Russland führt einen Informationskrieg gegen den Westen. Nicht nur gegen politische Institutionen, sondern gegen die deutsche Gesellschaft. Zwei Fachleute mahnen: Deutschland nimmt die Gefahr zu wenig ernst.
Kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar steigern sich die Aktionen der russischen Geheimdienste in ihrem Informationskrieg gegen Deutschland zu nie erreichter Intensität. Desinformation, Diskreditierung deutscher Politiker, Unterstützung kremlfreundlicher Politiker, Cyberangriffe auf die deutsche IT-Infrastruktur sowie Spionage und Sabotage gehören zum unerschöpflichen Instrumentenkasten der russischen Geheimdienste.
X, Tiktok und viele andere IT-Plattformen wimmeln von gefakten Videoclips mit scheinbar authentischen Bildaufnahmen von Politikern und anderen Personen, denen mit Originalstimme verfälschte Aussagen untergeschoben werden. Lügen und Halbwahrheiten werden verbreitet, um die deutsche Gesellschaft zu spalten, maximale Verunsicherung in der Wählerschaft zu erzeugen und Putin-freundliche, radikale deutsche Parteien zu stärken.
Wie geschickt die russischen Geheimdienste vorgehen und welcher Propaganda- und Verfälschungstechniken sie sich dabei bedienen, zeigen jetzt mit einem tiefen Einblick in den Maschinenraum russischer hybrider Kriegstechnologien der ehemalige Diplomat und Ex-BND-Vizepräsident Arndt Freytag von Loringhoven und der Politikwissenschafter Leon Erlenhorst in ihrem Buch «Putins Angriff auf Deutschland» sehr detailliert und kenntnisreich auf.
Das Herz der russischen Strategien
Eine ihrer wesentlichsten Erkenntnisse ist, dass die Aktionen der russischen Geheimdienste zentral orchestriert und gesteuert werden. Zentraler Organisator und Hauptverantwortlicher für alle Einflussoperationen im Ausland ist Sergei Kirijenko, der sich mittlerweile zum Chef der Präsidialadministration hochgedient hat. Damit zu Putins engstem Machtzirkel gehörend, ist er für diese elementare Aufgabe in dessen Diktatur zuständig. 1998 noch unter Jelzin war er – damals 35-jährig – kurzzeitig reformerischer Ministerpräsident gewesen.
Kirijenko gibt die Ziele und Strategien vor, die von Heerscharen von Trollen, staatlichen Akteuren, Marketingfirmen und sozialen Netzwerken umgesetzt werden. Neben der Verbreitung der klassischen Kreml-Narrative, wie die USA, nicht Russland seien der Aggressor, entwickeln sie einen spezifischen Mix der Narrative zu in westlichen Gesellschaften konfliktbeladenen Themen, zum Beispiel zur Corona-Politik.
Dazu schneiden sie ihre Fake News auf die jeweiligen Empfänger zu, etwa auf die deutsche und die schweizerische «Querdenker»-Szene, und vertiefen damit das Misstrauen der westlichen Gesellschaften in ihre staatlichen Institutionen noch weiter. Die für Fake News und Verschwörungstheorien anfälligen Kreise verbreiten die Falschinformationen dann ihrerseits in den sozialen Netzwerken und potenzieren ihre Wirkung damit um ein Vielfaches.
Die Einfallstore der Propaganda
Dabei geht es gar nicht immer darum, die russischen Narrative durchzusetzen, sondern oft nur darum, missliebige Gruppen und Personen zu diskreditieren, wie dies geschah anlässlich der jüngsten Sabotageserie, bei der in mehreren Bundesländern Autos mit Bauschaum beschädigt wurden. Die Polizei verdächtigt mittlerweile russische Geheimdienste, hinter dieser Sabotage zu stehen. Ursprünglich hatte die Polizei ihren Verdacht auf Klimaaktivisten gerichtet – eine klassische Aktion, um den Hass in der Gesellschaft, hier auf die Klimaaktivisten, zu erhöhen.
Nach einem Strategiepapier aus Kirijenkos Team geht es vor allem darum, in Deutschland die radikalen Parteigruppierungen rechts und links, also die Linke, die AfD und das BSW, zu fördern. Diese Parteien und ihre Wählerklientel bieten mit ihrem proklamierten Misstrauen gegenüber den Medien, der Wissenschaft und den etablierten Parteien die idealen Einfallstore für die russische hybride Propaganda.
