Freitag, Oktober 18

Sie bereist die Welt, datet und schreibt darüber. Gerade bei jungen Frauen kommt Yvonne Eisenring damit an. Der Podcast der Zürcherin ist an der Spitze der Charts, ihr Buch ebenfalls. Warum?

19 Uhr an einem Mittwochabend. Kaum gehen die Türen des Clubs Kaufleuten in Zürich auf, strömen sie herein: junge Frauen, überwiegend zwischen 25 und 35, Hunderte von ihnen. Aufgeregt reden sie miteinander, schauen neugierig im Saal herum. Dann eilen sie mit grossen Schritten zu den ersten Reihen, um sich die besten Plätze zu sichern.

Und das, obwohl es noch eine Stunde dauert, bis Yvonne Eisenring unter tosendem Applaus die Bühne betreten wird, um aus ihrem Buch «Life Rebel» – zu Deutsch: «Lebensrebellin» – vorzulesen.

Lifestyle Rebellion

Noch ist es nicht so weit. Zuerst wird hinter der Bühne angestossen, mit Prosecco, wie es sich gehört. Eisenrings Schwester und Managerin Corinne Eisenring, ihre Freundin und die Moderatorin des Abends, Gülsha Adilji, sowie die Lektorin des Buchverlags sind da. Die Gläser klirren, Eisenring nimmt einen Schluck. Dann wechselt sie von einem blauen zu einem grünen Overall und putzt sich die Zähne. «Ein Ritual», sagt sie. «Die Frische macht mich ready.»

Das Gemurmel im Saal wird lauter. Alle 500 Plätze sind jetzt besetzt.

Aufgeregt?

«Nein», sagt Eisenring. «Aber schon krass, dass es ausverkauft ist.» Vor allem, wenn sie an eine ihrer ersten Lesungen vor zehn Jahren zurückdenke: Sieben Gäste seien gekommen – zwei von ihnen hätten die Tickets geschenkt bekommen, eine Person sei ihre Mutter gewesen.

Heute in Zürich hat sie ein Heimspiel. Hier ist Yvonne Eisenring allgegenwärtig – gerade bei jungen Frauen. Der Podcast «Zivadiliring» mit Maja Zivadinovic und Gülsha Adilji ist weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und gewann letztes Jahr einen Suisse Podcast Award. Die Bargespräche «Wahrheit, Wein und Eisenring», ebenfalls ein Podcast, starten bald in die sechste Staffel, und zwei ihrer Bücher waren jeweils während elf und dreizehn Wochen in den Top 20 der Schweizer Bestsellerlisten für Romane und Sachbücher.

Ihre Bücher sind eine Mischung aus Unterhaltung, Lifestyle-Beratung und scharfen Beobachtungen über das Leben als selbstbestimmte Frau.

Eisenrings Arbeit entspringt dem Persönlichen, das Produkt ist sie selbst.

Das gilt auch für ihr neustes Buch «Life Rebel», das Anfang April erschienen ist und sofort an die Spitze der Sachbücher-Bestsellerliste schoss, wo es sich sechs Wochen lang hielt. Gerade wurde die vierte Auflage gedruckt.

Das Buch handelt von Eisenrings letzten sechs Jahren. Alles beginnt am Tag vor ihrem dreissigsten Geburtstag, als ihr Leben in sich zusammenfällt. Job weg, Wohnung weg, Freund weg. Ein «gescheiterter Plan», so heisst es im Klappentext. Eisenring krempelt ihr Leben um. Sie zieht von Zürich nach Paris, Berlin, Mexico-City, Buenos Aires, New York. Dort sucht sie nach dem, «was wirklich zählt».

Das wirkt manchmal klischeehaft, vielleicht sogar oberflächlich. Doch Eisenrings Bücher und Podcasts finden Anklang. Ihre Live-Shows sind innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Auf Instagram folgen ihr fast 18 000 Menschen.

Yvonne Eisenring macht aus Lifestyle Rebellion – wie kann das funktionieren?

