Dienstag, Februar 25

Der Sender Dazn wirft der Ligue 1 Vertragsbruch vor – und fordert Schadenersatz. Die finanziellen Probleme in Frankreichs Klubfussball sind riesig, für viele Vereine geht es um die Existenz.

Der Präsident von Olympique Marseille zeterte und tobte. «Championnat de merde» und «Corruption» schimpfte Pablo Longoria am Samstag immer wieder im Kabinengang, nachdem seine Mannschaft gegen AJ Auxerre 0:3 verloren hatte.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Am Mittwoch wird ihn die Disziplinarkommission der französischen Fussballliga (LFP) vernehmen und wohl für längere Zeit sperren. Der denkwürdige Ausbruch in Spanisch angehauchtem Französisch dürfte in den Annalen der Ligue einen Ehrenplatz bekommen.

Longorias Wutrede steht allerdings auch für einen konkreten Moment – sie zeigt, wie angespannt die Nerven im französischen Klubfussball derzeit sind. Und das liegt nicht nur an den Schiedsrichtern, denen Longoria systematische Benachteiligung seines Vereins vorwarf. Sondern auch an dem Sender, der den Wutanfall aufzeichnete und verbreitete: Dazn, der TV-Rechteinhaber für acht der neun Ligapartien an jedem Spieltag.

« CORRUPTION » 😤 Les images complètes du CRAQUAGE de Pablo LONGORIA contre l’arbitrage

Die Liga muss einigen Klubs aushelfen

Nachdem die Streaming-Plattform von der für Februar fälligen Rate von 70 Millionen Euro nur die Hälfte überwiesen hatte, spitzte sich die latente Finanzkrise des französischen Klubfussballs zu einer existenziellen Bedrohung zu. Die Liga leitete als Reaktion auf die ausbleibenden 35 Millionen ein Eilverfahren vor dem Pariser Handelsgericht ein. Am Freitag will das Gericht eine Entscheidung bekanntgeben; einstweilen musste die Liga einigen Vereinen mit Zahlungen aus einem Notfonds aushelfen.

«Einige Klubs in der Ligue 1 und der Ligue 2 stecken in grossen Schwierigkeiten», sagte Philippe Diallo, der Präsident des französischen Fussballverbands (FFF). Es sei nicht auszuschliessen, dass manche den Spielbetrieb zum Saisonende einstellen müssten, «vielleicht schon vorher». Für den März plant Diallo eine Krisensitzung mit der LFP, der Fussball-Finanzaufsicht (DNCG) und dem an der Liga beteiligten Investmentfonds CVC. Die strauchelnde Liga unter die Obhut des Verbands zu stellen, wie es einige fordern, lehnt Diallo allerdings ab. Der FFF subventioniert den Klubfussball schon jetzt, indem sie die Kosten für die Schiedsrichter in Höhe von zehn Millionen Euro pro Saison übernimmt.

Prognosen der DNCG sagen den Vereinen für die laufende Saison addierte Verluste von 1,2 Milliarden Euro voraus. Mit Olympique Lyon ist ein Spitzenklub bereits im November provisorisch zum Zwangsabstieg verurteilt worden; der amerikanische Eigentümer John Textor ist gleichwohl davon überzeugt, die Relegation noch abwenden zu können.

Abgesehen vom Branchenprimus Paris Saint-Germain hängen fast sämtliche Klubs an den seit Jahren rückläufigen Einnahmen aus den Fernsehrechten. Knapp 500 Millionen Euro pro Saison generiert die LFP noch aus den nationalen TV-Rechten, das ist deutlich weniger als die anderen grossen Ligen. Und auch das nur deshalb, weil Dazn kurz vor Saisonstart mit knapp 400 Millionen Euro pro Saison einstieg. Zur Refinanzierung visierte das Unternehmen den Verkauf von 1,5 Millionen Abonnements an; zurzeit steht das Unternehmen bei rund 500 000.