Die klassischen russischen Desinformationsaussagen wie «Weil die Bundesregierung den Ukraine-Krieg mitfinanziert, fehlt in Deutschland das Geld, um Arbeitsplätze zu schaffen» werden zum Teil auch schon von anderen Parteien aufgenommen. Etwa vom SPD-Generalsekretär Miersch, der verkündet: «Wir können der Ukraine nichts geben, was wir unseren Rentnern wegnehmen müssten.»
Offene Flanke
Hauptziel von Putins hybridem Krieg ist Deutschland mit seiner Russland-Illusion und Putins «fünfter Kolonne» in der Linken, in der AfD, im BSW und in Teilen der SPD. Deutschland ist die offene Flanke im westlichen Sicherheitsschirm, und Putin weiss sie geschickt zu nutzen.
Dabei hatte schon General Gerasimow, der russische Oberkommandierende im Ukraine-Krieg, 2013 als Generalstabschef die herausragende Bedeutung nichtmilitärischer, also hybrider Mittel zur Erreichung politischer und strategischer Ziele unterstrichen: «Der Schwerpunkt der angewandten Methoden in einem Konflikt liegt auf einer breiten Anwendung politischer, wirtschaftlicher, informeller, humanitärer und anderer nichtmilitärischer Massnahmen – abgestimmt auf das Protestpotenzial in der Bevölkerung», schrieb er damals.
Insofern erstaunt es, dass die deutschen Geheimdienste immer noch so wenig vorbereitet sind auf diese Aktionen der hybriden Kriegsführung. Das liegt auch daran, dass ihre personellen und finanziellen Ressourcen völlig unzureichend sind.
Historische Erfahrungen
Gerasimows Doktrin zeigt auf, wie entscheidend für den russischen hybriden Angriff auf Deutschland die mentale Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber Putins Russland ist. Noch immer ist das Bewusstsein, dass Deutschland eines der Hauptangriffsziele von Putins Krieg ist, auf wenige Experten begrenzt, wie die beiden Autoren ausführlich belegen.
Noch immer hemmen die historischen Erfahrungen mit Gestapo und Stasi die deutsche Politik und Öffentlichkeit daran, in der innenpolitischen Agenda der Schutzaufgabe und -fähigkeit der Geheimdienste den Stellenwert einzuräumen, den sie haben müssten. Dies aber wäre nötig, um die hybriden Angriffe Russlands, aber auch Chinas auf die freie, unabhängige deutsche Meinungsbildung abzuwehren.
In anderen Staaten wie in den USA, in Frankreich und Grossbritannien unterliegen die Spionageabwehr und die Auslandsaufklärungen der Geheimdienste viel geringeren Einschränkungen als – historisch bedingt – die Arbeit von BND, MAD und Verfassungsschutz in der Bundesrepublik. Den in Deutschland sehr ausgefeilten Schutz des Grundrechts auf die freie Meinungsäusserung missbraucht die russische Propaganda, um dem politischen Bewusstsein der deutschen Bevölkerung ihre staatszersetzenden Inhalte einzuflössen.
Freiheit gegen Sicherheit
In diesem rechtlich sensitiven Grenzbereich das richtige Mass zu finden zwischen zu schützender freier Meinungsäusserung und abzuwehrender Staatszersetzung, ist nicht einfach. Bei der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Sicherheit müsste der Gefahrenabwehr gegen Massnahmen der hybriden russischen Kriegsführung eine höhere Bedeutung eingeräumt werden als bisher.
Insgesamt, das geht aus so detaillierten wie erschreckenden Recherchen der beiden Autoren hervor, müssen die deutschen Geheimdienste in die Lage versetzt werden, robuster und offensiver reagieren zu können. Politik und Medien müssen die Aufgaben der Geheimdienste der breiten Öffentlichkeit besser erklären, um ihre Bedeutung zu veranschaulichen. Genauso wie die Bundeswehr wieder kriegstauglich werden muss, müssen die deutschen Geheimdienste wieder schutztauglich werden. Wie dringend erforderlich dies ist, macht «Putins Angriff auf Deutschland» deutlich.
Arndt Freytag von Loringhoven, Leon Erlenhorst: Putins Angriff auf Deutschland. Desinformation, Propaganda, Cyberattacken. Ullstein-Verlag, Berlin 2024. 280 S., Fr. 29.60.