Mittwoch, Februar 5

Das Wissenschaftsmagazin «The Lancet» hat neue Zahlen zur Entwicklung der weltweiten Geburtenrate. Eine Übersicht in Grafiken.

Die Menschheit wird unfruchtbarer. Seit den fünfziger Jahren hat sich die Zahl der Geburten pro Frau halbiert. Sie wird weiter sinken. Diese Prognosen hat eine Forschungsgruppe in der Fachzeitschrift «The Lancet» jüngst präsentiert.

Auch die Uno kam in ihrer Weltbevölkerungsstatistik von 2022 zu einem ähnlichen Schluss. Doch ihr Blick in die Zukunft ist optimistischer. Die Uno geht davon aus, dass die globale Fertilitätsrate nach einem raschen Rückgang und einer Stagnation wieder leicht ansteigt und sich bei 1,75 Geburten pro Frau einpendelt.

Die Forscher in «The Lancet» glauben nicht an eine Erholung. Ihre Prognosen sind düsterer: «Wir stehen im 21. Jahrhundert vor einem erschütternden sozialen Wandel», sagte Stein Emil Vollset, Mitglied der Forschungsgruppe, in einer Mitteilung zur Studie. Wir stellen die interessantesten Punkte aus der Studie vor.

1. Die kinderreichste Zeit liegt bereits hinter uns

Im Jahr 2016 kamen um die 142 Millionen Babys zur Welt. Das sind so viele wie nie zuvor – und wie es wohl nie wieder sein werden. Bereits im Jahr 2021 sank die Zahl auf 129 Millionen. 2100, so schätzen die Autoren, werden nur noch etwa 72 Millionen Babys zur Welt kommen.

Bemerkenswert an der «Lancet»-Studie ist die Fülle an Daten, auf die sie sich stützt. Dennoch ist der Unsicherheitsbereich der Vorhersage gross. Die Autoren geben zum Beispiel für die Anzahl Geburten im Jahr 2100 einen Bereich an zwischen 41 und 118 Millionen Kindern – 72 Millionen ist also nur der wahrscheinlichste Wert. Weil die Vorhersage so weit in die Zukunft geht, ist zusätzliche Vorsicht geboten: Wie sich Wirtschaft, Gesellschaft und Gesundheit entwickeln und damit die Geburtenrate beeinflussen, kann niemand wissen.

2. Mehr als die Hälfte aller Kinder stammt Ende des Jahrhunderts aus Afrika

Jedes sechste Kind, das heute zur Welt kommt, stammt aus Indien. Ende des Jahrhunderts aber wird sich dieser Babyboom in Südasien gelegt haben. Dann werden, so schätzen die Autoren der «Lancet»-Studie, die meisten Kinder in Afrika, südlich der Sahara, leben. Mehr als die Hälfte aller Geburten weltweit fällt dann auf diese Region.

Aber auch dort sinken die Geburtenzahlen – wie überall auf der Welt. Insbesondere Westeuropa wird laut den Vorhersagen mit niedrigen Geburtenraten zu kämpfen haben.

3. Die Weltbevölkerung könnte schon in wenigen Jahrzehnten schrumpfen

Noch wächst die Weltbevölkerung. Doch bereits 2018 ist die Geburtenrate in der Mehrheit der Länder unter 2,1 gesunken. 2,1 ist die Zahl, die nötig wäre, damit die Bevölkerung konstant bleibt. Die globale Geburtenrate wird voraussichtlich 2030 unter 2,1 sinken.

Jahr, in dem die Geburtenrate in einem Land unter 2,1 gefallen ist (blau) oder noch fallen soll (grün).

Es dauert rund 30 Jahre, bis die tiefe Geburtenrate dazu führt, dass die Bevölkerung zu schrumpfen beginnt. Bis dahin haben die vielen Kinder der wachstumsstarken Jahre selber Kinder und kompensieren die tiefere Geburtenrate. Das heisst: Ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wird sich das Wachstum der Weltbevölkerung erst verlangsamen und dann schrumpfen, laut den Forschenden in «The Lancet». Im Uno-Szenario ist das gegen Ende des Jahrhunderts der Fall.

Die «Lancet»-Forschergruppe sagt voraus, dass 2100 nur noch 3 Prozent der Länder eine Geburtenrate über 2,1 haben werden. Darunter Chad, Niger, Somalia und Tadschikistan.

4. Der Staat kann Geburten – ein bisschen – ankurbeln

Kann eine Regierung etwas gegen sinkende Geburtenraten unternehmen? Ja, davon gehen die Forschenden der «Lancet»-Studie aus. Die Wirkung von verlängertem Elternurlaub, Kindergeld und bezahlbarer Betreuung ist aber begrenzt. Die globale Fertilitätsrate könnte damit bis 2100 um etwa 0,1 Kinder pro Frau angehoben werden, schätzen die Forschenden. Sie stützen sich dabei auf empirische Forschung aus Ländern, die bereits Erfahrung mit Massnahmen zur Geburtenförderung bei tiefer Fertilitätsrate haben.

Die Uno kam in einem Bericht von 2020 zu einem ähnlichen Schluss. Sie stellte eine Korrelation fest zwischen der Verfügbarkeit von qualitativ hochstehender, bezahlbarer Kinderbetreuung und dem Anstieg der Fertilitätsrate. Andere Faktoren können aber die hohen Staatsausgaben zur Familienförderung zunichtemachen: In Ländern, in denen es etwa grosse wirtschaftliche Unsicherheiten gibt, wie in Südeuropa, waren geburtenfördernde Massnahmen wirkungslos.

5. Migration wird wichtiger

Weniger Geburten heisst weniger erwerbsfähige Menschen, die zum Wirtschaftswachstum beitragen. Um die Bevölkerungsstruktur jünger zu halten und dem Fachkräftemangel zu begegnen, dürften immer mehr Länder versuchen, die Zuwanderung gezielt zu fördern. Unter den wohlhabenden Industrienationen könnte gegen Mitte und Ende des Jahrhunderts ein regelrechter Wettkampf losbrechen um Migranten, sagen die Forscher der «Lancet»-Studie voraus.

Erste Anzeichen davon sind bereits sichtbar. So hat zum Beispiel der deutsche Kanzler Olaf Scholz eingestanden, dass Zuwanderung immer wichtiger werde. In Kenya hat er sich vergangenes Jahr für die Einwanderung von Fachkräften, zum Beispiel im Gesundheitssystem, ausgesprochen. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll dies möglich machen. Sogar in Japan, das traditionell gegen Einwanderung ist, fordern nun Politiker eine Kehrtwende. Der Druck des demografischen Wandels ist einfach zu gross.

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