Eine neue Stadt gegen das Rauschen von aussen

1987 geboren, wächst Eisenring mit ihrer Schwester und ihren Eltern in Dietikon auf. Sie besucht das Gymnasium und beginnt mit 20 Jahren als Videojournalistin bei Tele Züri. Schon wenig später wird Eisenring als die Moderatorin mit der roten Lockenpracht bekannt.

Ganz so mühelos, wie es von aussen schien, war es aber nicht, erinnert sie sich: «Ich habe viel gearbeitet, immer abgeliefert und wurde trotzdem von einem Arbeitskollegen ermahnt, devoter zu sein.» Als junge Frau im männlichen Redaktionsteam habe sie untendurch gemusst. Um grösser zu wirken, trug sie in dieser Zeit hochhackige Schuhe. «Wäre ich ein Mann, wäre es vermutlich weniger hart gewesen.»

Eisenring beginnt zu schreiben: Kolumnen, Essays, Reportagen, Bücher. Ihre Texte werden vom Swiss Press Award mehrfach gelobt und prämiert. 2013 wird sie vom Magazin «Schweizer Journalist» zur «Newcomerin des Jahres» gewählt, zehn Jahre später kürt «Gesichter & Geschichten» sie zur «Durchstarterin» des Jahres 2023.

Heute ist Yvonne Eisenring 36 und führt, wie sie sagt, ein für Schweizer Verhältnisse unkonventionelles Leben: Als Autorin, Podcasterin, TV-Host, Dramatikerin, Drehbuchautorin und «digitale Nomadin» lebt sie die Hälfte des Jahres in Zürich, die andere Hälfte in Paris und New York. Manchmal auch ganz woanders.

Das Weggehen helfe ihr, ihre innere Stimme besser zu hören, sagt sie. «Am Anfang, in einer neuen Stadt, ist man auf sich allein gestellt. Es passiert wenig, das Rauschen von aussen ist sehr leise. Dann bin ich mir so nah wie sonst nie.»

Unverbindliches Herumreisen als Selbstverwirklichung?

«Nein», sagt Eisenring. «Ich sehe mich nicht als Herumreisende.» Sie sei immer länger, meist mehrere Monate an einem Ort. «Dass ich mein Leben nicht nach Familiengründung, Karriere und Eigenheim ausrichte, kann man als Rebellion gegen gesellschaftliche Konventionen sehen.» Im Vordergrund stehe aber nicht das Reisen, sondern die Auseinandersetzung mit dem, wofür sie ihre Lebenszeit nutze.

Das wertvollste Gut

Kurz nach 20 Uhr, die Lesung im Zürcher Kaufleuten beginnt. Die Moderatorin Gülsha Adilji begrüsst das Publikum, dann dröhnt «Come on Over Baby» von Christina Aguilera durch die Lautsprecher, und Eisenring tänzelt auf die Bühne. Das Publikum jubelt und klatscht, als wäre das hier ein Konzert.

Eisenring legt gleich los. Sie spricht über die Trennung von ihrem damaligen Freund. Darüber, dass sie schon viel früher hätte gehen sollen, es aber wegen ihres «fast unzerstörbaren Optimismus» nicht konnte. Und wie sie begann, ihre Lebensweise zu hinterfragen.

Auf der grossen Leinwand im Hintergrund erscheinen Familienfotos.

Dann schlägt Eisenring das Buch auf und liest: «Seite 31, ‹Das wertvollste Gut›». Sie erzählt von ihren Eltern, beide Lehrpersonen, wie sie sich kennenlernen und später ihr Arbeitspensum auf je 50 Prozent reduzieren, um ihre Kinder grosszuziehen. Und wie ihr Vater plötzlich stirbt. An einem Herzinfarkt, am ersten Tag der Sommerferien. Eisenring ist damals 14 Jahre alt.

«Ich habe dieses Leben, und das kann in Sekunden vorbei sein», sagt Eisenring. Die Zeit, die ein Mensch habe, sei das Wertvollste, was es gebe. Sie wiederholt diesen Satz immer wieder.

Sie frage sich oft, für was sie ihre Zeit einsetzen wolle. In ihrem Fall bedeutet das: erst ab 12 Uhr mittags arbeiten, neue Orte entdecken, ihr Privatleben – zum Beispiel ihren wöchentlichen Tag mit ihrem Neffen – dem Berufsleben vorziehen.