Brice Daumin, der Dazn-CEO für Frankreich und die Schweiz, bezeichnete das Einbehalten der 35 Millionen vor diesem Hintergrund als einen bewussten «Elektroschock». Dazn beklagt, dass die LFP ihren Vertragsverpflichtungen nicht nachkomme. Insbesondere gehe der Verband nicht gegen Piraterie vor und beschädige damit den Wert der TV-Rechte. Tatsächlich sollen in Frankreich bis zu 30 Prozent der Fans die Partien über illegale Kanäle schauen. Ausserdem, so Dazn, würden sich manche Klubs den abgesprochenen Marketingaktionen verweigern.

Potenziell noch schwerer wiegt allerdings ein weiterer Vorwurf: Die Liga habe den Sender bei den Verhandlungen im Sommer mit übertriebenen Angaben zu den Abonnements und der Reichweite in der Vergangenheit bewusst getäuscht. Zur Untermauerung seiner Frustrationen reichte Dazn Schadenersatzforderungen in Höhe von 573 Millionen Euro hinterher. Der Sender besitzt allerdings ohnehin das Recht zur Vertragsauflösung, sollte er bis im Dezember 2025 nicht die angestrebten Abo-Zahlen erreichen.

Erst dann könnte die Liga wieder mit anderen Anbietern verhandeln. Jüngst ist immer wieder die Option eines eigenen Kanals in Kooperation mit Discovery diskutiert worden. Fast alle anderen Optionen hat sich der Verband bei den häufigen Partnerwechseln in den vergangenen Jahren bereits verspielt. Selbst der katarische Sender BeIn Sports, dessen Chef Nasser al-Khelaifi auch PSG präsidiert, kaufte im Sommer bloss aus Solidarität die Rechte für die verbliebene Ligapartie pro Spieltag.

Saudiarabien rettete die Klub-WM – für die Ligue 1 ist kein Befreiungsschlag in Sicht

Die Franzosen sind an Dauerfussball im TV von jeher weniger interessiert als andere Europäer. Die Vorhersehbarkeit der Ligue 1 mit dem Serienmeister PSG hat ihr Interesse nicht eben gefördert. Als Ursünde gilt Kritikern überdies, dass der Verband den traditionellen Partner Canal+ vergrault hat. Frankreichs etablierter Pay-TV-Channel konzentriert sich mit seinen hochwertigen Übertragungen mittlerweile auf die Übertragungen der Europacup-Spiele. Dazn erreicht qualitativ nicht annähernd das Niveau von Canal+.

Dennoch hat die Streaming-Plattform im Fussball immer wieder optimistische Investitionen getätigt. Unlängst rettete sie die Klub-WM des Weltfussballverbands (Fifa), indem sie kurz vor der Auslosung im Dezember für eine Milliarde Dollar die globalen Fernsehrechte für das Turnier erwarb. Das neue Format des Wettbewerbs, ein Lieblingskind des Fifa-Präsidenten Gianni Infantino, wäre sonst wohl gescheitert, weil die üppigen Startgagen für die europäischen Klubs nicht zu bezahlen gewesen wären. Vor kurzem wurde nun bestätigt, worüber schon damals spekuliert worden war: Der Investmentfonds Surj aus Infantinos bevorzugtem Partnerland Saudiarabien steigt als Anteilhaber bei Dazn ein – für eine Milliarde Dollar. So gehen Geschäfte über drei Banden.

Für die Ligue 1 ist hingegen kein vergleichbarer Befreiungsschlag in Sicht. Und so dürften die Nerven weiterhin blank liegen. Marseilles Präsident Longoria kann auf der Strafbank gleich neben seinem Sportdirektor Medhi Benatia Platz nehmen. Der sitzt nach der Konfrontation mit einem Unparteiischen zurzeit eine dreimonatige Sperre ab.

Exit mobile version