Dominic Rohner ist Ökonom und Konfliktforscher. Er glaubt, eine Formel für den Frieden gefunden zu haben.
Es herrschen kriegerische Zeiten. In Europa tobt – nur drei Flugstunden östlich von Zürich – ein opferreicher Abnützungskrieg zwischen der Ukraine und Russland. In Nahost ist man von einem Frieden zwischen Israel und seinen vielen Feinden weit entfernt. Und in Fernost rasselt ein expansionistisches China mit dem Säbel und macht klar, dass es durchaus gewillt ist, seinen Anspruch auf Taiwan durchzusetzen – notfalls auch mit militärischer Gewalt.
Ein pazifistischer Dreiklang
Ein dauerhafter Frieden oder gar ein Endpunkt der Geschichte, wie ihn einige Zeitgenossen nach dem Ende des Kalten Krieges erhofft hatten, zeichnet sich nirgendwo ab. Vielmehr diagnostizieren Historiker wie Niall Ferguson einen neuen kalten Krieg. Wer in diesem Krieg die Kontrahenten sind, wo die Frontlinien verlaufen und welche Waffen zum Einsatz kommen, ist weit unübersichtlicher und verworrener als zu Zeiten der bipolaren Nachkriegsordnung.
Einige Dinge bleiben aber gleich. Weiterhin spielt die Wirtschaft beim Ausbruch oder bei der Verfestigung von Kriegen eine wichtige Rolle. Wobei das Ökonomische oft nicht nur die Ursache von Konflikten ist. Es kann auch den Schlüssel liefern, um Kriege zu verhindern oder zu beenden. Davon zeigt sich Dominic Rohner überzeugt. Er ist Ökonom an der Universität Lausanne und am Geneva Graduate Institute und beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Krieg und Frieden.
Rohner glaubt, eine Friedensformel gefunden zu haben. «Es ist eine Formel, welche die wichtigsten Faktoren für Frieden in einer Region enthält», sagt Rohner. Sein jüngstes Buch trägt daher den Titel «The Peace Formula». Es stützt sich auf den neusten Stand der empirischen Forschung zu Krieg und Frieden. Die hauptsächlich verwendeten Studien erlauben es dabei, Kausalitäten von Korrelationen zu trennen. Sie zeigen also, was tatsächlich die Ursachen sind für politische Gewalt.
Nach der Analyse von mehreren hundert Studien kommt Rohner zu folgendem Schluss: Es sind vor allem drei Elemente, welche die Chancen auf Frieden und Stabilität erhöhen, nämlich Demokratie, Arbeit und Sicherheit.
1. Demokratie
Demokratie ist zwar keine hinreichende Bedingung für Frieden. Doch ohne Möglichkeit zur Mitsprache kann Frieden langfristig nicht gedeihen. Das Problem: Um die Demokratie steht es derzeit nicht gut, sie befindet sich auf dem Rückzug. Nur 46 Prozent der Weltbevölkerung lebten 2023 in Demokratien, wie der EIU-Demokratie-Index zeigt, wobei bloss 8 Prozent in «vollständigen Demokratien» ansässig sind. 39 Prozent lebten hingegen in autoritären und 20 Prozent in hybriden, also halbautoritären Staatssystemen.
Rohner sagt: «Eine faire Repräsentation der gesamten Bevölkerung verringert den Spielraum für Konflikte zwischen Gruppen, etwa entlang ethnischer, sprachlicher oder religiöser Linien.» Denn in Demokratien müssen Regierungen berücksichtigen, was die Leute wollen, da sie sonst abgewählt werden. Und wenn die Interessen der Bevölkerung in der Politik gehört werden, gibt es weniger Grund für Revolten. «Machtteilung ist daher ein fundamentaler Faktor für den Frieden.»
