Freiheit und der gelebten Demokratie». Auch der Messedirektor Juergen Boos hatte eine Messe-Metapher bereit: die Messe als «Plattform für den friedlichen literarischen Diskurs». Boos richtete entsprechend «ein ganz besonderes Benvenuti an unsere Gäste aus Italien».

Die verdammte Gleichgültigkeit

Mit aus dem Abend, an dem mehr vor sich hin als miteinander geredet wurde und eine anregende, kritische Stimme, wie etwa jene von Roberto Saviano, fehlte, nimmt man eine Warnung des hessischen Ministerpräsidenten Rhein: «Wir müssen auf der Hut sein, denn die Geschichte zeigt: Demokratien sterben nicht mit einem Knall, sie siechen dahin. Das Gift dieses Siechtums heisst Gleichgültigkeit. Verdammte Gleichgültigkeit.»

Wie als Bestätigung auf Rheins Warnung wurde denn auch der Zwischenrufer an der Eröffnungsfeier geflissentlich ignoriert. Vom Herrn im samtenen Massanzug ebenso wie vom Rest des Publikums.

Exit mobile version