Rentenalter mit 60 Jahren, Preisbindungen für Nahrungsmittel und ein höherer Mindestlohn. Kann die neu vereinte französische Linke mit so einem Programm den Sieg der extremen Rechten vereiteln?

In Frankreich geht es im Moment Schlag auf Schlag. Das Rassemblement national (RN) führt nach dem überragenden Sieg an den Europawahlen auch die französischen Umfragen für die Neuwahlen in zwei Wochen an. Bis zu 35 Prozent der Stimmen könnten an die extreme Rechte gehen. Das RN wäre dann bei der Besetzung des Premierministeramts und weiterer Ministerposten nicht mehr zu ignorieren.

Dies ist ein Szenario, das den Linken in Frankreich offensichtlich einen so grossen Schrecken einjagt, dass sie sich in Windeseile zusammengerauft haben. Bis vor kurzem gingen sich die Parteien links der Mitte, trotz gemeinsamer Koalition im Parlament, eher aus dem Weg. Die Europawahlen haben die Parteien nicht im Listenverbund bestritten, sondern einzeln, was sie Stimmen kostete.

Der Grund dafür waren vor allem unterschiedliche aussenpolitische Positionen. Die Parti socialiste (PS) goutierte es nicht, dass Abgeordnete von La France insoumise (LFI) den Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel verharmlosten. Auch Wladimir Putin und die EU-Politik sieht die extreme Linke durch eine andere Brille.

Vier Nächte lang verhandelt

Aber das ist Vergangenheit. Seit Montag, heisst es, hätten die PS, LFI, die Grünen und die Kommunisten vier Nächte lang verhandelt. Am Freitag dann stellte der Nouveau Front populaire, die Neue Volksfront, wie sich das Bündnis nun nennt, ein Programm mit 150 Seiten vor. Zur Aussenpolitik haben die Parteien offenbar einen Mittelweg gefunden. Die Hamas wird als «terroristische» Organisation verurteilt. Und alle sehen nun die «die Notwendigkeit, die Ukraine und den Frieden auf dem europäischen Kontinent zu verteidigen».

Innenpolitisch ist das Programm so detailliert, so links und so populistisch, dass Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire seiner Empörung über so viel Realitätsverlust im Fernsehen freien Lauf liess. Er sprach von «Augenwischerei», gar von «Lügen».

Die Neue Volksfront will unter anderem das Rentenalter auf 60 Jahre herabsetzen, die Reform der Arbeitslosenversicherung stoppen und den Mindestlohn von 1400 auf 1600 Euro netto erhöhen. Dazu will sie die Preise für Nahrungsmittel und Energie einfrieren und die Löhne automatisch an die Inflation anpassen.

Dies alles vermittelt den Eindruck, als hätte das linke Parteienbündnis nicht mitbekommen, wie es um den französischen Staatshaushalt steht. Gerade weil die Zahlen tiefrot sind, wurden die Reformen notwendig. Erst vor einem Jahr hat die Regierung das Rentenalter trotz breiten Protesten auf 64 Jahre angehoben.

Als «schlicht nicht finanzierbar» bezeichnete Le Maire die Forderungen und sagte warnend: Es komme ihm vor, als wolle die Linke zurück ins Jahr 1981, als François Mitterrand die Wahlen mit einem Wirtschaftsprogramm gewann, das die Marktkräfte auszuhebeln versuchte. Das ging furchtbar schief. Und dieses Programm jetzt, so Le Maire, sei «1981 hoch zehn». Die Wirtschaft drohe zu kollabieren, mit Massenarbeitslosigkeit sei zu rechnen. Das alles sei ein Wahnsinn.

Macron in Bedrängnis von links und rechts

«Rupture», Bruch, nennt die Neue Volksfront ihr Programm. Die wirtschaftsfreundliche Politik von Macron soll rückgängig gemacht werden. Die vereinigte Linke will nun in sämtlichen 577 Wahlkreisen gemeinsame Kandidaten aufstellen. Damit könnte sie es schaffen, einen soliden Block von 30 Prozent der Sitze oder gar mehr zu holen.

Die Architekten der Neuen Volksfront betonen, dass der Zusammenschluss weit über das Politische hinausgehe. Die Gewerkschaften seien dabei, Künstler, Intellektuelle, alle, die «gegen Rassismus und Antisemitismus in den Kampf ziehen» wollten. Für Samstag sind grosse Demonstrationen gegen die extreme Rechte in Paris und weiteren französischen Städten geplant.

Das Rassemblement national könnte eine Mehrheit der Sitze gewinnen

Wahlabsicht der Befragten einer repräsentativen Umfrage vom 12. Juni

Rassemblement national

31%

+12.3

L’alliance des partis de gauche et écologistes – Ex-Nupes (LFI, EELV, PS, PCF)

28%

+2.3

Les Républicains

6.5%

−4.8

Divers gauche (Dissidenten der Nupes)

5%

+1.9

Für den Präsidenten bedeutet die Neue Volksfront, dass sein Mitte-Bündnis nun nicht nur von rechts, sondern auch von links stark bedrängt wird. Damit hat er wohl nicht gerechnet, sondern eher damit, dass eine zerstrittene Linke ihm bei den Neuwahlen nützt.

Auch im rechten Lager schwimmen Macron die Felle davon. Die Républicains (LR) sind gerade daran, sich selber zu zerfleischen, nachdem der Parteipräsident Éric Ciotti ohne Absprache mit den anderen Mitgliedern der Parteileitung ein Wahlbündnis mit dem RN verkündet hat. Darauf hat die Partei Ciotti kurzerhand abgesetzt und aus LR ausgeschlossen. Ciotti bezeichnete den Schritt als «illegal» und wandte sich an ein Pariser Gericht.

Dieses entschied am Freitagabend in einem Schnellverfahren, dass der Ausschluss von Ciotti rechtlich nicht legitim war. Die Querelen innerhalb von LR gehen also eine Runde weiter.

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