Aus der Geschichte weiss man: Demokratien ziehen nur selten gegen andere Demokratien in den Krieg. Ein wichtiger Grund dafür: In einer Demokratie müssen in aller Regel auch die Söhne der Politikerinnen und Politiker in den Krieg ziehen. In autoritären Regimen hingegen werden oft Soldaten aus gesellschaftlichen Randgruppen an die Front geschickt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Machtelite autoritärer Staaten eigene Kinder als Kriegsopfer zu Grabe tragen muss, ist entsprechend kleiner.
Das hat Folgen, wie eine Studie zum Stimmverhalten amerikanischer Parlamentarier in Kriegen mit einer Generalmobilmachung zeigt. In allen vier entsprechenden Kriegen des 20. Jahrhunderts stimmten Parlamentarier, die Söhne im wehrfähigen Alter hatten, viel friedfertiger als Parlamentarier, die keine Söhne, jedoch Töchter im gleichen Alter hatten. «Das zeigt, dass Politiker weniger kriegsbereit sind, wenn sie die gleichen Kosten tragen müssen wie ihre Mitbürger», folgert Rohner.
2. Arbeit
Neben Demokratie braucht es für Frieden eine ökonomische Perspektive. Sie sorgt dafür, dass Menschen ein Auskommen finden. Idealerweise besteht diese Perspektive aus einem produktiven und gewaltfreien Job. «Denn mit Ausnahme einiger weniger Sadisten, die Spass an Gewalt und Mord haben, entscheiden sich die meisten Menschen für ein ruhiges, gesetzestreues Leben, wenn sie die Möglichkeit dazu haben», sagt Rohner. Doch wenn die Möglichkeit fehlt, ist der Kriegsdienst oft der einzige Weg, um ein Einkommen zu erzielen.
Dass Warlords in armen Ländern oft wenig Probleme haben, Soldaten für Bürgerkriege zu rekrutieren, hat gemäss Rohner in erster Linie damit zu tun, dass diese Leute im zivilen Leben kaum eine Alternative haben, um an Geld zu kommen. Ein Land in Armut und Misswirtschaft sei daher auch ein Land mit einer grossen Reservearmee für Rebellenführer. «Wenn Leute hingegen einen guten Job haben, haben sie wenig Anreiz, mit einer Kalaschnikow herumzurennen und gefährliche Dinge zu tun.»
Die wirtschaftliche Konsequenz: Jede Investition, die die Produktivität eines Landes steigert und mehr Jobs schafft, ist eine Investition in den Frieden. Dazu braucht es aber Geld. Gemäss Rohner ist es die Aufgabe reicher Demokratien, dieses verfügbar zu machen. «Einem Staat zu helfen, auf die Beine zu kommen, seine Institutionen zu stärken und den Wohlstand zu fördern, ist eine gute Investition, sowohl aus moralischen Gründen als auch zur Förderung des weltweiten Friedens», sagt Rohner.
3. Sicherheit
Doch selbst sehr viel Geld für staatliche Institutionen, etwa Schulen, Spitäler und Strassen, nützt wenig, wenn das wichtigste Bedürfnis des Menschen unbefriedigt ist, jenes nach Sicherheit. Rohner macht ein Beispiel: «Man kann das beste Bildungsprogramm haben. Doch wenn die Eltern Angst haben, dass die Kinder in der Schule bombardiert werden, werden sie ihre Söhne und Töchter nicht in die Schule schicken.»
Jeder Friedensprozess bedinge daher Sicherheitsgarantien. «Kein Milizenchef legt seine Waffe nieder, wenn er damit rechnen muss, dass dies der letzte Entscheid seines Leben war.» Idealerweise bietet der Staat solche Garantien an, dank seinem Gewaltmonopol. Ist der Staat hierzu aber zu schwach, wird das Vakuum rasch aufgefüllt, etwa durch Warlords, Rebellen und organisierte Verbrechersyndikate wie die Mafia. Beispiele dazu liefern das historische Sizilien und das heutige Somalia.