Darüber, ob eine Sache scheitern könnte, macht sich Eisenring wenig Gedanken. Auch nicht, was in zwei Jahren sein wird. Das erklärt vielleicht, warum sie keine dritte Säule hat.

Subtile Feministin

Etwas fällt im Gespräch mit Eisenring immer wieder auf: Ihre Sätze klingen offen, ehrlich, und doch so, als seien sie schon viele Male gesagt worden.

«Als öffentliche Person gibt Yvonne vieles preis, behält aber bewusst gewisse Themen privat», sagt Alexander Wenger, ein ehemaliger Mitbewohner und enger Freund von Eisenring. «Sie ist natürlich facettenreich. Aber das, was man von ihr sieht, ist Yvonne.»

Eisenring zieht klare Grenzen: «Nur weil ich gewisse Dinge erzähle, muss ich nicht alles preisgeben.» In ihrer Sendung «SRF Unlocked» stöbert sie zum Beispiel in den Handys fremder Leute herum – ihr eigenes würde sie dafür aber nie hergeben, wie sie einmal in einem TV-Interview sagte.

Auch Kommentare zum Weltgeschehen oder zu nationaler Politik lässt sie mehrheitlich aus. Stattdessen kreist sie immer wieder um ähnliche Themen: persönliche Krisen, alltägliches Chaos, Sinnsuche als Frau, Sex, Geld und der Tod.

Damit trifft Yvonne Eisenring einen Nerv. Sie ist nahbar, schreibt ohne Tiefgang, aber in lockerer und leichter Sprache. Eisenring spricht aus, was viele ihrer weiblichen Fans denken: dass auch sie etwas von jenem Leben nach dem Lustprinzip wollen, das lange den Männern vorbehalten war. Sie bietet ihnen eine Projektionsfläche, auf der sie sich wiedererkennen und bestätigt fühlen können.

Anstatt einen moralischen Zeigefinger vor die Nase gehalten zu bekommen, fühlt es sich an, als würde einem jemand freundlich auf die Schulter klopfen und sagen: «Es kommt schon gut.»

«Gerade als Frau sollte man bei Ablehnung und Niederlagen nicht an sich selbst zweifeln», sagt Eisenring.

«Es ist, als ob man sich mit einer Freundin unterhält, die man schon lange kennt», sagt eine junge Frau, die im Kaufleuten im Publikum sitzt.

Für Eisenring eine Bestätigung. Sie sagt: «Ich hätte mir mit dreissig ein Buch wie meines gewünscht.»

Ein Buch, das die Sehnsucht triggert. Wie ihr guter Freund Wenger es ausdrückt: «Yvonne lebt ein selbstbestimmtes Leben und lässt sich nicht von Erwartungen der Gesellschaft an Frauen beirren. Sie reist in der Welt umher und arbeitet so viel, wie es für sie stimmt.»

Kurz: Sie sagt nein und entschuldigt sich nicht dafür. Und kommt vielleicht gerade darum bei ihren Fans gut an.

Die richtige Balance

Zurück im Kaufleuten ist die Show fast vorbei. Wenige Minuten noch, dann ist Schluss. Bis dahin beantworten Eisenring und die Moderatorin Gülsha Adilji noch Fragen aus dem Publikum, wie sie es auch in ihrem gemeinsamen Podcast am Ende jeder Folge tun.

Vor ihnen auf der Bühne steht eine Vase mit kleinen, weissen Zetteln. Adilji holt einen heraus, faltet ihn auf und liest vor: «Bist du glücklich?». Eisenring hält kurz inne, bevor sie antwortet, schaut nach oben, als verstecke sich die richtige Antwort irgendwo in den roten Samtvorhängen. «Ich werde oft gefragt, ob ich angekommen bin. Aber ich glaube nicht ans Ankommen», sagt Eisenring. Für sie habe das Leben kein fixes Ziel. Sie sei froh über ihre Familie, ihre Freunde, ihre Arbeit.

«Also ja», sagt sie, «ich bin glücklich.»

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