Nüchternheit liegt im Trend, ausgefallene Ideen und Individualität wurden in den meisten Restaurants längst abgeschafft. Doch insgeheim wünschen sich nicht wenige Gäste einen Schuss Prachtentfaltung bei Tisch.

Das Restaurant Kei gilt als eine der besten Adressen von Paris – und meinen kürzlichen Besuch in diesem dreifach besternten Restaurant habe ich keineswegs bereut. Doch mit Show haben sie dort nicht das Geringste am Hut. Nüchternes, fast kühles Ambiente geht mit einer puristischen Küche einher. Dass der Chef de Cuisine an den Tisch kommt, ist nicht vorgesehen – und weder beim Empfang noch bei der Verabschiedung macht man hier Fisimatenten. Danke, auf Wiedersehen. Das war’s.

Manche werden nun sagen, dass doch das, was auf dem Teller liegt, das Wichtigste sei und alles andere bloss überflüssiges Brimborium. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, wenn überhaupt. Die neue Nüchternheit wird hier auf die Spitze getrieben, weshalb selbst der aus Arbeitsgründen angereiste Gastrokritiker am Schluss ein bisschen Pracht vermisste.

Nur keine Prachtentfaltung bei Tisch in unsicheren Zeiten

Das «Kei» ist keine Ausnahme. Zierrat und Showelemente sind in den letzten Jahren auf eine fast schon dramatische Weise aus der Mode gekommen in der Gastronomie. In dem Bestreben, nur ja keinen Kunden zu verprellen, haben sich viele Restaurants auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt – bei der Einrichtung wie beim Angebot. Die gar nicht mehr so neue Nüchternheit passt zu unsicheren Zeiten, zu Krieg und Weltuntergangsstimmung. Wer sich trotz allen Imponderabilien etwas gönnt und ins Restaurant geht, soll möglichst nüchtern speisen und nur ja nicht über die Stränge schlagen.

Sich fein anzuziehen, ist folgerichtig verpönt; Pullover über dem Hemd gilt als Maximum. Sich in Schale werfen, eine Krawatte binden, gar Abendkleid und Smoking hervorkramen? Gilt als dekadent und vorgestrig. Und weil sich nur wenige trauen, aus der Reihe zu fallen, bleiben alle im Casual Style.

Und man isst sicherheitshalber das, was alle essen. Champagner bloss nicht in der Öffentlichkeit (was sollen die Nachbarn denken!) und nur ja nichts Extravagantes zwischen den Zähnen. Am besten vegetarisch, vegan, klimafreundlich, nicht teuer – und nur ja nicht vom angeblich schon in kleinsten Mengen schädlichen Alkohol umrahmt.

Langeweile in der Gastronomie nimmt überhand

Die Folgen sind überall zu beobachten – nicht zuletzt im Menu. Viele Gastronomen wollen nur ja nicht anecken und haben Ausgefallenes gestrichen. Regionales Gemüse, der immer gleiche Süsswasserfisch von der lokalen Fischzucht, vielleicht noch ein bisschen Kalbfleisch oder, wenn es ausgefallen sein soll, Rind. Innereien wurden ebenso verbannt wie alles, was an Luxus erinnert. Kaviar wird allenfalls verschämt angeboten, Hummer ist aus der Mode gekommen, und in gewaltigen Meeresfrüchte-Plateaus schwelgen vielleicht noch die französischen Gourmets, aber nur noch sehr selten ihre Schweizer oder deutschen Nachbarn.

Beim Wein geht es ähnlich zu, bei der Attitüde auch. Wer traut sich noch, öffentlich den alten Jahrgang eines Spitzenweines zu dekantieren? Wer lässt noch Champagner auffahren? Und wenn, dann bitte möglichst zurückhaltend. Ohne Trommelwirbel. Würde ja auch nicht passen zum nüchternen Ambiente vieler Restaurants. Tischdecken wurden vielerorts abgeschafft, Plüschsofas auch.

Das Bedürfnis nach dem Ausgefallenen schlummert

Zum Glück gibt es Ausnahmen – nicht nur in der Luxushotellerie. Dass es auch einmal pompös sein darf, beweist das Hotel Palace in St. Moritz, indem es schon zum Frühstück live gespielte Harfenmusik anbietet. Im Restaurant Fyn in Kapstadt geht es bisweilen theatralisch zu – etwa wenn der Kellner vor dem Springbok-Hauptgang mit einer gewaltigen Auswahl an handgefertigten Messern anrückt, von denen sich der Gast eines auszusuchen hat. Eine grosse Show, architektonisch und musikalisch, findet auch im «Salon 1905» statt, dem spektakulärsten Restaurant von Belgrad.

Doch auch in Mitteleuropa kann man sich etwas trauen und das unterdrückte Prachtbedürfnis befriedigen. So wie Björn Swanson. Der führt nicht nur das Berliner Gourmetrestaurant Faelt, sondern hat kürzlich auch das neue «Swan & Son» ins Leben gerufen: ein Bistro der zupackenden, luxuriösen, bisweilen über die Stränge schlagenden Art. Ich war gerade da und habe am Nachbartisch Gäste Krug-Champagner trinken sehen (gibt es glasweise). Hausspezialität ist der Falsche Hase mit Trüffeln und einer dekadenten Sauce à la Escoffier. Davor vielleicht der Boston Cream Donut mt Imperialkaviar? Oder das Dessert «un peu pompeux» – eine Champagner-Götterspeise mit Yuzu-Sorbet. Wunderbar!

Exit mobile version