Kann auch die Staatengemeinschaft dieses Vakuum füllen? Ja, meint Rohner, und zwar mit Uno-Blauhelmtruppen. Er zitiert Studien, die zeigen, dass solche Truppen nach einem Konflikt nicht nur den Ausbruch künftiger Feindseligkeiten zu verhindern helfen. Deren Präsenz helfe auch, während eines Krieges Menschenleben zu retten. «Bei grosser Unsicherheit und endemischer Gewalt sorgen die Uno-Truppen für Sicherheit und Stabilität, damit die Menschen wieder ihren Geschäften nachgehen können und der Staat seine Kernaufgaben erfüllen kann.»
Die grössten Irrtümer
Zu den Erkenntnissen der ökonomischen Friedensforschung gehört aber nicht nur, dass Demokratie, Arbeit und Sicherheit den Frieden fördern. Eine Lehre ist auch, dass es eine Vielzahl von Missverständnissen gibt, die der Friedenssuche im Weg stehen. Besonders hartnäckige Irrtümer sind laut Rohner die folgenden:
- Frieden lässt sich kaufen. Zwar helfen Investitionen in Bildung und Produktivität, den Frieden zu stärken. Geldzahlungen zur freien Verfügung können in instabilen Staaten aber das Gegenteil bewirken. Solche Mittel versanden oder schüren Konflikte, weil sich diverse Gruppen um das Geld reissen. So zeigt eine Studie, dass die amerikanische Nahrungsmittelhilfe das Risiko von Kämpfen in den begünstigten Regionen eher erhöht als verringert hat.
- Reichtum führt zu Frieden. Wohlstand liefert der Bevölkerung zwar Perspektiven und fördert grundsätzlich Frieden. Anders sieht es aber aus, wenn es um einen Reichtum an Ölfeldern und anderen Rohstoffen geht. Der Kampf um die Kontrolle solcher Ressourcen ist eine wichtige Quelle von Konflikten. Die Streitereien führen dazu, dass viele rohstoffreiche Länder nicht annähernd so reich sind, wie sie aufgrund ihres Ressourcenreichtums eigentlich sein müssten.
- Schnelle Lösungen sind gute Lösungen. Die Unterstützung von Despoten im Austausch gegen kurzfristigen Einfluss, etwa aus wahlpolitischen Gründen, wirkt oft kontraproduktiv. So empfindet es die Bevölkerung als Heuchelei, wenn Demokratien im Ausland korrupte Regime stützen. Eine Studie zeigt, dass US-Militärhilfe für zweifelhafte Regime zu mehr statt weniger Terroranschlägen aus den begünstigten Ländern gegen die USA geführt hat.
Bleibt die Frage: Wenn die Formel für den Frieden auf dem Tisch liegt, warum kommt sie nicht zum Einsatz? Rohner sagt: «Die Förderung des Friedens ist ein langfristiges Unterfangen und erfordert massive Investitionen.» Nach dem Zweiten Weltkrieg sei es den Alliierten zwar gelungen, Deutschland, Japan und Italien in Demokratien zu wandeln. Und zur Verhinderung eines Dritten Weltkriegs sei man damals über viele Jahre hinweg bereit gewesen, Milliarden in ehemalige Gegner zu pumpen. Heute aber scheine diese Bereitschaft zu schwinden.
«Ausserdem ist die Amtszeit demokratischer Politiker auf etwa vier Jahre begrenzt, so dass die Anreize für kurzfristige Projekte stärker sind als jene für langfristige Investitionen, von denen erst die nachfolgenden Politiker profitieren», so Rohner. Zwar sind die Anreize für Autokraten noch schlechter. Doch stimmt die Analyse, stünden dem Frieden eben nicht zuletzt auch die Demokratie und deren Wahlzyklen im Weg – obwohl Demokratie doch als friedensfördernd gilt. Man ahnt: Die Sache ist zu komplex, als dass sie sich in eine einfache Formel packen lässt.